Reni und die Ponys. Lise Gast

Reni und die Ponys - Lise Gast


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kein Frühstück gibt, verlange ich das Beschwerdebuch!“ rief sie, als Tante Mumme in der Tür des Wirtschaftsgebäudes erschien. Die lachte.

      „Brauchst du nicht! Es kann sofort losgehen. Aber wollen wir nicht noch umdecken? Es ist so schön draußen. Da ist ja auch Erika – guten Morgen, du Langschläfer!“

      Erika lachte und half den Tisch unter der alten Kastanie decken. Reni schleppte schon das Tablett mit den Tassen heran, Christian trug den Kuchen heraus, Tante Mumme die Kaffeekanne, und Mutter brachte den Lichterkranz und rief nach Vater.

      „Ich zünde an! Jetzt geht endlich der Geburtstag richtig los!“

      Nun saßen sie also allesamt um den verspäteten Frühstückstisch, Reni obenan auf dem Ehrenplatz, und aßen und tranken. Im Augenblick wurde kein Wort gesprochen, sogar Renis Mund, die „Klappermühle“, wie Christian sagte, schwieg. Das war kein Wunder. Denn tatsächlich: nur der Kuchen, der Lichterkranz und die Blumen prangten vor dem Platz für das Geburtstagskind. Sonst nichts. Kein Buch, keine Tafel Schokolade, nichts zum Anziehen. Reni versuchte, so zu tun, als wundere sie das gar nicht. Aber es gelang ihr nicht richtig. Alle lachten, Christian am meisten.

      „Nun weine mal nicht, wir wollten so gern sehen, wie ein Mensch aussieht, dem der größte Wunsch in Erfüllung gegangen ist“, grinste Christian.

      „Ich weine ja gar nicht“, sagte sie und verspürte die größte Lust, ihm die Zunge herauszustrecken, so lang sie war. Große Brüder hatten auch ihre Nachteile, das wußte sie nun schon. Aber sie tat es nicht, nein, nun gerade nicht. Sehr beschäftigt bot sie Kuchen an und gab Milch und Zucker herum, und dabei war sie im Innersten ganz fest davon überzeugt, daß noch was kommen mußte. Sie kannte doch ihren Doktoronkel – ihren Vater vielmehr! Während sie das dachte, mußte sie so lachen, daß er ganz erstaunt aufsah.

      „So vergnügt habe ich dich ja noch an keinem Geburtstag gesehen“, sagte er. „Von jetzt an gibt es nie mehr etwas anderes als einen ungestörten Tag in der Familie!“

      „Von mir aus!“ lachte Reni und blinzelte ihm zu. „Wann fahren wir denn?“ Sie hatte gesehen, daß der Wagen schon draußen stand, Vaters alter grauer Doktorwagen.

      „Hast du es doch schon verraten, du Bengel!“ sagte der Doktor ärgerlich. „Du bist doch das reinste Waschweib, Christian. Ich sage nie wieder etwas.“

      „Was habe ich denn verraten?“ fragte dieser empört. Er sagte es absichtlich in einem möglichst frechen, schnippischen Ton.

      „Daß wir zu den Ponys fahren wollen“, sagte sein Vater aufgebracht. „Ich finde, man muß auch den Mund halten können. Wenn es schon nichts anderes als diese einzige Überraschung zum Geburtstag geben soll, dann muß es auch eine bleiben.“

      „Zu den Ponys? Vater, wirklich? Ist das wahr?“ jubelte Reni und fiel dem neben ihr sitzenden Doktor so stürmisch um den Hals, daß seine Brille verrutschte. „Kaufen wir sie schon? Oder wollen wir sie nur ansehen? Vater, ist es weit? Und fahren wir jetzt gleich?“

      „Ich glaube, Paul, jetzt hast du dich selbst verplappert“, sagte die Mutter trocken. Alle lachten. Der Vater schlug sich auf den Mund.

      „Hab ich? Aber wenn Christian doch ...“

      „Ich habe keine einzige Silbe gesagt!“

      „Du hast gesagt ...“

      „Ich habe gar nichts ...“

      „Nun zankt euch nicht, sondern eßt“, mahnte Tante Mumme und schob dem Vater ein zweites Stück Kuchen auf den Teller. „Verraten ist es nun einmal, und ich finde, Reni kann sich auf der Hinfahrt noch ein bißchen vorfreuen, wenn sie schon sonst nichts bekommt, das arme Kind.“

      „Das arme! Nur ein lebendiges Pony oder zwei!“ höhnte der Doktor und schob das Kuchenstück fast auf einmal in den Mund. „Wir bekamen zum Geburtstag ein Lineal, als wir so alt waren, oder ein Schreibheft! Und jetzt heißt es: ‚Nur ein Pony. Oder zwei! Oder drei!‘“

      „Wer spricht denn von dreien“, sagte die Mutter schnell, „übertreib doch nicht so mörderisch! Außerdem habt ihr euch um meinetwillen die Ponygeschichte ausgedacht oder etwa nicht? Reni wird sowieso nur vorgeschoben, damit du deine Frau verwöhnen kannst, ohne daß es zu sehr auffällt.“ Sie sagte das lustig, aber man hörte den zärtlichen Ernst dahinter. Der Doktor winkte ab.

      Aber es war so. Er und Reni hatten sich ausgedacht, für Mutter ein oder zwei Shetlandponys zu kaufen, weil sie nach ihrer Beinverletzung nie wieder würde reiten können und Pferde doch so sehr liebte. Bisher war man noch nicht dazu gekommen, diesen Plan auszuführen, nur gesagt hatten sie es ihr. Der Doktor war von jeher unfähig gewesen, eine Überraschung bei sich zu behalten, und so hatte er es ihr noch vor der Hochzeit verraten. Jetzt aber war es Mutter gewesen, die auf diesem Plan bestand. Und es war ihre Idee, ihn heute, an Renis Geburtstag, zu verwirklichen. Ach, das war wahrhaftig ein Geburtstagsgeschenk, wie es Reni nie bekommen, ja, niemals auch nur erträumt hatte!

      „Wann fahren wir denn? Jetzt gleich?“ drängte sie schon wieder, und der Vater meinte, er würde sich nie wieder solch eine ewig quälende und ungeduldige Tochter anheiraten.

      „Nicht einmal in Ruhe frühstücken läßt sie einen!“ stöhnte er. Dabei kam sein Frühstück heute wahrhaftig nicht zu kurz!

      Ein langgestrecktes Gebäude, niedrig, daneben ein zweites, dem man ansah, daß es nichts als Ställe enthielt: Sie waren da. Vater bremste, und Erika und Reni purzelten fast aus dem Wagen, so eilig hatten sie es, auszusteigen. Sie standen schon am Tor und hopsten vor Aufregung von einem Fuß auf den andern, als die Erwachsenen endlich nachkamen.

      Eine freundliche Frau öffnete ihnen und begrüßte sie. Sie war sofort im Bilde. Vater hatte ihr schon geschrieben. Sie sah die beiden Mädchen an und lachte.

      „Ja, ihr werdet schon lieb mit unseren Kleinen sein, nicht wahr“, sagte sie erleichtert, als sie die vor Begierde und Glück brennenden Augen der beiden gesehen hatte.

      „Hallo! Hansjörg! Günter!“ rief sie, und dann steckte sie die Knöchel von Zeige- und Mittelfinger der rechten Faust zwischen die gerundeten Lippen und pfiff.

      Nicht sofort, doch bald trudelten zwei Jungen heran, etwa acht- und zehnjährig, die die Frau als ihre Söhne vorstellte. Auch sie sahen die Mädchen mit abschätzenden Blicken an, die mehr ihrer Größe als ihren Augen galten.

      „Der kann aber nicht mehr drauf reiten“, sagte der Kleinere grollend und zeigte mit dem Daumen auf Christian. Seine Mutter gab ihm einen kleinen Puff in die Seite.

      „‚Der‘ sagt man nicht, und zur Kundschaft schon gar nicht“, verwies sie ihn. Dann gingen sie alle miteinander los.

      Sie betraten keine glatten, gepflegten Koppeln, auf denen nur Gras wuchs. Eher war es eine kleine Wildnis, mit Heidekraut, halbhohem Gebüsch, einem kleinen Bach, der sich an einer Stelle zu einem flachen Becken verbreiterte, mit Bäumen, vor allem Birken, und einem steilen kleinen Hügel. Die Frau pfiff noch einmal.

      Dann kamen sie heran, nickende, dickbebuschte kleine Köpfe, runde Rücken, glänzende, aufmerksame Augen. Reni und Erika hatten Mutter natürlich unzählige Male gefragt, wie Shetlandponys aussähen, wie groß oder vielmehr wie klein sie seien, und sie hatten sich unwillkürlich kleine Pferde darunter vorgestellt. Jetzt waren sie eigentlich im ersten Augenblick enttäuscht, zum mindesten verblüfft.

      Erstens waren die Ponys zwar klein, viel, viel kleiner als Pferde natürlich, aber sie wirkten nicht klein. Das kam daher, daß sie so außerordentlich stämmig waren, breit, mit prallen Kruppen und kräftigen, runden Rücken. Sie hatten komische, kurze Beine, an denen allerdings die niedlichsten Hüfchen saßen, mit einer kaum handtellergroßen Fläche. Doch, sie waren reizend! Nur komisch, ein bißchen verbaut, beinahe verkrüppelt sahen sie aus, wenn man an richtige Pferde gewöhnt war. Aber das war nur der erste Eindruck.

      „Sieh nur, das dort! Eine Schecke! Und das braune mit dem dunklen Streifen auf dem Rücken! Und das ...“, Reni und Erika waren sich gar nicht bewußt, daß sie beinahe schrien. Auch Mutter und Tante Mumme tauschten laut und aufgeregt


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