Depression. Das Richtige tun. Dr. Christine Hutterer
durch die Krankheit des anderen entstanden. Dennoch verbieten sich viele Angehörige diese Emotionen oder fühlen sich schlecht dabei. Es erscheint ihnen moralisch und emotional nicht richtig, sich zu beschweren. Schließlich ist man selbst gesund, während der andere doch tatsächlich krank ist. Also versucht man, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und noch mehr zu helfen – doch die Lage verbessert sich nicht. Gerade darin liegt eine Gefahr:
Angehörige glauben häufig, die Krankheit in den Griff zu bekommen und die Situation kontrollieren zu können. Das funktioniert leider nicht. Die Hilflosigkeit kombiniert mit Selbstüberschätzung kann sehr belastend sein, es kommt immer wieder zu Misserfolgen und Enttäuschungen. Auf diese Weise können Sie dem Kranken nicht helfen, es kann sogar seine Situation verschlechtern und Sie selbst krank machen.
Wahrscheinlich lesen Sie dieses Buch, um zu erfahren, wie Sie mit der Gesamtsituation, Ihren teilweise widerstrebenden Gefühlen und dem Betroffenen umgehen sollen. Doch vor dem Handeln steht eine bedeutende, schwierige, aber sehr wichtige Aufgabe: die Krankheit Depression zu akzeptieren. Aber was bedeutet das für Sie nun genau?
Verstehen und helfen
Auch der Betroffene versteht nicht, was mit ihm geschieht. Er merkt nur, dass etwas mit ihm nicht stimmt, dass sich eine innere Leere und bleierne Müdigkeit ausbreiten. Wahrscheinlich kämpft er sogar dagegen an und versucht, den Alltag zumindest in einigen Bereichen aufrechtzuerhalten. Beispielsweise versucht er, den Arbeitsalltag noch so gut es geht zu absolvieren. Doch dann ist zu Hause keine Kraft mehr übrig für die Beziehung zum Partner, zu den Kindern oder Freunden. Unverständnis gerade der Menschen, die ihm am nächsten stehen, verstärkt dann das Gefühl des Versagens und der Hilflosigkeit.
Die Symptome als Teil der Krankheit erkennen
Vielleicht wehren Sie sich noch dagegen, anzuerkennen, dass der Betroffene nicht aus Unlust, Faulheit oder mit irgendeiner Absicht so handelt, wie er es tut. Vielleicht haben Sie an sich schon beobachtet, dass Sie den Zustand des Betroffenen kleinreden möchten. „Jeder hat mal eine schwere Zeit, da muss man sich zusammenreißen“ oder „Man kann doch wohl erwarten, dass sich der Betroffene ein bisschen mehr anstrengt. So schlimm kann das doch gar nicht sein.“ Kennen Sie solche Gedanken? Das wäre nicht verwerflich, das Verhalten eines depressiv Erkrankten ist für andere schwer nachvollziehbar. Doch selbst wenn es schwerfällt, dies voll und ganz zu begreifen: Die typischen Symptome wie mangelnder Antrieb, ständige Müdigkeit und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit sind die Krankheit. Ein depressiv erkrankter Mensch kann nicht sagen: „Ich bin zwar gerade in einer depressiven Phase, aber ich komme da wieder raus, das wird wieder besser.“ Zur subjektiven Realität des Kranken gehört die Überzeugung, dass es keinen Ausweg gibt und dass es nie wieder besser werden wird.
Dass es sich beim Zustand Ihres Angehörigen um eine Depression handelt und dass dies eine Krankheit ist, wissen Sie wahrscheinlich schon länger. Aber im Vergleich zu anderen Erkrankungen ist das Bild so schwer greifbar. Was ist diese Depression? Symptome wie „Antriebslosigkeit“ oder „Niedergeschlagenheit“ sind zunächst nur abstrakte Begriffe. Umfangreiches Wissen zum Wesen der Krankheit, zu möglichen Ausprägungen, Folgen und Auswirkungen können dabei helfen, Ihre Sicht auf den Betroffenen zu verändern und den Einfluss der Krankheit auf Ihren Alltag zu erkennen. Wenn Sie verstehen, dass die Depression es unmöglich macht, den Betroffenen auf herkömmliche Art aufzumuntern, kann Ihnen das Enttäuschungen ersparen und Sie können die Energie in anderen Bereichen besser einsetzen. Sie sollten also lernen, die Krankheit wirklich zu verstehen, damit Sie selbst während dieser schweren Phase gesund bleiben und Ihren Angehörigen möglichst gut begleiten können.
Es kann helfen, sich vor Augen zu führen und darüber zu informieren, dass eine Depression tatsächlich nachweisbare Veränderungen im Gehirn bewirkt (siehe S. 29). Niemand sucht sich aus, depressiv zu sein, und niemand ist schuld daran, zu erkranken.
Die Belastung für die Beziehung akzeptieren
Wenn es gelingt, wirklich zu verstehen, dass das Verhalten des Betroffenen Teil der Krankheit ist, kann das eine große Erleichterung sein. Anstelle des Nichtwahrhabenwollens tritt nun die Akzeptanz der Diagnose. Wichtig ist dann Folgendes:
Nach der Diagnose möchten die meisten Angehörigen gern etwas tun. Sie wollen helfen, damit es dem Betroffenen besser geht und die Krankheit möglichst schnell überstanden sein wird. Alles soll so bald wie möglich wieder so sein wie früher. Doch leider ist es nicht so einfach. Die Behandlung einer Depression braucht Zeit – ebenso brauchen Sie Zeit, um einen Weg zu finden, gut damit umzugehen.
Angehörige und auch Freunde finden sich häufig in dem Zwiespalt wieder, einerseits helfen zu wollen, aber gleichzeitig der bedrückenden Stimmung entkommen zu wollen. Eine depressiv erkrankte Person in der näheren Umgebung ist eine schwere Belastungsprobe für eine Beziehung, egal, ob es sich um eine Paarbeziehung, eine Eltern- Kind-, Geschwisterbeziehung oder enge Freunde handelt. Nicht jede Erkrankung führt dazu, dass Beziehungen kaputtgehen. Aber es ist im Bereich des Möglichen, denn die Negativität, Schwere und Leere kann tief in eine Beziehung eindringen. Unter Umständen ist es wichtig, dass Sie sich selbst davor schützen (siehe S. 164).
Dem Wesen der Krankheit ins Auge blicken
Die Krankheit zu akzeptieren bedeutet vor allem, sich von unrealistischen Hoffnungen zu verabschieden:
Verstehen und