Reni und die Ponys. Lise Gast
er die Ohren und sah ihr entgegen, aufmerksam und erwartungsvoll. Reni konnte es sich nicht versagen, fix mal auf seinen Rücken zu rutschen. Hier auf der Wiese, ohne Trense, das galt nicht als Reiten. Sie hatte sich eine Gerte vom Zaun gebrochen und versuchte, den kleinen Hengst damit zu lenken. Er ließ es sich ein Weilchen gefallen und kratzte dann die Kurve so eng, daß sie seitlich herunterflog. Lachend sprang sie ihm nach und nahm ihn um den Hals.
„Recht so, das tät ich auch! Aber warte nur, morgen, mit dem Zügel! Da wird gehorcht und das gemacht, was ich will.“
Sie zog mit den beiden Ponys ab, hinter dem Haupthaus herum, damit nicht alle Kinder sie sahen. Es war jetzt Ruhezeit, aber die meisten verbrachten sie nicht im Schlafsaal, sondern im Garten oder auf der Wiese in der Sonne. Das war erlaubt. Reni bat Erika noch, Klaus zu suchen, während sie selbst einspannte.
„Sonst nehmen wir aber keinen mit, das gibt nur Gezanke!“ bestimmte sie.
Den Wagen hatte ihnen Vater geschenkt. Auch ausgesucht – man merkte es. Da hatte ihn einer gründlich übers Ohr gehauen. Vater verstand von Autos etwas und von Krankheiten und Patienten sehr viel, gewiß mehr als irgendein anderer Arzt, aber von Ponywagen hatte er keine Ahnung. Reni fand es richtig nett, daß er damit so hereingefallen war, irgendwie liebenswert. Und sie verteidigte den Wagen immer heftig: er war eben schön und gut, weil Vater ihn ausgesucht hatte.
Nett anzusehen war er ja auch: gummibereift und sehr niedrig. Aber er war nicht kippsicher. Die Vorderräder drehten nicht unter, wenn man wendete, und auf diese Weise hatten sie es schon fertiggebracht, den an sich sehr flachen Wagen umzukippen. Passieren konnte dabei so leicht nichts, man lag eben nur irgendwo im Gras oder im Graben oder auch auf der Straße. Angst hatten die Kinder natürlich nicht um sich, sondern nur, daß den geliebten Ponys etwas geschehen könnte.
Alle im Heim waren wie verrückt auf die kleinen Pferde. Und alle, die es wollten, durften reiten, jedenfalls auf der Gräfin. Reni drehte es manchmal buchstäblich das Herz im Leibe herum, wenn sie zusehen mußte, wie manche Kinder aufsaßen. Richtig allein reiten durften nur die wenigsten, und auch die nur kurze Strecken. Christian führte die Ponys, und die Kleinen saßen drauf und waren stolz.
Mittlerweile war Reni beim Einspannen. Das war nicht ganz einfach, wenn man allein war, aber sie wußte sich zu helfen. Sie legte jedem der kleinen Gesellen eine Runkelrübe vor die Nase, an der sie dann knabberten, und währenddessen konnte man in aller Gemütsruhe Stränge anmachen, Zügel durchziehen und Karabinerhaken schließen. Als Erika mit Klaus ankam, war sie gerade fertig.
„Los, Abfahrt! Klaus, du kommst hier neben mich. Wir sollen Heu holen. Nein, kutschieren muß ich, wenigstens bis auf die Straße.“
Es ging hier bergab. Klaus sah ihr auf die Finger, und Reni war stolz. Auf der Straße knallte sie mit der Peitsche.
„Hoho, so fahren die Kosaken!“ und los ging es im Karacho. Der Hof, wo sie das Heu holen sollten, war nicht sehr weit entfernt. Es war aber nur die Großmutter zu Hause. Die anderen seien im Heu. Die Kinder könnten doch gleich dorthinfahren und von der Wiese aus aufladen, was sie brauchten.
Reni wendete also den Wagen im großen, vorsichtigen Bogen und fuhr den Weg entlang, den die Großmutter ihr beschrieben hatte. Sie fanden auch gleich die Wiese, wo die Leute damit beschäftigt waren, aufzuladen. Reni wollte eine Gabel haben und mithelfen, aber der Bauer meinte freundlich, das mache er lieber selber. Das Heupacken sei nicht so einfach, wie es aussähe. Reni ließ ihn werkeln und spannte ihre Pferde aus. Und nachdem sie sie ein Weilchen hatte fressen lassen, schnallte sie eben doch den Trensenzügel ein. Nur ein bißchen, nur hier auf der Wiese! Mutter erfuhr es ja nicht.
„Los, Erika!“
Auch Erika konnte nicht widerstehen. Sie saßen auf, und Reni ließ den Hengst erst ein paarmal rund um die Wiese laufen, einerseits, um ihn munter zu machen – Ponys müssen immer erst warmgeritten werden – ‚ andererseits, damit er nicht allzu übermütig wurde. Er merkte dann gleich, daß sie ihn dressierte und nicht nur laufen ließ.
„Springen sie auch?“ fragte der Junge des Bauern, der natürlich keinen Blick von den kleinen Pferden ließ. Reni war bisher erst einmal gesprungen, als sie sich plötzlich vor einem Graben gesehen und nicht mehr den Entschluß aufgebracht hatte, den Hengst abzustoppen. Es war wirklich leicht gegangen.
„Natürlich“, sagte sie deshalb.
„Komm, wir bauen was auf!“ Der Junge warf seine Heugabel weg und lief nach der Stange, die später über den vollen Wagen kommen sollte, um ihm Halt zu geben. Er legte sie mit dem einen Ende auf den Rand des Ponywagens, das andere Ende hielt er in derselben Höhe in der Hand.
„Los, versuch mal! Oder muß es höher sein?“
„Nein, laß mal so.“
Reni war nicht recht wohl zumute. Aber einmal mußte man es ja zum erstenmal tun. Wenn der Graf nur nicht verweigerte und sie das Hindernis, über seinen Kopf wegfliegend, allein nahm?! Sie hatte schon Bilder von Hindernisrennen gesehen, wo sich Pferd und Reiter auf diese Weise trennten. Ach was, ein Versuch schadete nichts.
Sie ritt vorsichtshalber so an, daß der Graf in Richtung Heimat galoppierte. Da war die Gefahr, daß er umkehrte oder ausbrach, nicht so groß. Alle Ponys gehen müde, wenn sie losfahren, und wie das Donnerwetter, wenn es nach Hause geht.
„Los, hopp!“ feuerte sie ihn an, fühlte, wie er sich zum Sprung zusammenzog, und klemmte die Knie an. Nur nicht ins Kreuz fallen beim Aufsetzen! Aber sie spürte das Aufsetzen gar nicht. Der Graf galoppierte in einem Zuge weiter, als wäre der Sprung nur ein etwas längerer und höherer Galoppsprung gewesen. Atemlos und mit vor Erregung trockenem Mund wendete Reni das Pony am Ende der Wiese. „Na?“
„Wunderbar!“ beteuerte Erika.
„Soll ich noch mal?“ fragte Reni. Sie war jetzt außer Rand und Band und hatte Mutters Verbot ganz und gar vergessen. Noch mal! Der Graf schien Geschmack am Springen zu finden und ging los wie das Donnerwetter, als sie ihn auf das Hindernis zu lenkte. Diesmal wäre sie fast ausgestiegen, weil sie nicht so konzentriert aufpaßte wie vorhin. Der Sprung war schlecht. Sie ärgerte sich.
„Gleich noch mal!“
„Willst du wirklich, Reni?“ fragte Erika. Aber Reni sah und hörte nichts.
Sie sprang noch dreimal. Zwei Sprünge davon gelangen leidlich, aber Reni, voller Ehrgeiz, wollte unter allen Umständen noch einmal einen solchen landen wie den ersten. Der Graf war schon ganz aufgeregt, warf den Kopf und trat hin und her.
„Los!“ kommandierte Reni wieder.
Sie hatte sich eine Gerte abgebrochen, weil die Fahrpeitsche zu lang war, und trieb das Pony damit an. Ponys haben ein dickes Fell, und ein paar darübergezogene Hiebe tun ihnen nicht weiter weh. Damit war Reni sonst sehr sparsam, vor allem deshalb, weil sie den Kindern im Heim kein schlechtes Beispiel geben wollte. Die droschen sonst unentwegt auf den geliebten Pferden herum.
Jetzt wischte sie dem Hengst eins an die Vorderhand, und als das nicht viel nützte, knallte sie ihm, um ihn in Galopp zu bringen, eins über die Kruppe. Dieser Schlag war vielleicht schärfer ausgefallen, als sie wollte. Der Hengst bockte, galoppierte dann aber doch an, aber so, als wollte er sagen: „Gut, wenn du es nicht anders haben willst!“
Reni hatte beide Zügel in der linken Hand, um die andere für die Gerte frei zu haben. Das tat sie manchmal, auch wenn die Mutter es nicht leiden konnte. Jetzt, als sie merkte, daß das Pferd ihr davonging, war es ihr Glück. Sie ließ die Gerte durch die Hand gleiten und griff in die Mähne. Da war schon das Hindernis. Der Graf wollte ausbrechen, sie gab Schenkelhilfe, aber nicht exakt genug, dazu ging alles viel zu schnell. Der Hengst, der vorhatte zu verweigern, mußte doch noch springen, aber er sprang schräg. Reni, die das geahnt hatte, war auf eine noch schrägere Richtung gefaßt gewesen und räumte den Sattel. Sie überschlug sich und fiel mit dem Kopf so gegen das eine Rad des Wagens, daß es ihr wild wie mit tausend Hummeln im Schädel brummte.
Sie saß benommen im Gras. Erika erzählte ihr später, es habe nur eine halbe Sekunde gedauert, bis sie sich wieder aufgerichtet hatte. Ihr aber war, als läge der