Depression. Das Richtige tun. Dr. Christine Hutterer
es wurde wieder heller. Eine solche Erfahrung gehört zu den Höhen und Tiefen des Lebens. Das ist keine Depression!
Eine Depression ist anders. Wer noch keine Depression hatte, kann sich nur schwer vorstellen, wie sie sich anfühlt. Betroffene beschreiben häufig einen Zustand völliger Unfähigkeit, etwas zu tun. Sie fühlen sich wie hinter einer Milchglasscheibe. Alles ist zu viel und zu anstrengend, selbst für die einfachsten Tätigkeiten fehlt schlicht die Kraft. Innerlich besteht eine große Leere. Das liegt auch daran, dass die Gefühle gedämpft oder einfach nicht mehr spürbar sind. Sie fühlen sich innerlich tot, selbst die Farben verblassen.
„Normale“ Gefühle wie Freude, zum Beispiel weil das eigene Kind eine neue Fertigkeit erlernt hat oder ein Projekt bei der Arbeit sehr erfolgreich beendet wurde, sind einfach weg. Dabei wissen die Betroffenen sehr wohl, dass jetzt der Moment wäre, in dem sie sich freuen „müssten“ (und es früher auch getan hätten). Es sind jedoch nicht nur die positiven Gefühle wie Freude oder Zuversicht, die bei einer Depression nicht mehr fühlbar sind. Betroffene fühlen sich vielmehr aller Gefühlsregungen beraubt.
Das löst bei Betroffenen häufig große Angst aus. Angst davor, nie mehr etwas fühlen zu können, aber auch Angst vor dem Versagen, zum Beispiel davor, keine gute Mutter zu sein, vor schwerwiegenden Fehlern und davor, schuldig geworden zu sein. Depressiv Erkrankte wissen, was „normal“ wäre und was sie früher konnten, geschafft haben und zu leisten in der Lage waren. Doch gerade weil sie diesen Unterschied selbst wahrnehmen, betrachten sie sich zunehmend minderwertig und verachten sich selbst dafür.
Im Kopf kreisen Gedanken, die immer die schlechteste Möglichkeit wahrscheinlich erscheinen lassen. Sie breiten sich immer mehr aus, bis sie, wie ein schwarzes Loch, alles verschlungen haben. Zurück bleibt Leere und Dunkelheit. Gute Gedanken und der Glaube an ein gutes Ende, an eine Veränderung, die Besserung bringt, gibt es nicht mehr, ebenso fehlt jegliches Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten.
Wichtiges Kriterium: Mindestens zwei Wochen
Ein entscheidendes Kriterium darf man bei der Betrachtung der Symptome einer möglichen Depression nicht aus den Augen verlieren: die Zeitspanne. Für eine Depression müssen die Symptome (mindestens) zwei Wochen anhalten. Das klingt nicht nach viel, doch viele Angehörige und auch Freunde merken die Veränderung im Wesen des Betroffenen in diesem Zeitraum schon sehr deutlich. Besonders auffällig ist das natürlich für den Partner oder andere Personen, die im selben Haushalt leben. Zwei Wochen, in denen die Partnerin oder der Vater schwer aus dem Bett kommt, zwar noch zur Arbeit geht, aber weder den Hobbys nachgeht noch Freunde trifft, sich kaum noch am Familienleben beteiligt, sind eine lange Zeit, wenn die Person vorher gesund und vielseitig interessiert war.
Verstehen und helfen
Typische Gedanken in einer Depression: „Ich bin wertlos.“ „Ich kann nicht einmal die normalsten Sachen.“ „Ich bin ein Versager.“ „Ich bin dumm, zu blöd für die Welt.“ „Jeder sieht, dass ich nichts kann.“ „Ich bin selbst schuld an meiner Situation, weil ich ein Versager bin/nichts kann/…“ Wenn Sie versuchen, sich vorzustellen, wie sich ein Mensch fühlt, für den all diese negativen Glaubenssätze zu 100 Prozent wahr sind, können Sie eine Ahnung davon bekommen, wie es Ihrem depressiven Angehörigen oder Freund gehen könnte.
Was sollten Sie nun tun, wenn Sie tatsächlich eine deutliche Veränderung im Verhalten Ihres Angehörigen bemerken, einige der genannten Symptome wiedererkennen und diese schon länger als zwei Wochen anhalten? Nehmen Sie Ihre Sorge ernst, aber machen Sie sich auch klar, dass die Diagnose einer Depression – oder einer anderen Erkrankung – nur ein Arzt stellen kann. Über den Weg zur Diagnose erfahren Sie etwas ab S. 25. Die erste Hürde ist jedoch, den Betroffenen überhaupt zu einem Arztbesuch zu bewegen. Wie Sie das Thema ansprechen können, erfahren Sie auf S. 20.
Depressionen bei Männern
Einerseits belegen Zahlen immer wieder, dass Frauen etwa doppelt so häufig an Depressionen erkranken wie Männer. Andererseits stellen neuere Untersuchungen auch fest, dass Depressionen bei Männern häufig nicht oder erst spät erkannt werden. Möglicherweise erkranken Männer daher gar nicht so viel seltener, sondern anders. Die Gründe dafür scheinen zu sein, dass die markantesten Anzeichen von Depressionen – die Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit – zwar auch bei Männern vorhanden sind, doch nicht so deutlich im Vordergrund stehen. Dagegen zeigen sich bei Männern nicht selten Symptome, die nicht in der Liste der typischen Anzeichen zu finden sind.
Viele an einer Depression erkrankte Männer reagieren gereizter und aufbrausender als üblich, neigen zu aggressivem Verhalten und Wutanfällen, sind gewaltbereiter oder reagieren auf eine Art, wie sie für die Situation und sozial als unangemessen empfunden wird. Dazu gehört auch, dass betroffene Männer häufiger zu Suchtverhalten, insbesondere zu vermehrtem Alkoholoder Drogenkonsum, neigen. Eine Suchterkrankung ist, insbesondere bei Männern, häufige Begleiterkrankung einer Depression. Körperliche Symptome treten hingegen häufiger bei Frauen auf.
Die biologischen Ursachen dafür sind noch nicht abschließend geklärt. Vermutet wird aber, dass Männer aufgrund ihrer evolutionsbiologischen Rolle und durch die Sozialisation in den westlichen Gesellschaften als Ernährer, Beschützer und „Macher“ unbewusst eine stärkere Gegenreaktion hervorbringen, wenn sie ihren sozialen Status bedroht sehen oder fürchten, beruflich, privat oder sozial als Versager gesehen zu werden. Daher ziehen sie eine psychische Erkrankung seltener in Betracht oder verdrängen die Möglichkeit, erkrankt zu sein. Weil sie sich nicht krank fühlen, projizieren sie ihre Probleme eher auf ihre Umwelt. In der Folge suchen Männer aufgrund ihrer Beschwerden seltener Hilfe und gehen weniger zum Arzt – und leiden daher länger an der Erkrankung, bis sie erkannt wird und behandelt werden kann.
Eine Depression oder doch ein Burn-out?
Wenn die Person, um die Sie sich Sorgen machen, sehr erschöpft und antriebslos wirkt, kann es auch sein, dass Sie neben einer Depression einen Burn-out als Ursache in Erwägung ziehen. Aber wo liegt da der Unterschied? Gibt es überhaupt einen?
Der Begriff des „Burn-out“ taucht in den letzten Jahren häufiger auf. Doch trotz der weiten Verbreitung ist Burn-out keine international akzeptierte Diagnose. Zu unterschiedlich sind die zahlreichen Symptome, die auftreten können, aber nicht unbedingt müssen. In der Praxis bedeutet das, dass man wegen „Burn-out“ nicht krankgeschrieben werden kann. In der neuen internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) wird Burn-out erstmals aufgeführt, allerdings nicht als psychische Erkrankung, sondern als ein Faktor, der die Gesundheit beeinträchtigen kann.
Typisch für einen Burn-out ist, dass die Einschränkungen auf einen bestimmten Kontext bezogen sind, häufig auf die Arbeit. Doch auch andere Bereiche starker Belastung, beispielsweise durch die Pflege von Angehörigen, können ursächlich sein. Interessen an Hobbys oder an Bereichen außerhalb des Stressors