Reni und die Ponys. Lise Gast
festhalten, aufspringen.“
„Im Galopp?“ fragte Erika zweifelnd.
„Freilich im Galopp“, sagte die Mutter lächelnd, „das klingt vielleicht doll, ist aber nicht so schwer. Sonst würden es ja so kleine Knirpse gar nicht schaffen! Und die schaffen noch mehr! Sie schlagen im Reiten die Beine über, vorn, hinten, ein zweites Kind springt auf, manchmal sogar drei hintereinander. Und ich hab schon gesehen, wie kleine Jungen und kleine Mädel sich während des Reitens auf den Pferderücken stellten, die Jungen mit den Händen in den Hüften, die Mädel die kurzen Röckchen rechts und links angefaßt wie kleine Tänzerinnen. Ja, mit meinen eigenen Augen hab ich das gesehen! Und dann sogar, wie eins dieser Kinder einem andern auf die Schultern kletterte, mitten im Galopp, und sie so ein kurzes Stück weiterritten und dabei lachten, als wäre es gar nichts. Ich kann euch Bilder davon zeigen!“
„Tatsächlich, Mutter? Aber das können wir doch auf den Shetlands nicht?“ fragte Reni.
„Nein, dazu sind sie zu klein für euch. Vielleicht lernt es aber das eine oder andere kleinere Kind, das zu uns ins Heim kommt. Wir wollen ja die Pferdchen nicht nur für euch haben.“
„Oooch“, sagte Reni gedehnt. Der Vater drohte ihr mit dem Finger.
„Reni? Nicht schon wieder maulen!“
„Aber gehören tun sie doch uns?“ vergewisserte sie sich kleinlaut.
„Freilich. Und zunächst sollt ihr auch reiten, das ist klar“, sagte die Mutter. „Ich gebe euch Stunden. Ach, Paul, ich freue mich ja so! Endlich wieder Pferde, endlich wieder Fellgeruch und Wiehern und Hufgetrappel und Lederzeug!“
„Natürlich. Wir sind jetzt alle abgemeldet“, sagte der Doktor ergeben, „jetzt gibt es endlich was, das du bemuttern kannst. Was ist eine leicht wacklige Tante Mumme, was sind drei Kinder – jaja, Christian, du bist auch noch eins, auch wenn du heimlich rauchst, ich weiß das doch, mein Sohn – gegen zwei Ponys. Vom dicken, gichtbrüchigen, pflegebedürftigen Onkel Doktor gar nicht zu reden, geschweige denn von den Heimkindern, die nach einem verstehenden Mutterherzen verlangen!“
„Du bist unverschämt“, lachte Mutter. „Man kann doch außer für Menschen auch noch ein Herz für Pferde haben.“
„Na, weißt du, wenn du noch nie was Verkehrtes gesagt hast, das die Tatsachen völlig auf den Kopf stellt, dann eben jetzt!“
Die Mädchen lachten, Christian grinste, und Tante Mumme klopfte Mutters Hand. Aber all dies Hin und Her störte nicht den wundervollen Tag, der genauso schön weiterging, wie er angefangen hatte. Und übermorgen schon sollten die Ponys geholt werden – es war einfach nicht auszudenken!
II.
„Nein, Reni, heute nicht“, sagte die Mutter. Sie hatte sich über Mittag hingelegt. Draußen herrschte eine glühende Augusthitze. Das Heim war voll, eigentlich überbelegt. Reni stand in der Tür des Schlafzimmers und machte ein saures Gesicht. Die Mutter sah es trotz des Dämmerlichts, das hier herrschte. Sie hatte die Läden vor die Fenster geschlagen.
Sie seufzte ungeduldig. Ihre Mittagsruhe war nach Minuten bemessen. Den ganzen Vormittag hatte sie in der heißen Küche gestanden, und nachmittags wartete ein Riesenberg Mirabellen, der eingekocht werden sollte, auf sie. Und die Hitze nahm sie so schrecklich mit. Daß Reni das nicht verstand!
Freilich, Reni war jung, und das Wort „müde“ gab es in ihrem Wortschatz nicht. Mutter konnte zum Beispiel nie begreifen, wie es ihr und Erika möglich war, in der Stunde nach Tisch Schularbeiten zu machen. Zu einer Zeit, in der jeder Erwachsene unfähig ist, geistig zu arbeiten, ja, überhaupt zu denken, wie ihr schien.
„Nun maul nicht“, sagte sie heftiger, als sie wollte, als sie Renis Gesichtsausdruck sah, „kannst du dir denn nicht vorstellen, daß ich kaputt bin? Vielleicht können wir abends reiten.“
„Ach, abends! Da hast du ja auch nie Zeit.“
Mutter wollte etwas sagen, schwieg aber dann. Sie legte sich zurück und sah zur Decke hinauf. „Nicht aufregen“, hatte Vater gesagt, „nicht ärgern.“ Sie war aber nicht verärgert, das wußte sie im tiefsten, sie war gekränkt. Daß es Reni fertigbrachte, so häßlich zu sein! Sie hatte doch jetzt wahrhaftig alles, was sie sich je gewünscht hatte. Und was tat sie? Sie stand da und maulte!
„Gut, dann reiten wir auch abends nicht“, sagte sie jetzt zornig. „Ich hätte es möglich gemacht, aber wenn du so bokkig bist!“
„Dürfen wir denn nicht ein einziges Mal allein reiten?“ fragte Reni und gab sich Mühe, es so bescheiden und freundlich wie möglich zu sagen.
„Reni, ich möchte es nicht. Der Graf ist ein Hengst, und ein Hengst ist und bleibt ein Tier, das stärker, wilder und gefährlicher ist als ein anderes Reitpferd, auch bei Ponys. Du weißt ...“ Sie brach ab. Dann begann sie von neuem: „Hör, ich habe eine Idee. Spannt die Kutsche ein und fahrt ein Stück, Erika und du. Ja, fahren dürft ihr. Nehmt den Klaus Schmidthenner mit, er langweilt sich so in seinem Gehgips. Und meinetwegen auch sonst noch irgendein Kind, aber eins von den größeren, aus dem oberen Schlafsaal. Und daß mir nichts passiert, Reni, hörst du? Nicht so verrückt fahren!“
„Sollen wir nicht vom Schraderhof Heu holen? Wir müssen doch welches haben“, fragte Reni.
„Ja, fahrt hin und fragt, ob ihr heute schon eine Fuhre bekommen könnt. Zurück müßt ihr aber laufen. Nur den Klaus setzt drauf, aber das Heu gut packen, verstehst du?“
„Natürlich!“ Reni verabschiedete sich eilig. Sie hatte Angst, die Erlaubnis könnte sonst wieder zurückgezogen werden.
Mutter, die sich gefreut hatte, daß sie nun noch einigermaßen übereingekommen waren, sah ihr betrübt nach. Hätte ihr nicht Reni noch etwas Freundliches sagen können?
Es war ja klar, daß das Kind wegstrebte. Kein Mädchen in diesem Alter sitzt gern bei der Mutter, der es nicht gutgeht, und spricht ihr zu, während es draußen Ponys und Kameraden gibt. Aber daß sie so gar nichts fragte! Christian war da ganz anders.
Aber die Mutter irrte sich. Reni dachte wohl an sie; sie hatte sie nicht vergessen, sobald sie die Tür hinter sich zugemacht hatte. „Mutter ist so anders jetzt“, dachte Reni, „und dabei sagt Vater doch, das Bein ist abgeheilt. Es ist beinahe, als gäbe es für Mutter jetzt wichtigere Dinge als die Pferde – und als die Tochter!“ Nein, das war häßlich gedacht. Aber es war doch wahr, immerfort sagte Mutter „nein“. Ein Wunder, daß sie heute wenigstens fahren durften!
Reni sprang zur Liegewiese hinauf. Erika lauerte schon. „Dürfen wir?“ fragte sie, als Reni atemlos anlangte. Reni nickte. „Fahren! Reiten nicht!“
Erika war enttäuscht.
Auch sie hatte Geschmack am Reiten gefunden. Freilich, sie ritt die Gräfin, und das war keine Kunst oder doch jedenfalls ungleich leichter und ungefährlicher. Die Gräfin war brav und willig und tat eigentlich alles, was der Graf ihr vormachte. Der Graf aber, „Egon der Faule“ – du lieber Himmel, wie man sich in einem Pferd doch täuschen konnte!
Reni hatte sich getäuscht, Mutter und die anderen übrigens auch. So etwas von Feuer und Temperament hatte keiner in dem kleinen Hengst vermutet, und Reni war oft drauf und dran gewesen, zu Mutter zu sagen: „Ich schaff es nicht. Wir wollen ihn umtauschen. Er ist mir zu wild.“
Sie hatte es aber doch nicht gesagt. Unzählige Male war sie heruntergeflogen, es gab keine Stelle an ihrem Körper, die nicht schon blaue Flecke gehabt hatte – zur Erinnerung an diesen frechen Ponyherrn. In letzter Zeit aber war es besser geworden. Reni hatte das Gefühl, als erkenne er sie jetzt an, als habe er begriffen, daß sie nicht nachgab. Und gerade jetzt durfte sie nicht weiterreiten! Bis morgen hatte er bestimmt alles vergessen, und der Hafer stach ihn wieder wie eh und je.
Ja, wahrhaftig, der Hafer. Sie gab ihm nämlich heimlich Hafer, obwohl das im Sommer angeblich nicht nötig war. Aber Hafer schadet doch nie, oder? Man sah es auch am Fell: der Graf spiegelte und glänzte, und seine Augen funkelten, wenn er stand und darauf wartete, daß sie aufsaß. Wenn