Die Nase der Sphinx oder Wie wir Berliner so sind. Paul Schlesinger

Die Nase der Sphinx oder Wie wir Berliner so sind - Paul Schlesinger


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Pfingstgeschenk

      Abends im Vorortzug, der die Eingeborenen nach dem Arbeitstag in der Großstadt zu ihren Landhäusern und Gärten zurückführt. Eine besondere und fröhliche Rasse, diese Eingeborenen. Man sieht es ihnen an: Die revolutionären Elemente unter ihnen wählen Deutsche Volkspartei. Sie haben das Talent, den Ärger des Geschäfts im Augenblick zu vergessen, wo sie in der Bahn sitzen. Man ist da immer so behaglich zusammen, auch ist manchmal eine eingeborene Dame dabei, die in Berlin ihre Einkäufe gemacht hat. Also, man plaudert und lacht schon, bevor der Zug losgeht. Im letzten Moment kommt noch ein Herr, ein rüstiger, behaglicher Mann mit großem Paket.

      Man begrüßt ihn: »Nanu, Sie in Berlin, Sie hatten es doch nicht nötig!« Der Herr lächelt auf eine feine Art – nein, das ist kein Kaufmann. Vielleicht ... jedenfalls Akademiker.

      Dann denkt sie plötzlich daran, wie die Herrschaften zu Hause eingerichtet sein mögen. Behaglich auf alle Fälle – sicher nicht protzig. Nur eben so, wie man es in den Möbelfabriken sieht. Wie denn auch anders! Vielleicht bei dem Akademiker doch ein wenig besonders. Sicher sieht‘s ein bißchen so aus, als wäre er der Direktor des vorstädtischen Gymnasiums. Die Schulmeister haben zuweilen ihre Finessen.

      Der Zug geht ab. Und die Dame fragt: »Was haben Sie wirklich in der Stadt gemacht?«

      Und er lächelt wieder auf seine feine, etwas listige Weise. »Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für meine Frau abgeholt. Diesmal fällt Pfingsten gerad auf ihren Geburtstag, und da habe ich mir was ausgedacht. Meine Frau steht doch morgens so spät auf ...«

      Schon ist er dabei, das breite und flache Paket auszupacken. Man merkt ihm an, er tut es nicht sosehr, um es den anderen zu zeigen, wie um sich selbst noch mal an dem Anblick zu laben. Also löst er bedächtig, wenn auch mit leis erregten Fingern die äußere Papierhülle. Dann gibt es eine zweite Hülle aus gewellter Pappe. Dann waren zwei flache Gegenstände in Seidenpapier sichtbar – ich erkenne sofort zwei Bilderrähmchen.

      Ich hab‘s doch gewußt, ein kultivierter Mann. Er hat jetzt Gravüren rahmen lassen – aber welche? Seine Frau steht so spät auf – vielleicht was ganz Modernes, Problematisches, fürs Schlafzimmer, was der Frau keine Ruhe läßt, stundenlang halboffenen Auges vor sich hin zu blinzeln. Vielleicht auch was Ermunterndes, wie das süße Schwindsche Morgenbild aus der Schackgalerie, das in allen Kunsthandlungen zu haben ist. Aber es sind doch zwei Rähmchen.

      Und nun enthüllt er sie. Die Rähmchen sind aus feinstem Mahagoni. Aber es ist kein Bild drin, sondern mit großer schwarzer Druckschrift und goldener Verzierung ist auf das eine gemalt:

      »Der Schlaf vor Mitternacht ist der beste!«

      und auf das andere:

      »Morgenstunde hat Gold im Munde!«

      Die Rahmen werden herumgezeigt. Man ist sprachlos. Und der glückliche Schenker fügt erklärend hinzu: «Abends liest sie so lange Zeitung, und morgens kann sie nicht aufstehen!«

      Die Dame versucht eine Einwendung: »Ob sich Ihre Frau sehr dazu freuen wird ...«

      »Aber sicher – es ist doch kein Druck – alles mit der Hand gemalt – eigens angefertigt.«

      »Und die hängen Sie nun als Pendant nebeneinander auf?«

      »I wo – der Schlaf vor Mitternacht kommt ins Wohnzimmer, wo sie abends immer liest – und die Morgenstunde ins Schlafzimmer.«

      »Hm.«

      Bescheiden packt er seine Bilder wieder ein. Ich aber weiß nun, wie mein Akademiker eingerichtet ist.

      Mai 1925

      Zwei Hüte

      Morgens, in der Straßenbahn, es ist ziemlich voll. Ein dicker, etwas strenger Herr sitzt gegenüber seiner langen, dürren, sicher gemütsweichen Frau. Ich setze mich neben den Herrn. In demselben Augenblick schreit die Dame leicht und hell auf. Auch ich habe südwärts eine sonderbare Empfindung, erhebe mich so rasch, wie ich kann, während der Herr unter mir seinen vollkommen zerbeulten schwarzen, bis vor wenigen Sekunden steifen Filzhut hervorzieht.

      Bevor ich noch meine Entschuldigung stammeln kann, schnauzt der Herr seine Frau an: »Was machst du denn für ein Geschrei!!«

      Ich stammele meine Entschuldigung, wie leid es mir täte ...

      Aber er hört gar nicht zu, sondern schimpft weiter mit seiner Frau. »Wie kannst du nur so ein Geschrei machen?«

      Sie: »Aber ich sah es doch kommen.«

      Ich stammele weiter, werde aber absolut nicht beachtet.

      »Das ist doch kein Grund, so zu schreien!«

      Sie: »So habe ich ja gar nicht geschrien!«

      Ich höre auf zu stammeln, von mir nimmt man ja doch keine Notiz, sehe nur zu, wie der Herr den vergeblichen Versuch macht, die Delle wieder glatt zu streichen. Es gelingt ihm keineswegs. Er brummt weiter: »Wegen so was zu schreien ...«

      Da wirft sie ihm einen Blick zu, einen einzigen, aber einen vollgültigen Beleg für ein fünfundzwanzigjähriges Eheleben, rafft sich auf und sagt scharf und leise: »Halt schon den Mund.«

      Zwei Stunden später bin ich in einem öffentlichen Gebäude, möchte telephonieren, verlange ein Telefonbuch, man weist mich in ein großes Büro. Aus dem großen Zimmer werde ich in ein etwas kleineres geführt, in dem ein junger Beamter am Schreibtisch sitzt. Neben dem Schreibtisch noch ein Tisch, und auf diesem liegt das Telefonbuch und auf diesem der weiße Strohhut des Beamten.

      »Sie gestatten, daß ich was nachsehe?«

      Ich bekomme keine Antwort, lege den Hut beiseite, nehme das Telefonbuch vor, sehe nach, klappe zu, gehe.

      Plötzlich schreit eine Unteroffiziersstimme hinter mir her: »Wollen Sie nicht wenigstens ...«

      Sofort fällt mir ein, daß ich das Telefonbuch ziemlich quer auf dem Tische haben liegen lassen. Ich lege es rasch wieder ordentlich hin, lege auch den weißen Hut darauf.

      Der Mann ist aufgesprungen und schreit weiter: »Wenn Sie auch kein Beamter sind, so sollten Sie doch wissen, daß es der Anstand erfordert ...«

      Jetzt werde auch ich fuchsteufelswild: »Ich verbitte mir jegliche Belehrung. Ich habe meinen Fehler wiedergutgemacht, darüber hinaus haben Sie mir kein Wort zu sagen!«

      Wir pöbeln uns noch eine Weile weiter an, meine Stimme ist die lautere, endlich hält er den Schnabel. Ich gehe hinaus.

      Als ich draußen bin, fällt mir ein: Wie kommt dieser Mensch dazu, seinen privaten, weißen Strohhut auf das amtliche Fernsprechbuch zu legen? Ganz abgesehen von den höchst verschiedenen Besitzverhältnissen, in denen sich diese beiden Gegenstände befinden: Das Buch ist viereckig, der Hut ist rund, und es ist doch überhaupt fraglich, ob sich ein runder Hut in eine vorschriftsmäßige Lage bringen läßt. Ich würde keinen Moment zögern, diesen Mann wegen Mißbrauchs des amtlichen Fernsprechverzeichnisses bei seiner vorgesetzten Behörde zu denunzieren, wenn ich mir nicht bewußt wäre, selbst den Hut untertanenhaft wieder auf das Telefonbuch gelegt zu haben.

      So kommt man runter.

      August 1925

      Auf dem Balkon

      Wenn ich morgens das Schlafgemach verlasse und mich zum Frühstück auf den Balkon begebe, betrete ich sozusagen die Schlafzimmer der andern. Die Häuser in meiner Straße sind merkwürdigerweise so gebaut, daß sich die meisten Leute entschlossen haben, ihre Schlafzimmer nach vorn zu legen. Da ich sehr hoch wohne, habe ich die beste Einsicht in die verschiedensten Verhältnisse. Gemeinhin ist man sehr diskret, bis auf eine Dame in vorgerückten Jahren, die glaubt, Sonnenbäder nehmen zu können, ohne verbotene Gefühle zu erwecken. In dieser Beziehung ist sie sogar im Recht. Indessen irrt sie in einem andern Punkt. Sie läßt sich mit Vorliebe den Rücken bescheinen. Da sie sich zu diesem Zweck auf den Bauch legt, glaubt sie, auch die andern sähen es nicht. Man hat sie über diesen Irrtum schriftlich aufgeklärt.


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