Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg
den Vorschlag machen, Herr Baron, dass ich die Stellung zunächst auf Probe, für die Zeitdauer von sechs Monaten antrete.“
„Warum?“ fragte der alte Herr misstrauisch.
„Zuerst, weil ich die Verhältnisse hier schlimmer angetroffen habe, als ich fürchtete, und nicht weiss, ob meine Kraft ausreichen wird, mit den vorhandenen Mitteln das, was ich mir vorgenommen habe, auszuführen. Die Felder sind in miserabler Verfassung, ausgesogen bis zur letzten Möglichkeit, das Getreide steht, dass sich einem Landmann das Herz im Leibe umdreht; und auf dem Hof sieht es nicht besser aus, das hat mich ein Blick auf die Gebäude gelehrt. Es wird also harte Arbeit geben, und wenn ich mich vor dieser an sich nicht scheue, so liebe ich doch nicht, möglicherweise nutzlose Arbeit zu leisten. Und dann wird Ihnen vielleicht, oder wir können wohl getrost sagen, sicher,“ jetzt huschte das erstemal ein Lächeln über das Gesicht des Inspektors, „das neue Regiment nicht behagen, und Sie werden mich vielleicht gern, je eher desto lieber, wegschicken.“
„Ich fürchte, dass Sie in sechs Monaten Segendorf auch nicht umkrempeln können“, meinte der Baron sarkastisch.
„Nein, aber ich habe dann einen allgemeinen Überblick und kann beurteilen, ob mein Bleiben einen Zweck hat oder nicht. Ausserdem ist dann die Sommerarbeit vorüber, und Sie haben Musse, einen neuen Inspektor zu suchen.“
„Gut!“ sagte der alte Herr kühl; „die Sache wäre also abgemacht, und ich kann nur wünschen, dass Sie nicht bereuen, dem ‚verrotteten Segendorf‘ sechs Monate ihres Lebens geschenkt zu haben.“
Es klang hohnvoll und hätte den Inspektor beleidigen können; aber der schien den in den Worten enthaltenen Stachel nicht zu merken. Er verbeugte sich und ging.
„Wenn er so viel kann, wie er Selbstbewusstsein besitzt, wird es sehr gut für Segendorf sein“, erklärte der Baron seiner Enkelin und Frau von Siebenstein. „Er scheint reichlich anmassend, dieser Herr Müller. Nimm dich nur in acht, Kleine, dass du ihm nicht etwa in den Weg kommst und ihn in seiner freien Entschliessung behinderst.“
„Ich werde mich hüten, Grosspapa, ihm freiwillig in den Weg zu gehen“, meinte Mite beleidigt. „Ich habe ja gleich gesagt, er würde kein angenehmer Mensch sein“, triumphierte sie dann, und mit einem Seufzer fügte sie wie bekräftigend hinzu: „Und mit dem fortan zusammen leben zu müssen!“
Sie hatte sich umsonst gefürchtet, der Herr Inspektor sorgte selber dafür, dass kein Zusammenleben zustande kam. Gleich am ersten Tag, als man ihn zu Tisch rief, liess er bitten, dass er für seine Mahlzeiten allein sorgen dürfe, er könne sich nicht an bestimmte Essenszeit binden und möchte nicht stören.
„Er wird wohl selber empfinden, dass er nicht zu uns passt“, meinte Mite befriedigt; aber der alte Herr, der ein gemütliches Schwätzchen bei Tisch liebte, ärgerte sich. Das war doch fast eine Nichtachtung, und ausserdem, der Inspektor war mit freier Station angestellt, und wenn er für sein Essen allein sorgte, würde er eine entsprechende Vergütung dafür beanspruchen, eine unnütze Ausgabe.
„Ich möchte nur wissen, wie er sich allein beköstigen will,“ sagte Mite, „wer soll denn für ihn kochen? — Die Frau vom Vogt? ... Speckkartoffeln und Schlippermilch, puh!!“
Der alte Herr meinte geringschätzig: „Das soll nicht unsere Sorge sein.“
„Er wird wahrscheinlich im Krug essen“, sagte Frau von Siebenstein. „Die Wirtin ist eine propre Frau und kocht gut, wenn auch nicht gerade Delikatessen.“
„Na, an die wird der Herr Hans Georg Müller von zu Hause aus ja wohl auch nicht gewöhnt sein“, warf Mite mit gerümpftem Näschen hin. Bei ihr war es ausgemacht, dass der neue Inspektor ein Bauer war, und sie hatte ihn doch bisher nur gesehen und noch kein Wort mit ihm gewechselt. Denn als der Herr Müller pflichtschuldigst bald nach seinem Eintreffen den Damen des Hauses seine Aufwartung machen wollte, waren sie verhindert gewesen, ihn zu empfangen, und er schien der Ansicht, den Pflichten der Höflichkeit nun völlig genügt zu haben. Er machte keinen Versuch mehr, bei den Damen eingeführt zu werden.
Mite sah ihn dann und wann an den Fenstern des Schlosses vorübergehen, wenn er von den Wiesen kam, die sich an den Park anschlossen, und wo zurzeit geheut wurde. Der Wirtschaftshof lag seitwärts, und Mite, die vorher täglich die jungen Lämmer besucht hatte, empfand jetzt, seitdem der „Neue“ da war, eine eigene Scheu, ihn zu betreten. Vermied ihn doch sogar der Grosspapa, weil „er sich nicht dumm kommen lassen wollte“, wie er sich in seiner drastischen Art ausdrückte.
Ein paar Tage nach des Inspektors Ankunft traf sein Reitpferd ein. Der Baron, der es gesehen hatte, kam ganz aufgeregt ins Schloss: „Ein Tier! Donnerwetter! Wie ich es in meinen besten Zeiten als Offizier nicht im Stall gehabt habe! Reinste, edelste Rasse, ein Goldfuchs, einfach süperb — man muss sich seines Kleppers schämen. Wie kommt der Kerl zu solch einem prächtigen Pferd? Ein Reitpferd für zwanzigtausend Mark und ein jährliches Gehalt von kaum zweitausend Mark, wie reimt sich das zusammen?“
„Vielleicht ist er ein reicher Bauernsohn“, rief Frau von Siebenstein; aber der Baron winkte ab: die hätten doch keinen Sinn und Verstand für Rassepferde!
„Na, dann hat er es am Ende gestohlen oder in einer Wette gewonnen“, sagte Mite. Sie meinte es nicht im Ernst und wollte noch etwas Scherzhaftes hinzufügen, aber in diesem Augenblick trat plötzlich der, von dem sie sprachen, durch die offene Türe des Gartensaales auf die Terrasse hinaus, auf der die Herrschaften sich befanden. Mite erschrak, und auch der Baron blickte unangenehm überrascht und ein wenig unsicher. Wie leicht konnte der Inspektor gehört haben, was man von ihm sprach, es schickte sich auch nicht, so unangemeldet daherzukommen.
„Ich bitte um Verzeihung, Herr Baron, dass ich zu stören wage. Im ganzen Erdgeschoss habe ich keinen dienstbaren Geist gefunden, der mich hätte anmelden können, und ich möchte meinen Fuchs nicht gern noch länger der prallen Sonnenglut im Hofe aussetzen. Ich kann ihn nicht in dem Verschlag unterbringen, in dem das Pferd meines Vorgängers unter all den Pferden gestanden hat — das ist mir zu unsicher, und da erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie gestatten, dass ich eine Ecke in dem kleinen Herrschaftsstall, in dem ja nur die beiden Reitpferde stehen, für ihn herrichten lasse.“
„Selbstverständlich!“ rief der Baron rasch; ihm, dem alten Reiteroffizier, wäre es eine Todsünde gewesen, ein so kostbares Tier Ackergäulen zuzugesellen. Seine Gedanken waren so von dem schönen Pferde eingenommen, dass er ganz vergass, den Inspektor seinen Damen vorzustellen, und statt dessen fragte: „Woher haben Sie den Gaul? — Ein Prachttier!“
„Direkt aus dem königlichen Gestüt in Trakehnen, Herr Baron“, sagte der Inspektor ruhig und höflich, aber so knapp und kühl, dass dem alten Herrn die Lust zu weitern Fragen verging, und danach wollte er sich ebenso ruhig kühl verabschieden; aber da fiel dem Baron seine Unterlassungssünde ein.
„Verzeihen Sie, dass ich versäumt habe, Sie bei meinen Damen einzuführen: Unser neuer Herr Wirtschaftsbeamter.“
Mite grüsste ihn würdevoll steif wie eine Matrone und wurde gleich darauf glühend rot, denn es war ihr gewesen, als ob ein spöttisches Zucken um den Mund des „Herrn Wirtschaftsbeamten“ gegangen wäre. Frau von Siebenstein fand es für nötig, ein paar Worte des Bedauerns darüber zu sagen, dass der Herr Inspektor nicht an ihren Mahlzeiten teilnehmen könne, sie hoffe, dass er nicht Schwierigkeiten mit seiner Beköstigung habe.
O nein, er danke, er habe es bei der Krugwirtin recht gut getroffen, schmackhafte Hausmannskost, „wie unsereiner es gewöhnt ist“, fügte er hinzu, und wieder ging das Zucken um seine Lippen.
„Weisst du, Grosspapa, ich glaube, der macht sich lustig über uns“, meinte Mite ganz aufgebracht, nachdem er gegangen war. „Er hat einen so maliziösen Zug im Gesicht.“
„Ach, warum nicht gar!“ verwies sie der Grossvater um so energischer, als er selber ein unbehagliches Gefühl bei der Erinnerung an des Inspektors überlegen kühle Art empfand. „Ich möchte wissen, wie er dazu käme.“
„Aber du selber hast doch öfters schon gesagt, dass Emporkömmlinge zur Überhebung neigen.“
„Na,