Reni und die Ponys. Lise Gast

Reni und die Ponys - Lise Gast


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Wirklich keins?

      Ein Kuchen stand da, auch ein Lichterkranz, natürlich noch nicht angezündet. Auch Blumen, und die Tasse mit dem goldenen Rand, die nur an Festtagen benutzt wurde. Sonst nichts?

      „Wann kommen denn die anderen?“ fragte sie und sprang von einem Bein auf das andere. Nur ein wenig, damit Tante Mumme nicht nervös wurde. Aber stillstehen konnte man nun einmal am Geburtstag nicht. „Und frühstücken wir wirklich hier? Bei uns?“

      „Bei uns“ hieß die kleine Wohnung, die seit Mutters Einzug sogar eine Glastür bekommen hatte, damit sie richtig abgeschlossen werden konnte. Sie lag im Wirtschaftsgebäude des Heims, während sich drüben im anderen Haus die Schlaf- und Aufenthaltsräume für die Heimkinder befanden. Hier aber wohnten jetzt Vater und Mutter, ein Zimmer hatte Christian bekommen, und Reni teilte das, was sie von jeher innegehabt hatte, für dieses Jahr mit Erika. Dann gab es noch das Kaminzimmer. Reni fand, dieses sei das schönste von allen – und das kleine Wohnzimmer mit dem großen, breiten Glasfenster, an dem es so herrlich blühte. Seit Mutter keine Pferde mehr betreuen konnte, hatte sie ihr Herz für die Blumen entdeckt. Denn etwas mußte sie immer pflegen, außer den Kindern natürlich, die sie auch betreute, ihre drei „eigenen“, Christian, Erika und Reni, und die sechzig oder siebzig anderen, die alle sechs Wochen wechselten.

      Zur Familie gehörte auch Tante Mumme, Vaters Schwester. Aber sie wohnte nicht hier. Sie hatte sich ganz mit Absicht und mit dem Starrsinn, den nur ganz kleine Kinder oder ältere Leute aufbringen, ein Zimmer außerhalb der Wohnung ausbedungen. Freilich lag es gleich neben der Glastür, dort, wo auch die Tanten und die Küchenmädchen wohnten, außer derjenigen Tante, die Dienst hatte und für eine Woche im anderen Haus schlief. Dort gab es ein helles, kleines Zimmer für die Nachtwächterin, und eine der Tanten hauste dort immer acht Tage lang, um gleich zur Hand zu sein, wenn eins der Heimkinder einmal schlecht träumte, nach der Mutter rief oder nachts plötzlich krank wurde.

      Im Nachtwächterheim wurden auch manchmal lustige Feste gefeiert. Feste, zu denen man ganz heimlich im Schlafanzug erschien, und bei deren üppiger Bewirtung einen dann der Doktor überraschte, höchst erstaunt, drohend und brummend und schließlich auf den allgemeinen Spaß eingehend. Bei jedem Kinderkurs wurde dieser Jux gemacht, und es war furchtbar lustig zu beobachten, wie die jeweiligen Kinder sich benahmen, wenn der Doktor hereinschneite. Manche versteckten sich, andere machten sich gar nichts draus, wieder andere verstummten vor Schreck. Immer aber endete das Ganze mit einem großen, befreienden Gelächter, wenn der Doktor zugab, daß alles nur gespielt war und sich bei jedem Kinderkursus wiederholte.

      Reni hatte sich diesmal zu ihrem Geburtstag gewünscht, daß es ein Geburtstag ganz „in Familie“ würde. „Ganz unter uns! Weiter wünsche ich mir nichts!“ hatte sie immer wieder gesagt. Und so war also der Frühstückstisch an Mutters Blumenfenster gedeckt und nicht wie sonst im Wohnhof.

      „Wann kommen denn die anderen? Geht es nicht bald los?“ fragte sie neugierig. Tante Mumme schüttelte den Kopf.

      „Aber Reni! Wenn drüben gepackt wird! Denkst du wirklich, da hat Mutter Zeit und Ruhe?“

      Freilich, es war eine dumme Frage gewesen. Reni sagte sich das selbst und bemühte sich, kein saures Gesicht zu machen. Es gelang nicht ganz.

      „Früher wurde immer ganz frühzeitig beschert“, murrte sie, „vor dem Frühstück sogar. Früher ...“

      „Möchtest du denn, daß es noch so wäre wie früher?“ fragte Tante Mumme leise. „Daß du Mutter nur alle Vierteljahre einmal sehen könntest, und sie arbeiten müßte, weit von dir, bei anderen Leuten?“

      „Ach wo. Das möchte ich nicht. Nie mehr möchte ich das!“ rief Reni eilig und sich selbst genauso überredend wie Tante Mumme. „Dann frühstücken wir eben erst um zehn. Wenn ich bis dahin nicht tot umfalle vor Hunger oder vor Spannung platze.“

      „Spannung? Worauf denn? Ich denke, du hast dir nichts sehnlicher gewünscht als einen Geburtstag unter uns?“ fragte Tante Mumme scheinheilig.

      „Selbstverständlich! Gerade deshalb soll er zeitig anfangen!“ rief Reni bestimmt. „Eigentlich ist es ja gemein: Um sechs wird man durch ein Ständchen geweckt, und dann muß man bis wer weiß wann hungern!“

      „Komm, hier!“ Tante Mumme öffnete sogleich eine bunte Blechdose und schob Reni einen Keks in den Mund und ein paar weitere in die Hand. Sie zerfloß immer vor Mitleid, wenn man klagte. „Vielleicht kriechst du noch einmal ins Bett?“ riet sie. Reni lachte.

      „Nein, Tante Mumme, das kann ich nicht. Aber ich weiß was: Ich renne jetzt hinüber, drüben wird doch jetzt gewogen. Aufschreiben, wieviel jedes Kind in den letzten sechs Wochen zugenommen hat, das kann ich genauso gut wie Mutter. Und da vergeht die Zeit schneller. Außerdem kann Mutter inzwischen etwas anderes tun. Meinst du nicht?“

      „Ja, Reni, das ist ein guter Gedanke.“ Tante Mumme sah der davonlaufenden Reni liebevoll nach. Mitten im Hof stoppte diese übrigens plötzlich ab und drehte um. Tante Mumme wunderte sich. Dann aber lachte sie, denn gleich darauf hörte man es im Badezimmer rauschen. Reni holte das vorhin verschobene Duschen nach. Und Reni duschte immer so ausgiebig und heftig, daß das ganze Badezimmer schwamm.

      „Nein, hier! Du magst doch keine Jagdwurst“, rief Reni und hielt den Jungen, der schon beinah an ihr vorbeigeschoben war, am Ärmel fest. „Da, Schweizer Käse. So, aber die Wurstbrote gib wieder!“

      Die Kinder sahen jetzt, stadtfein gemacht, ganz anders aus als all die Wochen vorher. Sonst waren sie barfuß in Spielanzügen oder Shorts herumgesprungen, jetzt hatten sie Dirndlkleider und Schuhe und Strümpfe an, die Jungen Lederhosen und Joppen, manche sogar richtige Anzüge.

      Heute gab Reni den Reiseproviant aus. In zwei großen Waschkörben lagen handliche kleine Päckchen, in Pergamentpapier verpackt, und die Kinder zogen zu zweit vorbei, während Reni verteilte. Sie hatte im Lauf der letzten Kursuswochen beobachtet, was der eine gern aß und der andere nicht mochte. Deshalb konnte sie den einzelnen manches empfehlen. Manchem, der frech gewesen war oder überhaupt grundsätzlich am Essen mäkelte, gönnte sie es, wenn er einen Aufstrich erwischte, den er nicht mochte.

      Schließlich waren alle Abfahrenden im Hof versammelt und sangen das Abschiedslied:

      Wahre Freundschaft soll nicht wanken,

      wenn sie gleich entfernet ist,

      lebet fort in den Gedanken,

      und der Treue nicht vergißt ...

      Das große Gepäck war schon verfrachtet, der Wagen bereits aus dem Hof gerollt; Tante Thea stand, im Kostüm, die Wandertasche über der Schulter, bereit. Sie begleitete den Kurs und kam erst morgen wieder. Die anderen Tanten hatten frei bis nach Pfingsten.

      „Na, wer von euch möchte einmal wiederkommen?“ fragte sie, als der letzte Ton verklungen war.

      „Ich, ich, ich!“ rief es von überall, und die Mädchen drängten sich an sie heran. Reni stand ein wenig abseits und lächelte.

      So leicht kam keins der Kinder wieder. Mitunter schon, aber selten. Wirklich wiedergekommen war eigentlich nur sie, Reni.

      Sie dachte daran, wie es früher gewesen war, wenn die Heimkinder abgefahren waren. Dann standen das große Haus und der geliebte Wohnhof leer, Tante Mumme suchte Zuflucht in der Küche und braute sich als Trost einen extra starken Kaffee. Wenn Reni allein vom Bahnhof zurückkam, fragte Tante Mumme, was für einen Pausenkuchen sie sich diesmal wünsche. Und Reni hatte dann die Tage gezählt, manchmal sogar die Stunden, bis die nächsten Kinder kommen würden.

      Jetzt war das anders. Auch wenn nicht Geburtstag war, fieberte sie immer der Zeit entgegen, in der sie „in Familie“ lebten. Nein, traurig war sie nie mehr, wenn die Heimkinder abfuhren, so nette auch manchmal darunter waren.

      „Ja, ich schreib dir, Inge“, versprach sie eifrig, während sie ringsum Hände schüttelte. „Ihr müßt aber auch schreiben! Ja, die Fotos bekommt ihr noch, das macht diesmal Christian, da geht es schnell. Ja, ich habe eure Anschriften!“

      Endlich waren sie fort. Die letzte winkende Hand


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