Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg

Rittmeister Segendorf - Elisabeth Krickeberg


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desgleichen, selber wollte sie mit diesem Herrn Müller abrechnen.

      Er stand im Wirtschaftshof an einer der Scheunen, das Abladen eines Kornwagens beaufsichtigend, als Mite, bebend vor Erregung, schnurstracks auf ihn zugeeilt kam. „Herr Müller, ist das wahr, dass meine Sibylle den Milchwagen ziehen muss?“ sprudelte sie, ohne ihn auch nur gegrüsst zu haben, sogleich los.

      Er blickte ihr ruhig ins Gesicht, mit einem kühlen Spott, der sie vollends ausser sich brachte.

      „Ich kann’s nicht glauben,“ fuhr sie boshaft fort, „das würde eine Rücksichtslosigkeit und Eigenmächtigkeit von Ihnen bedeuten ...“

      „Baronesse haben mit mir zu sprechen?“ unterbrach er sie höflich, aber bestimmt, mit einem Blick auf die in Hörweite arbeitenden Knechte. „Dort ist mein Kontor, bitte, mich dahin zu begleiten“, und er ging ohne weiteres voran, es ihr überlassend, ihm zu folgen. Sie tat es mit zusammengebissenen Zähnen, beschämt, wütend auf sich selber, dass sie sich so hatte gehen lassen.

      Im Kontor angelangt, blieb er vor ihr stehen, er bot ihr nicht einmal einen Sitz. „Gnädiges Fräulein wünschen zu wissen, mit welchem Recht ich die Sibylle für den Milchwagen bestimmt habe?“

      „Ja, sie ist mein Reitpferd.“

      „Das stimmt nicht ganz. Gnädiges Fräulein haben die Sibylle als Reitpferd benutzt, sie ist aber nicht persönliches Eigentum der Baronesse, sondern gehört zu dem vorhandenen lebenden Inventar des Gutes, wie ich mich aus den Büchern überzeugt habe, sonst, gnädiges Fräulein können versichert sein, hätte ich nicht über sie bestimmt, so notwendig ich das Tier zur Aushilfe brauchte. Die Wirtschaft ist augenblicklich nicht in der Lage, neues Pferdematerial anzuschaffen, das vorhandene muss nach Möglichkeit ausgenutzt werden, zumal es sich nur um einige Erntewochen handelt, ausserdem hat das gnädige Fräulein schon seit längerer Zeit nicht daran gedacht, auszureiten. Das Tier stand müssig im Stall, und wenn es auch alt ist und nur noch leichte Arbeit verrichten kann, zum Faulenzen hat zurzeit selbst ein Pferd auf Segendorf nicht das Recht.“

      Mite zuckte innerlich zusammen; sollte das ein Stich für sie sein? Und sie war auch ratlos, darauf liess sich schlechterdings nichts erwidern. Er hatte ja recht, das Pferd gehörte in die Wirtschaft, war nicht ihr Privateigentum; aber sie gab sich nicht gefangen.

      „Nun, dann wäre es wenigstens ritterlich gewesen, wenn Sie mich vorher von Ihrem Entschluss benachrichtigt hätten“, warf sie ihm verächtlich ins Gesicht. Ihre Wangen brannten, die schönen Rehaugen blitzten vor Zorn und Ungeduld. Wie ein graziöses, reizendes Sprühteufelchen stand sie vor ihm, mutig, kampfbereit bis zum äussersten. Sie hatte nichts von der schmiegsamen, etwas farblosen Nachgiebigkeit und Weichheit gewisser zarter Blondinen, sie besass Rasse.

      Über sein ernstes, strenges Gesicht ging ein Lächeln, nicht spöttisch und nicht geringschätzig, im Gegenteil ein Lächeln, das viel eher eine Anerkennung und Befriedigung barg, und das sie mehr beleidigte, als es der ärgste Hohn hätte tun können. Aber es war im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden. „Konnten gnädiges Fräulein wirklich das Benehmen eines Ritters von dem ... Bauern erwarten?“ fragte er in seiner alten Ruhe und mit seinem alten Sarkasmus.

      Mit einer zornigen Gebärde warf sie den Kopf auf: „Die Pflichten des Anstands kann auch ein Bauer erfüllen.“

      „Ja, aber seine Ansichten über Anstand sind verschieden von denen der Baronesse Segendorf.“ Das klang wieder sehr boshaft. „Ich kann leider meine Massnahmen nicht rückgängig machen,“ fuhr er fort, „aber ich werde dem gnädigen Fräulein gern meinen Fuchs zur Verfügung stellen. Baronesse können ihn getrost reiten, er ist von feinerer Rasse als sein Herr und versteht sehr wohl, was er einer Dame schuldig ist; ausserdem ist er wirklich weder in einer Wette gewonnen noch gestohlen, sondern rechtlich erworbenes Eigentum. Baronesse brauchen sich nicht vor ihm zu scheuen.“

      Sie bebte vor Empörung, um so mehr, als sie sich getroffen, im tiefsten Innern beschämt fühlte. Wie konnte er wagen, ihr das zu sagen, sie mit ihren eigenen Worten zu schlagen? Sie war tödlich beleidigt, aber er durfte um die Welt nicht sehen, wie sie sich kränkte. Alle ihre Kraft zusammennehmend, sagte sie von oben herab: „Ich danke, lieber würde ich zeitlebens auf das Reiten verzichten! — Ich werde auch Sibylle, da sie Gutseigentum ist, was mich nichts angeht, nicht mehr für meine Privatzwecke benutzen. Wenn auch die Segendorfs in Ihren Augen einem heruntergekommenen Geschlecht angehören — was sie sich schuldig sind, haben sie nicht vergessen.“

      Mite war dann hinaus und in ihrem Zimmer im Schloss, ohne zu wissen, wie sie dahin gelangt war. Zorn und Scham hatten ihr alle Besinnung geraubt, und nun brach sie in ein wildes Schluchzen aus und weinte sich recht herzlich satt. Ach Gott! welch ein Jammer ist’s doch, wenn ein ehemals glänzendes Geschlecht durch widrige Schicksalsschläge so tief sinkt, dass es dem guten Willen und der Barmherzigkeit des ersten besten ungebildeten Menschen auf Gnade und Ungnade überantwortet ist.

      Sie bemitleidete sich selber aus tiefster Seele. Wie abscheulich hatte dieser Mann aus niederm Stand sie behandelt! — Wie ein Schulmädchen hatte sie vor ihm stehen und sich schelten lassen müssen. Gewiss, es war nicht hübsch gewesen, dass sie damals die alberne Bemerkung über die Art, wie er in den Besitz des kostbaren Reitpferdes gelangt sein könnte, gemacht hatte; aber sie war doch nur ein kindischer, gedankenloser Scherz von ihr gewesen, und er, der unheimlich Kluge, konnte ihn auch unmöglich für ernst genommen haben, benutzte ihn aber trotzdem, um sie zu demütigen.

      Ein echter Edelmann, ein Herr aus ihren Kreisen, würde das einer Dame gegenüber niemals getan haben. Damit und durch sein Lauschen hinter der Türe bewies er ja am besten, dass er wirklich ein Bauer war. Und einem solchen mussten sie sich beugen, der Grosspapa, der des Kaisers Rock in so hoher Stellung getragen hatte, ein Ritter und Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle, und sie, die Enkelin des vornehmen Geschlechts derer von Segendorf, das seine Ahnen bis auf die Kreuzzüge zurückverfolgen konnte. Man wusste nicht einmal, ob die Mutter dieses unbekannten Herrn Müller nicht vielleicht eine Stallmagd gewesen war.

      Als sie zu Tische erschien, hatte sie noch ganz verweinte Augen, und kaum erblickte sie den Grosspapa, als sie auf ihn zueilte: „Wusstest du, dass Sibylle den Milchwagen ziehen muss, Grosspapa?“

      Der alte Herr war sichtlich verlegen, er sah die Erregung der Enkelin und die Tränenspuren an ihren Augen, und er hatte ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber. Um einer Szene auszuweichen, hatte er die Geschichte mit der Sibylle vor ihr verschwiegen. Darum wäre er jetzt gern ausgewichen, aber da gab es keine Möglichkeit. Mite stand vor ihm und bohrte ihre Augen förmlich in die seinen. „Ja, ich wusste es“, bekannte er. „Herr Müller hat es mir natürlich gemeldet.“

      „Das ist gar nicht natürlich bei diesem Müller. Dann hat er dir einmal eine ganz besondere Gnade erwiesen, als er es dir sagte.“

      „Mite“, warnte Frau von Siebenstein, aber die fuhr unaufhaltsam fort: „Und du hast es gebilligt, Grosspapa, dass das arme Tier in seinen alten Tagen so gequält wird, nur damit dieser von zweifelhafter Herkunft stammende Müller mir einen Ärger antun kann?“

      „Ach, Mite, du bist ja des Kuckucks“, rief der alte Herr aufgebracht, froh, eine Gelegenheit zum Poltern gefunden zu haben. „Es hat Müller selber leid getan, das Pferd in die Arbeit einstellen zu müssen, übrigens die leichteste, die man ihm geben konnte, er hat es mir ausgesprochen.“

      „Dir — so — warum denn nicht mir selber, was anständiger gewesen wäre?“

      „Wie käme er denn wohl dazu, dich anzureden? Ich dächte, du zeigtest ihm deutlich genug bei jedem Zusammentreffen deine Gedanken über ihn — und da wir einmal darüber sprechen: ich muss dich ernstlich darum ersuchen, dein Benehmen gegen Müller höflicher zu gestalten. Du hast nicht das geringste Recht, ihn mit Geringschätzung zu behandeln, im Gegenteil, wir sind ihm grossen Dank schuldig, und ich wünsche nicht, dass sich eine Segendorf der Pflicht der Dankbarkeit entzieht. Wir haben wahrlich in unserer jetzigen Lage kein Recht, uns auf unsern Stand etwas einzubilden, heruntergekommen, wie wir sind.“

      Da schnellte Mite empor: „Grosspapa, wie kannst du dein Geschlecht so herabsetzen und beleidigen! — Haben wir nötig, uns zu schämen, wenn ein widriges


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