Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi. F.C. Yee

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befand.

      Sie stießen hinab und konnten einen Blick auf die Stadt werfen, die um den größten Hafen der Feuernation gewachsen war. Dort wurden bereits die Vorbereitungen für die kommende Feier getroffen: Rote Papierlaternen hingen an Schnüren kreuz und quer über den Straßen, an manchen Stellen so dicht, dass die Karren und Gehsteige darunter nicht mehr zu sehen waren. Von überallher drang das laute Hämmern der Verkäufer an ihr Ohr, die ihre hölzernen Stände aufbauten. In einer Nebenstraße erspähte Kyoshi einen halb fertiggestellten Festzugswagen, auf dessen Plattform eine Gruppe von Tänzern in perfektem Einklang ihre Choreografie übte.

      »Da scheint ja schwer was los zu sein«, sagte Kyoshi. Insgeheim wünschte sie sich, dort unten mit den anderen gewöhnlichen Leuten feiern zu können, statt an einem Staatsempfang teilnehmen zu müssen. Dort würde man deutlich weniger von ihr erwarten.

      »Ihr wisst ja, wie die Leute der Feuernation sind«, sagte Jinpa und winkte einer Gruppe Kinder auf einem Dach zu, die voller Begeisterung und mit großen Augen zu dem fliegenden Bison über ihren Köpfen aufschauten. »Immer zugeknöpft, bis sie plötzlich richtig loslegen.«

      Sie ließen die Hafenstadt hinter sich zurück und flogen die Schräge des Kraters hinauf, der die große Insel dominierte. Bäume und Ranken klammerten sich hartnäckig an die steile, steinige Oberfläche und die feuchte Luft machte ihnen das Atmen schwer.

      »Sollen wir hier landen und uns ankündigen?«, fragte Jinpa. Er zeigte auf die steinernen Wachtürme und Bunker, die in den Rand des toten Vulkans hineingebaut waren.

      Kyoshi schüttelte den Kopf. Ungeduld stieg in ihr auf und drohte überzuschwappen wie Flutwasser über einen Deich. »Im Brief stand, wir sollen direkt zum Palast kommen.«

      Tatsächlich zeigten die Wachen keinerlei Reaktion, als sie über sie hinwegflogen. Sie standen einfach nur in ihren spitzenbewehrten Rüstungen da und beobachteten mit starren Gesichtern, wie sie vorübersausten. Als Yingyong den Kraterrand überwand, tauchte vor ihnen, grandios wie ein Feuerwerk, die Hauptstadt auf.

      Die königliche Kraterstadt. Hier lebten der Feuerlord und der Hochadel dieses Landes. Anders als Ba Sing Se, das Macht mit Ausdehnung gleichsetzte, bündelte diese Stadt ihren Status wie eine Speerspitze. Türme ragten hoch in den Himmel auf, Schulter an Schulter mit ihren rot geschindelten Nachbarn. Kyoshi musste an Pflanzen denken, die miteinander ums Sonnenlicht wetteiferten und sich dabei immer höher reckten, damit sie nicht zurückblieben und umkamen.

      Mehrere Seen funkelten am Grund der Caldera, doch einer war weit größer als alle anderen. Die offiziellen Namen wusste Kyoshi nicht mehr. Außerhalb der Feuernation bezeichnete man sie oft als die Königin und ihre Töchter, denn sie waren berühmt für die kristallklare Schönheit ihres Wassers. Angeblich stand die Todesstrafe darauf, die Seen mit Booten zu befahren, doch nun sah Kyoshi, dass das nur ein albernes Gerücht war: Schon jetzt dümpelten Laternenboote auf der spiegelnden Oberfläche, in Vorbereitung auf das Fest.

      Im Zentrum der Senke stand der Königspalast, ernst und karg. Er war von einem Ring beigefarbener Pflastersteine umgeben, sodass jeder, der sich zu Fuß näherte, in eine beunruhigend exponierte Lage versetzt wurde, direkt vor den Schutzwällen und Wachtürmen. Nur hinter den inneren Mauern wuchs scheu ein Garten, spärlich wie der Bart eines jungen Mannes. Kyoshi nahm an, dass es sich um eine Sicherheitsmaßnahme handelte: Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass sich Diebe oder Attentäter ungesehen von Baum zu Baum schlichen.

      Da die Sicherheit derart gewährleistet war, erhob der Palastkomplex Pracht zum obersten Prinzip. Aus der Mitte ragte eine Turmspitze in den Himmel, flankiert von zwei goldenen Pagoden mit einem Übermaß an sich aufwölbenden Traufen, die den Anschein erweckten, als wären die Dächer mit Tierklauen verziert. Der Bau glich eher einem großen Schrein als einer Residenz. Die steilen Winkel der Dächer hätten es Eindringlingen schwer gemacht, von oben einzudringen.

      Kyoshi ohrfeigte sich innerlich dafür, dass sie das Heim des Feuerlords derart auskundschaftete. Wie schlummernde Samen nach einem frischen Regen sprossen die alten Gewohnheiten der Fliegenden Operngesellschaft aus ihrem Gedächtnis hervor.

      »Wisst Ihr, wo wir landen sollen?«, fragte Jinpa und riss sie aus ihren Gedanken. »Mir ist etwas unbehaglich dabei, einfach über die Mauer hinwegzufliegen. Familien, die Ballisten besitzen, haben dafür bestimmt eher wenig übrig.«

      »Am Haupttor, aber nicht zu nah dran.« Als ehemalige Dienerin wusste Kyoshi, dass die höheren Stände es schätzten, wenn die Besucher ihre Residenz in genau der richtigen Art und Weise betraten: Tief beeindruckt und voller Ehrfurcht sollten sie durch eine sorgsam entworfene Ausstellung der Kultur und Macht wandeln. Und die herrschende Familie stand in der Feuernation nun mal an höchster Stelle.

      Yingyong landete auf der Allee, die den Steinring in zwei Hälften teilte. Sie stiegen ab und legten den Rest des Wegs zum Torhaus zu Fuß zurück: Am Boden bewegte sich der Bison wegen des fehlenden Beins mit einem ziemlich holprigen Gang, bei dem man sich nur schwer im Sattel halten konnte. Das Gepäck wäre ihm von den Schultern gerutscht, wenn es nicht sicher festgebunden gewesen wäre.

      Sie erreichten das schwere Eisentor, imposant und unnachgiebig, das weder Gucklöcher noch einen Sichtschlitz oder sonst irgendeine Möglichkeit besaß, um hindurchzuspähen. Kyoshi fragte sich gerade, ob sie klopfen sollte, da durchbrach ein metallisches Mahlen die unbehagliche Stille. Irgendwo im Inneren griffen die Räder schwerer Maschinen ineinander und ächzten unter der Last. Das Tor bewegte sich, nicht nach außen oder innen, sondern geradewegs nach oben.

      Dahinter kam ein Mädchen zum Vorschein – Zoll für Zoll, als wäre der Anblick dieser Person, diese Inkarnation roher Kraft, für bloße Sterbliche nicht auf einmal zu ertragen. Und manchmal glaubte Kyoshi das. Die erhabene Schönheit der Kraterstadt und des Königspalastes waren nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die sich in diesem Moment vor ihr offenbarte.

      Das Tor beendete seine qualvolle Reise mit einem lauten metallischen Knall. Der Bogengang dahinter wurde von Fackeln erhellt, von denen keine so hell leuchtete wie das Paar bronzefarbener Augen, das Kyoshi von oben bis unten musterte. Abgesehen davon, dass sie nun die Rüstung eines höherrangigen Offiziers trug, mit weniger Spitzen und überhängenden Klappen und mit mehr Goldbesatz, sah Rangi noch immer genauso aus wie vorher. Ihr tintenschwarzes Haar war nachgewachsen und besaß wieder seine alte Länge. Ihre Haltung war genauso starr und unbeugsam, wie Kyoshi es in Erinnerung hatte.

      Auch hüllte sie sich nach wie vor in dieselbe Aura unanfechtbarer Überlegenheit. In Rangis Gegenwart zu sein bedeutete, ihren Ansprüchen nicht zu genügen. Wenige Sekunden Stille genügten, um Kyoshi zum Zittern zu bringen.

      Ihre schlimmsten Ängste bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche. Es war genug Zeit vergangen, dass Rangi zu Kyoshis Ehemaliger geworden sein konnte: ehemalige Lehrerin, ehemalige Leibwächterin, ehemalige … eben alles.

      Dann wurde die Stille von einem Geräusch durchbrochen, das Kyoshi bisher nur ein einziges Mal gehört hatte: Rangi, die so sehr lachte, als würde sie ersticken.

      Die Feuerbändigerin stützte sich mit der Hand an der nächsten Wand ab und rang nach Luft, als hätte sie die ganze Zeit über den Atem angehalten, während das Tor sich geöffnet hatte. »Ich musste rennen … den ganzen Weg über das Grundstück … um beeindruckend auszusehen, wenn ich dich begrüße«, keuchte sie. »Ich glaub, ich bin nicht mehr in Form.«

      Der eisige Schraubstock, der sich um Kyoshis Herz gelegt hatte, wurde auseinandergesprengt und es konnte wieder schlagen. »So hast du das also immer gemacht?« Seit sie sie kannte, hatte Rangi stets irgendwo auf sie gewartet, meist lächerlich früh am Morgen, oder sie war in letzter Minute plötzlich und auf dramatische Weise wie aus dem Nichts aufgetaucht. Zu wissen, dass sie einfach nur mit Höchstgeschwindigkeit von hier nach dort gehetzt war, nahm dem Mysterium ein wenig den Zauber.

      Rangi grinste und nickte, während sie langsam wieder zu Atem kam. »Wenigstens muss ich mir keine Sorgen machen, dass mich jemand von der Feuernation so sieht. Der einzige tote Winkel der Verteidigungsanlagen ist genau hier – direkt unter dem Tor selbst. Was bedeutet, dass ich das hier tun kann.«

      Sie


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