Depression. Das Richtige tun. Dr. Christine Hutterer
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Es liegt auf der Hand, dass eine solche Einteilung nur eine grobe Orientierung ermöglicht. Die Diagnose „schwere Depression“ mag Ihnen Angst machen, doch auch schwere Depressionen sind gut behandelbar. Umgekehrt sollten Sie und Ihr Angehöriger eine „leichte Depression“ nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dies bedeutet nicht, dass es sich nur um eine banale Erkrankung, kaum mehr als ein bisschen Niedergeschlagenheit oder gedrückte Stimmung, handeln würde. Damit die Diagnose „leichte Depression“ gestellt wird, müssen bereits zwei der Hauptsymptome über mindestens zwei Wochen vorliegen. Auch eine leichte Depression sollte daher unbedingt von einem Arzt behandelt werden.
Angehörigengespräche
Es kann sein, dass der Arzt oder Psychotherapeut die Einschätzung der nahen Angehörigen benötigt, um sich ein umfassendes Bild machen zu können. Denn der Betroffene schildert die Lage aus seiner, mitunter durch die Krankheit beeinflussten Sicht. Vielleicht fühlt es sich für Sie auch gut an, gehört zu werden. Denn viele Angehörige fühlen sich alleingelassen mit der depressiven Erkrankung eines nahestehenden Menschen. Sie wollen helfen, haben aber den Eindruck, dass sie nichts tun können, was die Situation für alle verbessert.
Selbstverständlich können Sie um ein Gespräch mit dem Arzt oder dem Therapeuten bitten. Den Kontakt dafür sollte aber der Betroffene selbst herstellen. Er muss entscheiden, ob er das möchte. Hilfreich ist es, wenn Sie dem Betroffenen erklären, dass Sie gerne wüssten, wie die Therapie abläuft, welche Entwicklungen zu erwarten sind und wie Sie ihn unterstützen können.
Ob ein Angehörigengespräch zusammen mit dem Betroffenen oder allein zwischen dem Arzt und Ihnen stattfindet, ist ein Punkt, der besprochen werden sollte. Manche Patienten empfinden es als unangenehm, wenn sie an dem Gespräch nicht teilnehmen, weil das Gefühl entsteht, dass nicht mit ihnen, sondern über sie gesprochen wird. Andere wiederum stört das nicht. Falls es Ihnen wichtig ist, allein mit dem Arzt zu sprechen, versuchen Sie dem Betroffenen zu erklären, warum das so ist. Sorgen Sie sich beispielsweise über die Medikamente und Nebenwirkungen und möchten Ihre Beobachtungen oder Befürchtungen lieber nicht vor dem Betroffenen äußern, so erklären Sie ihm, dass es darum geht. Je ehrlicher Sie mit Ihren Wünschen und Sorgen umgehen, desto klarer zeigen Sie dem Betroffenen, dass Sie seine Erkrankung und seine Beschwerden ernst nehmen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für einen vertrauensvollen Umgang.
Nicht alle Ärzte und Psychotherapeuten suchen den Kontakt zu den Angehörigen. Auch darauf sollten Sie sich einstellen. Möglicherweise passt aber ein Gespräch im Verlauf der Behandlung besser in das Therapiekonzept.
Depression ist eine Krankheit!
Eine Depression ist eine ernste psychische Erkrankung. Das zu verstehen ist auch für Sie besonders wichtig.
Depressionen können, was die Schwere und die Art der Symptome und auch die begleitenden Umstände angeht, sehr unterschiedlich sein. Eine depressive Episode kann einmalig im Leben auftreten oder auch mehrfach. Zwischen den Episoden können Jahre bis Jahrzehnte liegen, in denen ein ganz normales Leben möglich ist. Daneben gibt es aber auch chronische Depressionen, die nie ganz weggehen. Doch bei allen Unterschieden im Krankheitsbild und zwischen den Menschen, die erkranken, gibt es eine wichtige Botschaft, die es zu verinnerlichen gilt: Depressionen sind grundsätzlich gut behandelbar. Eine Depression ist eine ernste und ernst zu nehmende Erkrankung, der nur mit medizinischer Hilfe beizukommen ist. Mit einer passenden Therapie kann sie jedoch gut behandelt werden. Je früher mit der Behandlung begonnen wird, desto besser. In vielen Fällen ist eine Kombination aus Medikamenten und einer Psychotherapie hilfreich. Tiefergehende Informationen zu den Therapiemöglichkeiten erhalten Sie ab S. 129.
Veränderungen im Gehirn
Doch was passiert im Körper, wenn ein vormals gesunder Mensch an einer Depression erkrankt? Wenngleich die exakten Zusammenhänge und Vorgänge bei der Entstehung der Krankheit noch nicht vollständig geklärt sind, weiß man inzwischen, dass bei depressiv Erkrankten die Botenstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin häufig nicht in ausreichender Menge zwischen den Nervenzellen vorhanden sind. Diese Botenstoffe haben unterschiedliche Funktionen im Körper, was auch erklären kann, warum bei einer Depression eine große Vielfalt an Symptomen auftreten kann. Ist einer oder sind mehrere der Neurotransmitter nicht in einer physiologisch notwendigen Menge vorhanden, gerät das System aus dem Gleichgewicht.
Eine Depression beruht jedoch nicht allein auf einer zu geringen Konzentration eines dieser Neurotransmitter. Untersuchungen des Gehirns von Menschen, die unter einer Depression leiden, und gesunden Menschen haben gezeigt, dass bei Ersteren unterschiedliche Strukturen im Gehirn ebenfalls verändert sein können, etwa der Mandelkern (Amygdala), der Thalamus und der Hippocampus. Erkenntnisse wie diese machen deutlich, dass eine Depression nicht nur „schlechte Laune“ oder Traurigkeit ist, sondern eine manifeste Krankheit. Sie entsteht im Gehirn. Da das Gehirn die Kontrolle über alles – Stoffwechsel, Gedanken, Gefühle, Bewegungen, Schlaf usw. – in einem Menschen hat, kann sich die Krankheit an verschiedensten Stellen im Körper, also anhand von physischen Symptomen (siehe S. 13) und in veränderten Denkmustern, Empfindungen und Verhaltensweisen zeigen (siehe ab S. 11).
Auslöser von Depressionen
Früher versuchte man, die Art der Depression nach ihrer wahrscheinlichsten Entstehungsursache zu klassifizieren. Man unterschied zwischen einer endogenen (v. a. erblichen), neurotischen und reaktiven Ursache. Heute weiß man jedoch, dass die meisten Depressionserkrankungen durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren bedingt sind. Eine familiäre Veranlagung, Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn sowie Einflüsse der Persönlichkeitsentwicklung (psychosoziale Faktoren) können in unterschiedlicher Weise auf die Entstehung einer Depression einwirken. Beispielsweise können der frühe Verlust eines Elternteils, Störungen in der Eltern-Kind-Beziehung oder mangelndes Selbstwertgefühl zu größerer Verletzlichkeit später im Leben führen. Auch Verlusterlebnisse oder Traumata in der Kindheit (z. B. sexueller oder seelischer Missbrauch, Erleben von Katastrophen) können den Ausbruch einer Depression im Erwachsenenalter begünstigen.
Krisen- und Stresssituationen (z. B. die Trennung vom Partner, Fehlgeburt oder Tod eines Kindes oder einer geliebten Person, Verlust des Arbeitsplatzes, Erleben einer schweren Krankheit, Mobbing), aber auch andere, primär positive Ereignisse wie eine Heirat, die Geburt eines Kindes oder eine Beförderung