Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi. F.C. Yee

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war seltsam. Kyoshi war mit den Grundlagen des Blumensteckens im Feuernationsstil vertraut und eine solch unausgewogene Aufteilung war eigentlich verpönt. Im echten Leben würde die größere Pflanze sämtliches Sonnenlicht bekommen und die kleinere würde eingehen.

      »Kanzler«, sagte sie. »Darf ich Euch etwas zu diesen Blumen fragen?«

      Bei dem Wort Blumen verkrampfte sich Dairin eigentümlicherweise und kam mit besorgter Miene zu ihr herübergeeilt. Er wartete gar nicht erst auf ihre Frage, sondern starrte fieberhaft die Vorzeichnung an, als erwartete er eine unerfreuliche Enthüllung.

      Er brauchte etwas länger als Kyoshi, um die Umrisse zu erkennen, doch als es ihm schließlich gelang, war seine Reaktion unverkennbar: Der Kanzler wurde bleich, fing an zu zittern und Schweißperlen traten auf seine Nase.

      »Sprecht abgesehen vom Feuerlord mit niemandem darüber«, wisperte Dairin ihr eindringlich zu.

      »Moment mal, was?« Kyoshi hatte ihn deutlich gehört, verstand aber nicht, warum er sich so verhielt, als ginge es hier um Leben und Tod.

      Der Kanzler klatschte so laut in die Hände, dass Rangi und Jinpa, die sich noch Gemälde anschauten, zusammenzuckten. »Die Führung ist vorbei!«, verkündete er. Sein Blick zuckte zum Eingang der Galerie hinüber, als würde er sich vor dem leeren Raum fürchten. »Avatar, bitte entschuldigt: Ich rede und rede, dabei seid Ihr bestimmt müde von der Reise. Ich werde Euch Eure Unterkünfte zeigen. Unverzüglich.«

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      Die Böden und Wände des Avatarsquartiers im Feuerpalast waren so überfrachtet mit Antiquitäten und Kunstwerken, dass es sich gut und gerne um ein kleines Museum hätte handeln können. Kyoshi konnte sich schon darauf freuen, die restliche Zeit ihres Besuches über Landschaftsgemälde in Scharlachtönen, zinnoberrote Skulpturen von sich putzenden Vögeln und aus karminrotem Garn gewobene Wandteppiche anzustarren. Alles war so überwältigend rot, dass es ihr schwerfiel, Entfernungen richtig abzuschätzen. Das Zimmer, in dem sie schlafen würde, kam ihr so groß vor wie die unterste Etage von Loongkau.

      »Es ist, als würde man direkt in die Sonne gucken«, sagte Jinpa. Er presste sich die Handflächen auf die Augen und blinzelte.

      »Selbst ich musste mich erst wieder an so viel Rot gewöhnen«, sagte Rangi. Sie setzte sich auf die Ecke von etwas, das für Kyoshi wie eine große Plattform aussah und leicht federte. Dieses scharlachrot bezogene Quadrat, groß genug, um darauf ein Lei Tai abzuhalten, musste das Bett sein. »Agna Qel’a ist genauso überwältigend, nur ist es dort das Eis. An den hellsten Stellen muss man eine Spezialbrille tragen, sonst wird man schneeblind.«

      Als sie den Norden erwähnte, krampfte sich Kyoshis Magen zusammen. Es erinnerte sie daran, wie weit Rangi gereist war, damit die Heiler vom Wasserstamm die Vergiftung ihrer Mutter behandeln konnten. Zudem diente es als Warnung, dass sie als Avatar jederzeit abrupt gefordert sein könnte und mit einem Wimpernschlag keine Zeit mehr haben würde. Kyoshi war noch nicht am Nordpol gewesen und auch nicht zu Besuch gekommen, als Rangi sich dort aufgehalten hatte – sie konnte von Glück sagen, dass Rangi deshalb nicht wütend auf sie war.

      Sie fragte sich, ob sie Dairins geheimnisvolles Verhalten in der Galerie ansprechen sollte, ließ es dann aber, weniger, um seinen Wunsch nachzukommen, sondern eher, weil Rangi und sie Wichtigeres zu besprechen hatten. Sie wandte sich Jinpa zu. »Kannst du uns eine Weile allein lassen?«, fragte sie und machte eine Geste zur Tür.

      »Nicht so schnell«, sagte Rangi. »Bitte berichtet, Bruder Jinpa.«

      Der Mönch trat vor wie ein Rekrut an seinem ersten Tag und begann zu berichten, ohne Kyoshi zu beachten. »Trotz meiner wiederholten Ermahnungen hat sie nicht ordentlich gegessen.«

      »Hmm.« Rangi presste missbilligend die Lippen aufeinander. »Ja, sie ist manchmal störrisch.«

      »Hey!«, sagte Kyoshi. »Hört auf, über mich zu reden, als wäre ich nicht da!«

      Jinpa fuhr fort, allerlei Fälle von Fehlverhalten an den Fingern abzuzählen. »Sie kriegt kaum Schlaf. Nachts finde ich sie dann zusammengesunken über einem Buch, einer Karte oder einer Anleitung. Sie nimmt sich nicht genug Zeit, um sich von ihren Verletzungen zu erholen. Und sie besteht darauf, wahllos irgendwelchen Berichten von Gewaltausbrüchen überall im Erdkönigreich persönlich nachzugehen! Wisst Ihr eigentlich, wie schwer sie es mir macht, ihren Zeitplan zu verwalten?«

      Kyoshi hatte sich angesichts des Besuchs vor allem Möglichen gefürchtet. Dieses Szenario hingegen, in dem ihr Sekretär und ihre Leibwächterin sich gegen sie verbündeten, hatte sie nicht vorhergesehen. »Habt ihr beide hinter meinem Rücken Nachrichten ausgetauscht?!«

      »Nur das eine Mal«, sagte Rangi. »Als ich deine Einladung abgeschickt hab, hab ich auch ihm einen Brief geschrieben. Nur so konnte ich einen ehrlichen Lagebericht darüber bekommen, ob du gut auf dich achtgibst. Und das hast du ja offenbar nicht gemacht.«

      »Hat sie nicht«, bestätigte Jinpa. »Ganz im Gegenteil. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie pickt sich absichtlich die gefährlichsten Situationen raus und stürzt sich hinein, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit!«

      »Gar nicht wahr!«

      »Ach, dann bist du wohl aus Versehen mit dem Hals voran auf einen scharfen Gegenstand gestürzt?«, fragte Rangi und funkelte Kyoshi böse an. »Hast du gedacht, mir wären deine neuen Narben entgangen? Kommt mir ganz so vor, als würdest du meine Lieblingsstellen absichtlich kaputt machen.«

      Dass er sich diese Last endlich mal von der Seele reden konnte, machte Jinpa ganz emotional. Er wischte sich die Augen. »Sie ist so anstrengend«, murmelte er in seine Faust und schniefte leise.

      Rangi erhob sich vom Bett und tätschelte ihm den Rücken. »Ich weiß. Ich weiß, dass sie das ist. Sie ist unmöglich. Du hast dich heldenhaft um sie gekümmert und jetzt bin ich da, um dir zu helfen.«

      »Ich bin der Avatar!«, rief Kyoshi, ein letzter verzweifelter Versuch, sich vor weiteren Vorwürfen zu schützen. »Nicht irgendein hilfloses Kind!«

      Dabei stampfte sie mit dem Fuß auf und untergrub sich damit selbst. Rangi und Jinpa kniffen die Augen zusammen und tauschten einen vielsagenden Blick. Sind wir da auch sicher? Ich bin mir nicht so sicher.

      Kyoshi tat der Kopf weh. Sie hatte viele Monate damit verbracht, dicke Schutzwälle um sich herum zu errichten, hatte sich im Königreich den Ruf erarbeitet und das Selbstbild entwickelt, dass mit ihr nicht zu spaßen sei. Nicht einmal eine Stunde hatte Rangi hier in der Feuernation gebraucht, um diese Mauern niederzureißen und Jinpa hereinzulassen.

      Sein Grinsen zeigte ihr, dass dies seine Rache war, so herrlich wie ein guter Wein, den man bis zum richtigen Moment reifen lässt. So zahlte er es ihr heim, dass sie ihm so oft befohlen hatte, nicht über ihre Verletzungen zu sprechen, dass sie seine Ermahnungen, die Bücher wegzulegen und sich ein wenig auszuruhen, immer wieder in den Wind geschlagen hatte. Endlich wusste sie, was sie von dem jungen Mann zu halten hatte, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten und sich mit Anstand und Mitgefühl um sie gekümmert hatte.

      Eine dreckige Petze war er. »So kannst du nicht über mich sprechen!«, fuhr sie ihn an. Dem Daofei-Kodex zufolge wurden Petzen mit Blitzen und Messern bestraft. »Ich bin deine Vorgesetzte!«

      »Das mag ja sein, aber das Sagen hat offensichtlich sie.« Er neigte seinen kahlen Kopf in Rangis Richtung, augenscheinlich hocherfreut, dass er diese neue Methode gefunden hatte, den Avatar zu bändigen. »Wenn nur Quieken hilft, damit Ihr gesund bleibt, dann haut mich mit einer Feder und nennt mich ein Schweinehuhn.«

      »Raus hier«, schnauzte Kyoshi ihn an.

      Jinpa wechselte wieder einen Blick mit Rangi, während er rückwärts durch die Tür hinausging. Schaut nur, wie sie versucht, hart zu sein. So niedlich.

      Und dann, plötzlich, waren Kyoshi und Rangi zum ersten Mal nach langer Zeit endlich


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