Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg
sagen, für mich hat sein bestimmtes, sicheres Auftreten etwas Vertrauenerweckendes. “
„Bestimmtes, sicheres Auftreten — da haben Sie recht!“ grollte der Baron. „Der Vogt hat mir geklagt, er drehe die ganze Wirtschaft um, nichts von der alten Ordnung findet Gnade vor seinen Augen, und von den alten Leuten, wie es scheint, auch keiner. Den Hanschek und den Fritsche hat er bereits ’rausgeworfen.“
„Nun,“ meinte Frau von Siebenstein, „der Fritsche ist doch schon wiederholt beim Stehlen ertappt worden, und der Hanschek ist ein Windhund, um die ist’s am Ende nicht schade.“
„Aber es sind alte, auf Segendorfer Verhältnisse eingearbeitete Leute, — was mache ich mit lauter neuem Volk, wenn es dem Herrn Inspektor behagen sollte, in sechs Monaten zu gehen? Wenn er sich auch im weitesten Masse Selbständigkeit des Handelns gesichert hat, aus einfacher Höflichkeitspflicht sollte er mich bei solchen wichtigen Sachen um Rat fragen. Aber ich glaube bestimmt, er hat nur deshalb das Speisen mit uns ausgeschlagen, damit er etwaigen Fragen von mir aus dem Wege geht — man bekommt den Herrn ja kaum den ganzen Tag einmal flüchtig zu Gesicht.“
„Ich verstehe nicht, Grosspapa, wie du einem Untergebenen so viele Freiheiten gestatten kannst“, sagte Mite altklug. „Es ist doch sonst nicht deine Art, und du hast immer verstanden, deine Soldaten in Respekt zu halten, trotzdem dir deine Vorgesetzten gerade deine allzu grosse Nachsicht zum Vorwurf machten.“
Der alte Herr brummte etwas in den Bart, was wie „der Knüppel liegt beim Hunde“ klang, und setzte dann laut hinzu: „Na, in jedem Fall sind wir ja nicht zusammen verheiratet! Wenn es mir zu bunt wird, werde ich den Ablauf des Probehalbjahrs nicht abwarten — es ist nun ein Bankrottmachen.“
Baron von Segendorf war ernstlich verstimmt über das Benehmen des jungen Mannes. Gewiss, er liess es nicht an persönlicher Höflichkeit fehlen, und er überschritt seine Befugnisse nicht um Haaresbreite; denn sobald es galt, für den Privathaushalt des Schlosses Bestimmungen zu treffen, erklärte er sich für nicht zuständig und zog sich völlig zurück; aber der Baron würde denselben Takt besitzen, wenn der junge Herr aus purer Höflichkeit den alten in seine Bestrebungen einweihen wollte. Und dann, der Baron war eine gesellige, häusliches Behagen liebende Natur, er hatte aus dem Briefwechsel mit dem neuen Inspektor die Überzeugung gewonnen, dass er es mit einem gebildeten Mann zu tun habe, und sich gefreut auf ruhige Plauderstündchen und ein gemütliches Kartenspiel nach Feierabend. Und nun war er wieder auf sich allein angewiesen wie bei dem verflossenen Inspektor, der wirklich ein Bauer und ein unsympathischer Mensch gewesen war.
Hans Georg Müller war ein Gentleman, der alte Herr musste es sich widerwillig eingestehen, sein Benehmen war ebenso tadellos wie sein Reitpferd, seine Wäsche, seine Kleider, die pflege seines äusseren Menschen. Bei allen Strapazen blieb er in seiner Erscheinung doch stets der Kavalier. Und die Strapazen, denen er sich unterzog, waren nicht gering. Er war früh der erste auf und des Abends der letzte im Bett, — ja es machte den alten Herrn, der zuzeiten an Schlaflosigkeit litt, geradezu nervös, wenn er bis tief in die Nacht hinein Licht aus den Fenstern der Inspektorwohnung zu seinem Zimmer hinüberscheinen sah. Und er, der doch sonst die Diskretion des seinen Mannes besass, brachte es dann fertig, seinen Krimstecher zu holen und mit dessen Hilfe festzustellen, dass Hans Georg Müller noch über den dicken Wirtschaftsbüchern sass, die des alten Herrn Entsetzen waren.
Welch ein seltsamer Mensch war das! Was zum Kuckuck hatte ihn veranlasst, sich in die Last und Arbeit von Segendorf zu stecken? Was konnte dem Mann, der über so kostspieliges Rüstzeug eines weltmännischen Daseins verfügte wie dieser Müller, ein Monatsgehalt von zweihundert Mark bedeuten? Das bezahlte er für einen einzigen seiner Anzüge. Der Gutsherr selber konnte sich keinen besonderen Reitknecht halten, der Diener aus dem Schloss musste dessen Befugnisse mitbesorgen, der Herr Inspektor aber hatte seinen eigenen Diener mitgebracht und beköstigte ihn aus seiner Tasche.
Das ganze Verhältnis passte dem alten Herrn nicht, drückte ihn nieder, beschämte ihn. Aber wenn er den Inspektor dafür verantwortlich machen wollte, musste er sich mit seiner Ehrlichkeit eingestehen, dass er ihm unrecht tun würde. Er trat ihm immer höflich, ja bescheiden entgegen, wie es sich für den Untergebenen dem Herrn gegenüber schickte, nur wo es sich um sein Amt handelte, zog er mit ruhiger Bestimmtheit eine Grenze: Bis hierher und nicht weiter. Ich habe die Verantwortung übernommen, ich lasse mich nicht stören.
Und was seine vornehmen Gewohnheiten anbetraf: da war nicht das geringste Protzige in seinem Auftreten. Man merkte, der junge Mann war gewöhnt, in dieser Art zu leben, eine gewisse, solide Eleganz war ihm einfach zur zweiten Natur geworden. Zweifelhaft allein blieb einstweilen seine Tüchtigkeit in seinem Beruf, und über diese konnte der alte Herr nach so kurzer Zeit noch nicht urteilen, und wollte es nicht. Er war zu gewissenhaft dazu, dem Inspektor möglicherweise unrecht zu tun. Denn bisher hatte er eigentlich nichts als Klagen über ihn gehört: von den Dienstleuten, denen der alte Schlendrian besser behagt hatte als das neue, straffe Regiment; — von den Lieferanten, die abgelehnt worden waren, weil der Inspektor ihre Waren minderwertig fand; — vom Dorfschmied, der wegen des vernagelten Hufes des Kutschpferdes einen tüchtigen Rüffel erhalten hatte.
Überall hiess es: der will mit dem Kopf durch die Wand, na, er wird sich ja bald eine hübsche Beule gerannt und die Sache satt haben. Der hält nicht länger aus als die andern. Der Baron meinte dasselbe, und er wusste nicht, ob er es wünschen oder fürchten sollte, Persönlich hätte er gern den Herrn Hans Georg Müller ins Pfefferland gewünscht, aber wenn er an Segendorf dachte, da wollte trotz aller Mutlosigkeit doch immer wieder ein leiser Hoffnungsschimmer vor ihm aufleuchten. Tatkraft besass der Neue und guten Willen, wie es schien, auch; also abwarten!
3. Kapitel.
Der Baron war mit seinen Damen auf einem Spaziergang nach einem schönen Plätzchen im Segendorfer Buchenwald begriffen. Sie mussten einen zu beiden Seiten dicht mit Buschwerk bewachsenen Hohlweg entlang gehen, und da, an einer Biegung, sahen sie plötzlich eine Gruppe von Menschen vor sich, die lebhaft über einen Gegenstand sich unterhielten, der offenbar zwischen ihnen an der Erde lag. Die hohe Gestalt des Inspektors ragte zwischen den andern empor.
„Wahrscheinlich hat der Vogt wieder einen seiner epileptischen Anfälle,“ sagte der Baron, „vielleicht kehren die Damen lieber um.“
„Ach nein, Grosspapa, ich habe den Vogt schon öfters in diesem Zustand gesehen, und der arme Mann tut mir schrecklich leid. Wir können ihm doch vielleicht etwas nützen.“
„Es sind ja Menschen genug zu seiner Hilfe da — aber wie du willst.“ Der alte Herr trat zu der Gruppe, die Damen hielten sich etwas zurück. Der Vogt lag auf dem Boden lang ausgestreckt und rührte sich nicht. Seine Frau kniete neben ihm, rieb ihm die Schläfen und jammerte. „Nun ist er wieder drei Tage lang krank — o je, das Elend! — Ach Herr Baron, sehen Sie, da hat er wieder seine Krämpfe, und man hofft doch von einem Mal zum andern, dass es aufhören wird. — O Gott! o Gott!“
„Ist’s wieder ganz plötzlich gekommen?“ fragte der alte Herr teilnahmsvoll.
„Freilich, wie immer.“
„Na,“ meinte ein Knecht, „ein bisschen taumelig war er heut den ganzen Tag schon, ich dachte gleich, dass er wieder seinen Anfall kriegen würde.“
Der Inspektor hatte, ohne zu sprechen, dabeigestanden und nur den am Boden Liegenden scharf beobachtet. Jetzt fragte er: „Wie oft hat er diese Anfälle?“
„Na, so etwa alle sechs bis acht Wochen“, berichtete in ihrem weinerlichen Ton die Frau.
„Und dann ist er immer ein paar Tage krank und arbeitsunfähig?“
„Er ist nicht gerade krank, aber immer nicht recht bei sich.“
„Das will ich gern glauben, weil er dann immer betrunken ist“, meinte trocken der Inspektor. „Herr Baron, der Mann ist ein Quartalssäufer.“
„I so eine — — so eine Verleumdung! Glauben Sie ihm nicht, Herr Baron!“ keifte die Frau.
„Ruhig!“ befahl der Inspektor hart und streng. „Nehmt den Mann auf und bringt ihn in sein Bett, er ist sinnlos betrunken“,