Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg

Rittmeister Segendorf - Elisabeth Krickeberg


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zu bestreiten. Dazu kam, dass er selber nichts von der Landwirtschaft verstand, ja als eingefleischter Soldat nicht einmal Sympathie für sie besass, und dass zu allem Unglück bei dem allgemein bekannten verrotteten Zustand der Wirtschaft auf Segendorf ein wirklich tüchtiger und erfahrener, älterer Beamter nach des alten Barons eigenem Ausspruch nicht daran dachte, sich in die verlotterte Wirtschaft zu setzen.

      Der alte Herr hatte, sosehr er es auch mit seinem grimmen Spott zu verdecken strebte, seine schweren Kümmernisse. Jetzt, seitdem er, der Not gehorchend, den Abschied genommen hatte und wieder auf dem Stammgut seines Geschlechts lebte, war auch die alte Anhänglichkeit zur Heimat wiedererwacht, und während er es in bitterm Sarkasmus liebte, sich und seinen Angehörigen den völligen Bankerott des Geschlechts Segendorf und den Zwangsverkauf der „Klitsche“ auszumalen, blutete ihm sein Herz dabei, und eine glühende Scham über diesen schmählichen Untergang seiner einst so hoch angesehenen und so kernig tüchtigen Familie bohrte ihren Stachel in seine Seele.

      Und dann war da das Kind, seine Enkelin. Was sollte aus ihr werden, wenn mit seinem Tod die zwar nicht glänzende, aber doch ausreichende Versorgung durch seine Pension aufhörte? Sie besass keinen Pfennig Vermögen, und so würde sie als die Erbin eines grossen Gutes einmal hungern müssen; denn wo würde sich einer verarmten und verkrachten Adeligen die Aussicht auf eine standesgemässe Heirat bieten?

      Und während der alte Baron scheinbar eifrig die Zeitung studierte, wälzte er diese Gedanken unruhevoll in seinem Kopf umher.

      Mite hatte nachdenklich die Stirn in ihre Hand gestützt. Der Grossvater führte in letzter Zeit oft diese seltsamen und eigentlich recht abscheulichen Reben. Tante Siebenstein bemühte sich zwar, sie als Übertreibungen hinzustellen, und der Grossvater liebte ja auch wirklich krasse und manchmal höchst derbe Äusserungen, aber es lag doch so ein eigen unfreier Ton in seiner Stimme, wenn er von dem „Segendorfer Elend“ redete. Sie war auch alt genug, um zu merken, dass die Segendorfer Verhältnisse wirklich nichts weniger als glänzend waren. Als Grosspapa noch aktiv war, hatten sie viel kostspieliger gelebt, und es war niemals vorgekommen, dass Tante Siebenstein gefunden hatte, ein echter Panamahut für Mite sei eigentlich ein törichter Luxus, da man doch so vorzügliche Nachahmungen für lächerlich billigen Preis haben könnte.

      Prüfend liess das junge Mädchen ihre Blicke auf dem Grossvater ruhen. Er las ja gar nicht, starrte immer auf dieselbe Stelle der Zeitung, und die Tante Siebenstein strickte gar wie ein altes Spittelweib neue Fersen in einen Strumpf des Grossvaters.

      „Grosspapa,“ sagte Mite plötzlich, „wenn der junge Mann nun aber wieder so untüchtig ist wie der vorige Inspektor, den du Knall und Fall hast entlassen müssen?“

      „Ach, Unsinn!“ Die Antwort kam ein wenig ungeduldig. „Es wird doch nicht lauter dumme Tröpfe in der Welt geben.“

      „Aber ein so junger Mann — —“

      „Du tust ja, als ob er noch ein Schuljunge wäre; er hat doch immerhin schon bald seine dreissig Jahre.“

      „Von wo stammt er eigentlich, und wie heisst er?“ warf Frau von Siebenstein ein.

      „Er stammt von da irgendwoher aus Ostpreussen und hat so einen Gattungsnamen — Schmidt oder Schulze — ich weiss es wirklich im Augenblick nicht mehr, da liegt ja der Brief, lesen Sie doch selber.“

      Er erhob sich, warf seiner Enkelin noch ein paar Scherzworte zu und ging hinaus. Die Ausfragerei behagte ihm nicht, denn so sehr er anfangs befriedigt gewesen war, durch die Zusage des „Neuen“ der lästigen Sucherei nach einem Ersatz für den davongejagten Inspektor enthoben zu sein, jetzt war er bereits geneigt, zu glauben, dass sie ihm nur frische Enttäuschungen und Ärgernisse bringen würde.

      Mite nahm den Brief auf und las ihn. In Knappen Worten die Versicherung, dass der Schreiber mit den Bedingungen des Barons v. Segendorf einverstanden sei und bereits in einigen Tagen die neue Stellung antreten würde. Darunter der Name, nicht Schmidt und auch nicht Schulze, sondern Müller, Hans Georg Müller.

      Mite zog das Näschen kraus. „Er ist gewiss schrecklich pöbelhaft und plump, Tante, sieh nur diese eckige Schrift. Er wird doch nicht wieder bei uns am Tisch essen?“

      „Es wird nicht zu umgehen sein, Kind, da er doch unverheiratet ist.“

      Mite seufzte. „Der andere hatte so schlechte Manieren und so grobe, braune Tatzen, und er putzte nicht einmal immer seine Nägel.“

      „Nun, der Neue ist ja noch jung,“ tröstete die Tante, „der lässt sich wohl noch von uns zurechtstutzen.“

      2. Kapitel.

      Dann eines vormittags traf der neue Inspektor ein, ein grosser, schlanker Mann von festem Gliederbau mit einem energischen, etwas eckigen, hagern Gesicht und klugen, kühl kritisch blickenden Augen; das glatte braune Haar schlicht gescheitelt, der volle Schnurrbart kurz gehalten — auf den ersten, flüchtigen Blick der Typus eines intelligenten Landmannes. Seinem Äussern nach hätte man ihn zehn Jahre älter schätzen können, als er war.

      „Kinder, vor dem können wir uns vorsehen,“ meinte Anton, der Kutscher, in der Gesindestube, „ich glaube, der lässt nicht mit sich spassen! Ehe er noch auf dem Bahnhof in den Wagen stieg, hatte er schon bei den paar Schritten, die ich bis zum Gepäckraum fuhr, weg, dass das Handpferd den rechten Hinterfuss schonte. Er hob ihn auf, ‚vernagelt‘, sagte er bloss und schüttelte den Kopf. Na, und über jeden Feldstreifen, an dem wir vorbeifuhren, liess er sich Rechenschaft geben. Das ist ein Neunmalkluger, passt auf!“

      Hans Georg Müller stand inzwischen im Herrenzimmer vor dem alten Baron. Der hatte ihn freundlich mit Handschlag willkommen geheissen und die Bemerkung ausgesprochen, dass er auf ein gedeihliches Zusammenwirken mit ihm hoffe. Es war ganz konventionell geschehen, aber der andere war nicht willens, es so aufzufassen.

      „Ich meinte, der Herr Baron habe mir die alleinige Verwaltung des Gutes übertragen, da kann von einem Zusammenwirken wohl nicht eigentlich die Rede sein“, sagte er ruhig.

      „Nun ja — ja doch, natürlich!“ fiel der alte Herr etwas nervös ein, „aber es ist doch wohl selbstverständlich, dass bei wichtigen Fragen eine Verständigung zwischen uns stattfindet. Als Besitzer von Segendorf werde ich nicht unbedingt auszuschalten sein.“

      „Dann bin ich unter falschen Voraussetzungen hierhergekommen, und ich glaube nicht, dass unsere Verbindung von langer Dauer sein wird. Ich habe aus dem Schreiben des Herrn Barons angenommen, dass das Majorat völlig für sich verwaltet werden sollte und der Herr Baron sich jedes Einspruchs in die Wirtschaftsführung enthalten wollte.“

      „Sie sind sehr rasch, junger Herr!“ rief der Baron. „Es wird mir nicht einfallen, Ihnen bei Ihren wirtschaftlichen Anordnungen dreinzureden, wo es sich aber um vitale Interessen handelt, werden Sie mir wohl eine Stimme im Rat gestatten.“

      „Es handelt sich, soviel ich verstanden habe, hier vor allen Dingen darum, Herr Baron, in kürzester Zeit aus einem vernachlässigten und heruntergewirtschafteten Betrieb ein wieder möglichst ertragfähiges Gut zu schaffen. Das ist keine leichte Aufgabe, und ich kann selbstverständlich vorläufig nicht wissen, ob es überhaupt möglich sein wird, sie zu lösen. In jedem Fall würde ich auch nicht einmal den versuch dazu machen, wenn mir nicht in dem, was meines Amtes ist, völlig freie Hand zugesichert wird. Dass ich die Grenzen meiner Befugnisse nicht überschreiten werde, darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.“

      Der Baron war ärgerlich, mehr als das, empört. Stand dieser junge Mann nicht vor ihm wie ein Gebieter, der seine Befehle erteilt? — Er war nicht gewöhnt, so mit sich reden zu lassen. Schon der ungeschminkte Hinweis auf die verrotteten Verhältnisse Segendorfs kränkte ihn tief. Und wie dieser Mensch sich aufs hohe Pferd setzte, als ob von seinem guten Willen allein das heil Segendorfs abhinge. — Hahaha! Der alte Herr hätte grimmig auflachen mögen. Man würde es ja erleben: in einigen Wochen, höchstens Monaten würde dieser selbstbewusste Herr sicher auch die Büchse ins Korn werfen, und man würde zufrieden sein können, wenn er Segendorf nicht noch ein bisschen mehr „heruntergewirtschaftet“ hätte. Aber einstweilen befand man sich in einer Zwangslage. Da musste man gute Miene zum bösen Spiel machen, so


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