Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg

Rittmeister Segendorf - Elisabeth Krickeberg


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stand jetzt völlig verblüfft und sah seinen Inspektor misstrauisch zweifelnd an. „Irren Sie sich da auch nicht, Herr Müller?“

      „Ich irre mich nicht, Herr Baron. Epilepsie tritt denn doch anders in die Erscheinung. Er ist ein Säufer und muss natürlich entlassen werden.“

      „Er hat schon meinem Bruder lange Jahre gedient.“

      „Ihr Herr Bruder ist, wie ich hörte, selten daheim gewesen und hat die Komödie nicht durchschauen können. Der Mann mag auch früher leistungsfähiger gewesen sein, jetzt aber sind seine Kräfte von seiner Leidenschaft zerrüttet, er ist flau in der Arbeit. Ich würde ihn sowieso in seiner Stellung nicht belassen haben. Wenn Sie es wünschen, schicken wir ihn als Scharwerker aufs Vorwerk, da kommt es nicht darauf an, wenn er alle sechs bis acht Wochen einmal drei Tage ausspannt.“

      „Das ist Ihre Angelegenheit,“ sagte der Baron steif, „ich habe dabei keine Stimme.“

      Er setzte mit den Damen den Spaziergang fort; aber kaum waren sie ausser Hörweite, als Mite ganz empört losbrach: „Aber Grosspapa, wer ist denn eigentlich der Herr hier auf Segendorf? Willst du denn wirklich unter allen Umständen den alten Mann von seinem Posten jagen, ihm eine solche Schande antun lassen?“

      „Aber Kind, wenn er doch ein Säufer ist“, sagte der alte Herr kleinlaut.

      „Ich glaub’s nicht — nimmermehr! Die andern haben ihn doch so lange Jahre schon vor Augen, und keiner hat etwas davon an ihm bemerkt, und dieser Herr Müller blickt ihn kaum an und will das feststellen können? Grosspapa, das ist ein Gewaltmensch! Sieh dir nur sein Gesicht an mit dem festen Kinn und dem harten Mund, der wird uns noch alle tyrannisieren, wenn du es ihm nicht beizeiten wehrst.“

      „Du siehst ja Gespenster“, verwies sie der Baron scharf, da er sich selber unsicher und verlegen, ja beschämt fühlte. Er hatte nach dem vorigen Anfall des Vogts in seiner Gutmütigkeit noch eigenhändig nach einem Mittel gegen Epilepsie geschrieben, das marktschreierisch in der Zeitung angekündigt war, weil die Frau behauptet hatte, alle Ärzte ringsum schon vergebens aufgesucht zu haben, und durchaus nicht zu bewegen war, einen neuen Versuch zu machen. Natürlich, wenn ihr Mann ein Trinker war, musste sie die kritischen Augen eines Arztes fürchten. „Ich kann und werde ihm nicht befehlen, was er mit dem Vogt tun soll“, fügte er etwas ruhiger hinzu. „Das schlägt in sein Gebiet, und darein mische ich mich so wenig, wie er sich in meine Angelegenheiten mischt.“

      „Er hat sicher recht, der Vogt ist wirklich ein Trinker“, fiel Frau von Siebenstein ein. „Mir ist selber schon der Verdacht aufgestiegen bei seinen sonderbaren Krampfzuständen, und soll man Milde ihm gegenüber walten lassen, nur weil der Mann schon so viele Jahre das Vertrauen seiner Herrschaft schmählich missbraucht hat?“

      „Das ist doch merkwürdig, Tante Siebenstein, du hältst immer die Stange dieses Inspektors“, rief Mite beleidigt. „Er beträgt sich doch zu dir nicht verbindlicher als zu uns, woher kommt nur deine Vorliebe für ihn?“

      Frau von Siebenstein lächelte: „Ich habe keine Vorliebe für ihn, ich sehe ihn nur nicht mit vorurteilsvollen Augen an, und die Art, wie er seine Pflicht tut, zwingt mir Achtung ab.“

      „Oh, wenn er bezahlt wird, muss er doch dafür auch etwas leisten!“ meinte Mite, die als einziges, verwöhntes Kind zuzeiten etwas vorlaut war.

      Der Grosspapa drohte ihr dann gewöhnlich gutmütig lachend, heute runzelte er die Stirn: „Schäme dich, Mite!“

      Das hatte noch gefehlt, dass sie sich um diesen Inspektor ausschimpfen lassen musste! Ihr ganzes Inneres lehnte sich auf gegen diesen Mann mit seinen groben Bauernmanieren. Oh, sie würde ihm gewiss nie ein gutes Wort gönnen. Sie war gewöhnt, von den jungen Herren Huldigungen und Ritterdienste zu empfangen, die Offiziere in Grosspapas Regiment hatten gewetteifert, sich beliebt bei ihr zu machen, und dieser obskure Inspektor erlaubte sich, sie völlig zu übersehen? — Welch ein eingebildeter Kerl das sein musste!

      Am andern Tag schon wieder eine neue Aufregung dieses Inspektors wegen. Der alte Löb Baruch kam mit grossem Geschrei zum alten Herrn Baron, um ihm zu klagen, dass der Herr von Müller ihm nicht die Ernte verkaufen wollte. Er hätte nun zehn Jahre lang zur Zufriedenheit des Herrn Barons die Ernte von Segendorf gekauft, und der alte Herr Baron habe ihm ja auch bereits halb und halb den Abschluss des Geschäfts auch für dieses Jahr versprochen, nun wollte der neue Herr Wirtschaftsbeamte, der nicht wissen konnte, was für ein Geschäftsfreund des Hauses er sei, eine Änderung einführen. Der Herr Baron würde das doch nun und nimmermehr leiden.

      Dem alten Herrn wurde es stets schwer, eine Bitte abzuschlagen, obendrein ärgerte er sich über diese neue eigenmächtige Massnahme des Inspektors. Es war doch fast, als ob der grundsätzlich alles Alte ausrotten wollte! Aber er hatte ihm nun einmal sein Wort gegeben, ihn frei schalten zu lassen, so zuckte er die Schultern: „Ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Baruch, das ist Sache des Herrn Müller.“

      „Wie heisst! Sache des Herrn Müller? Wenn der Herr Baron befehlen, hat der Herr Müller zu gehorchen.“

      Dem alten Herrn stieg das Blut zu Kopf. Ja, im Grunde sollte es so sein, er war der Herr, der andere der Untergebene, aber nun hatte er einmal in unbegreiflicher Schwäche das Heft aus der Hand gegeben. „Ich werde mit Herrn Müller reden“, versprach er.

      „Wenn’s der Herr Baron einem alten Freunde zuliebe doch gleich tun wollten“, bettelte Löb. „Der Herr Inspektor ist ein sehr schneidiger Herr, sehr rasch und energisch, ein bisschen jung noch für seinen Posten, der schliesst in nächster Stunde vielleicht schon mit einem Konkurrenten ab.“

      Da wusste sich der alte Herr nicht länger zu helfen, er liess den Inspektor zu sich bitten. Mite sass mit Frau von Siebenstein auf der Terrasse, die Türe nach dem Zimmer, in dem die Unterredung stattfand, war offen, und sie hörten jedes Wort.

      Hans Georg Müller erschien sogleich. „Ich werde von der Ernte nicht eher etwas verkaufen, als bis ich einen Überblick habe, was die Wirtschaft davon selber verbrauchen wird“, erklärte er ruhig und bestimmt.

      „Was für e Sach’!“ ereiferte sich Löb; „sie liegt in der Scheune und frisst Zinsen. Der verstorbene Herr Baron hat sie stets noch auf dem Halm zu Geld gemacht.“

      „Und nachher zu teurem Preis das Getreide von Ihnen zurückkaufen müssen.“

      „Wie heisst teurer Preis! — ich hab’s ihm gelassen zum billigsten Marktpreis.“

      „Es hat gar keinen Zweck, darüber weiter zu verhandeln! Den Gutsbetrieb so weiter fortsetzen, wie es bisher geschehen ist, hiesse, den Bankrott erklären, und solange ich hier zu bestimmen habe, geschieht es nicht.“ Es klang eisern.

      „Nu, neue Besen kehren gut! — halten zu Gnaden, Herr von Müller. Sie werden auch noch werden ruhiger. Ihr Herr Vorgänger ...“

      „Bitte, lassen Sie den Herrn aus dem Spiel! Ich wünsche nicht, mit ihm in einem Atem genannt zu werden“, rief der Inspektor und, seine Stimme zu heller Entrüstung steigernd, fuhr er fort: „Sie haben Ihren Schnitt bei der Geschichte gemacht, alle beide.“

      „Wie heisst Schnitt gemacht? Soll mich gleich der Blitz erschlagen ...“

      „Herr Baruch,“ unterbrach ihn Müller schneidend, „ich habe die Segendorfer Wirtschaftsbücher der letzten zehn Jahre genau geprüft — soll ich Ihnen Ihren Profit vorrechnen? Ich glaube nicht, dass danach der Herr Baron noch wünschen wird, mit Ihnen weiter in Geschäftsverbindung zu bleiben.“

      „Nu, ich hab’ verdient meine Perzente, selbstverständlich! Verdienen muss der Geschäftsmann, von Luft und Sonne kann auch der Löb Baruch nicht leben, und die Herren Barone von Segendorf sind auch viel zu noble Herren, als dass sie eine Gefälligkeit ohne Vergütung vom alten Löb annehmen würden.“

      „Sie sollen verdienen, aber nicht wuchern!“ Das kam hart und heftig aus dem Munde des Inspektors. „Wir haben dieses Jahr eine schlechte Ernte, aber ich setze meinen Kopf zum Pfand, dass sie ein Drittel mehr Ertrag liefert, als von den anderen, nachweislich guten Erntejahren in den Büchern verzeichnet steht. Wo ist dies fehlende


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