Reni und die Ponys. Lise Gast

Reni und die Ponys - Lise Gast


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in die Tür. Noch war keiner der Suchenden zurück!

      Sie drückte sich hinter den einen Pfosten und wartete, atemlos und mit klopfendem Herzen. Einer nach dem andern der Suchenden kam jetzt heran, von rechts, von links, manche schlichen, manche rannten. Reni ließ sie sich sammeln und lauerte Christian auf. Endlich! Mit einem Sprung war sie draußen und packte ihn. Gleich darauf hörte sie sein schadenfrohes Lachen von der anderen Seite her, ganz untrüglich seins, während sie doch sicher war, ihn hier an der Joppe festzuhalten. Wie ging das zu?

      Ganz einfach. Christian hatte als einziger eine Jacke angehabt, sie aber vorhin einem andern Jungen gegeben, der in der Nachtluft ein wenig gefröstelt hatte. Das konnte Reni natürlich nicht ahnen. Sie hatte sich auf den einzigen im Kreis gestürzt, der nicht im hellen Turnhemd war. Pech!

      „Haha! Jetzt dachtest du ...“

      Reni ärgerte sich.

      „Überhaupt müssen wir aufhören. Mutter hat gesagt, wir dürfen nur eine halbe Stunde spielen“, sagte sie verdrossen. Die andern protestierten.

      „So genau kommt das doch nicht drauf an!“

      „Doch! Schluß, ins Bett“, kommandierte Reni und wandte sich der Liegewiese zu. „Ich hab sowieso keine Lust mehr.“

      „Deshalb brauchst du aber doch uns den Spaß nicht zu verderben“, brummten die andern. Nur Erika sprang zu ihr heran, hakte sich bei ihr ein und sagte eifrig: „Reni hat recht. Paß auf, wie Mutter sich freut, wenn wir pünktlich sind.“

      Das tat Mutter wirklich. „Sind die andern alle zusammen? Sagt ihnen noch gute Nacht, ja? Ich möchte nicht noch einmal hinübergehen. Und wenn ihr wollt, dann ... oder seid ihr sehr müde?“

      „Nein. Was?“

      „Heute nacht fallen so viel Sternschnuppen. Jedes Jahr, ja. Man nennt sie die Tränen des heiligen Laurentius. Wollt ihr noch ein bißchen hinausgehen und sie ansehen?“

      „Oh!“ jauchzten Reni und Erika unterdrückt. Die Mutter lachte.

      „Das dachte ich mir. Nun lauft. Aber nehmt Christian mit, hört ihr?“

      „Das ist schade, daß Mutter das noch einfiel“, sagte Reni, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatten. „Wollen wir wirklich? Oder wollen wir es vergessen?“ Sie guckte Erika verschmitzt an. Die hob die Schultern.

      „Ich weiß nicht.“

      „Du hast bloß Angst, allein zu gehen. Komm, erst in den Schlafsaal, fix. Und dann – ach, soll er doch mitkommen!“ Sie rannten über den dunklen Hof und kamen nach fünf Minuten zurück, blieben unter Christians Fenster stehen.

      „Hallo! Christian? Na endlich, alte Schlafmütze.“

      Gedämpft riefen sie ihm ihren Plan hinauf. Gleich darauf ging in seinem Zimmer das Licht aus, und er kam die Treppe heruntergesprungen. Zu dritt gingen sie los.

      Es war mittlerweile ganz dunkel geworden. Man sah deutlich die Sterne. Über die Wiese lief ein ganz sachter Wind, vielleicht der erste seit Tagen, der sich regte. Er war gesättigt von der Wärme und dem bittren Tannennadelduft des Waldes. Reni sog ihn ein. Einen winzigen Augenblick lang wußte sie, daß sie glücklich war, hier in ihrer Heimat, umgeben von Menschen, die sie kannte und in deren Mitte sie gehörte. Es war wie ein Hauch, dieses Wissen, wie ein Husch. Vielleicht wurde es ihr nur dadurch bewußt, weil sie ausnahmsweise einmal schwiegen, alle drei. Keiner wollte anfangen, zu sprechen; Christian nicht, wahrscheinlich, weil sie vorhin so unausstehlich zu ihm gewesen war, und sie auch nicht. Später dachte sie mitunter an diesen Augenblick, in dem sie das Wort „Daheim“ so ganz und voll erfaßt hatte. Immer, wenn sie an ihre Kindheit zurückdachte, war es diese Nachtstunde, die ihr gegenwärtig wurde. Diese Sommernacht mit den Sternen über dem Schuppendach und dem süßen Duft des Heus und dem bittren der Tannen.

      „Kommt, wir legen uns hier an den Hang. Ich hole euch etwas Heu, da habt ihr es schön weich“, sagte Christian leise. Er sprach so freundlich, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen. Reni war auf einmal sehr froh.

      „Danke, Christian. Aber auch für dich.“

      Es fielen wirklich eine ganze Menge Sternschnuppen. Trotzdem verpaßte Reni immer wieder, sich etwas zu wünschen. Die andern lachten sie schon aus, wenn sie wieder einer nachrief: „Da! Da! Habt ihr gesehen?“ und sich dann vor die Stirn schlug: „Wieder nichts gewünscht!“

      „Was würdest du dir denn wünschen, wenn es mal klappte?“ fragte Christian schließlich. Reni überlegte.

      „Ich denke, man darf es nicht sagen?“ fragte sie dann.

      „Hinterher nicht. Man darf nicht erzählen: das und das hab ich mir gewünscht“, erklärte Erika. Reni nickte. Trotzdem konnte sie sich nicht entschließen, zu verraten, was sie sich wünschte.

      „Na, dann wird es ja eine rechte Dummheit sein!“ sagte Christian hinterhältig. Er dachte, jetzt würde sie sich verraten. Reni aber ließ sich nicht fangen.

      „Und du? Was würdest du dir wünschen?“ fragte sie lachend.

      „Ich hab’ mir voriges Jahr was gewünscht, als ich hier allein lag und die Sternschnuppen zählte“, sagte er ruhig.

      „Und?“ fragte Reni gespannt.

      „Was denn: und?“

      „Ist es eingetroffen?“

      „Ja.“

      „Toll! Und was war es? Oder darf man es auch dann nicht erzählen, wenn es eingetroffen ist?“

      „Doch. – Ich hab mir gewünscht, daß – aber nun wirst du eingebildet werden, Reni. Ich kannte dich ja damals noch nicht und ...“

      „Mach es nicht so spannend“, schaltete sich hier Erika ein. Da sagte Christian lachend und ganz schnell:

      „Nun also, ich habe mir gewünscht, dich kennenzulernen, Reni. Vater erzählte so viel von dir, daß ich schon ganz neugierig auf dich war. Und deine Briefe kannte ich ja auch. Siehst du, und nun ist es so gekommen.“

      „Hm“, sagte Reni. Weiter nichts. Aber von nun an paßte sie noch genauer auf, tastete den ganzen, dunklen Samt des Himmels mit den Augen ab, um eine goldene Schnuppe zu erwischen. Auch Christian schwieg. Sie lagen lange da und sahen hinauf in den Himmel. Und das war eigentlich, wenn sie ehrlich sein wollten, der schönste Teil dieser Nacht, das stille, schweigende Hinaufschauen in die Sterne. Wäre es nicht vielleicht viel klüger gewesen, sich nichts mehr zu wünschen?

      Auf einmal faßte Erika nach Renis Hand.

      „Du, hörst du nicht?“

      „Was denn?“ Auch Reni flüsterte. Sie horchten gespannt. Wirklich, Schritte, vorsichtige, tastende Schritte. Jetzt hörte man auch den Atem eines Menschen. Es klang eigentlich, als wären es zwei.

      Und es waren auch zwei. Zwei Gestalten lösten sich aus dem Schatten der Turnhalle und kamen auf die drei Liegenden zu.

      „Hallo?“ fragte Christian, als sie nahe heran waren, und setzte sich auf. Wie gut, daß Christian mit war! Die Ankommenden blieben stehen, sehr erschrocken.

      „Oh!“ sagten sie wie aus einem Munde. Es klang mehr wie „Ouh“, so, wie ein Engländer rufen würde. Merkwürdig, daß man aus diesem einen Laut, der nicht einmal ein Wort war, heraushörte, daß dies keine Deutschen waren. Christian ging es nämlich genauso, er war aufgestanden und fragte:

      „Who are you?“ Das würden sie schon verstehen, die beiden. Und richtig! Hörbar erleichtert und dankbar kam die Antwort: „Good friends!“ Na also! Die drei Heimkinder lachten. Christian ging den beiden andern ein paar Schritte entgegen.

      „Where are you coming along?“ Das war sicher nicht unbillig, zu fragen, wenn jemand zur Nachtzeit über eine Wiese ging, die ihm nicht gehörte.

      „We come from Sverige.“

      „Von Sweden“, sagte die zweite Stimme. Es klang akzentuiert und deutlich. In diesem


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