Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg
bis zur Sohle, wie ein Offizier in Zivil, musste sie denken. Es war überraschend, dass ein Mann von seiner geringen gesellschaftlichen Bildung mit so selbstverständlicher Miene das Äussere eines Kavaliers zur Schau trug, und, was noch mehr war, dass es ihn kleidete.
Sie sah ihn dann und wann auch reiten, und da konnte sie sich nicht helfen, sie, die Sportverständige, war einfach entzückt! — Wie er das Pferd meisterte! — seine Haltung — sein Schneid! Sie musste sich eingestehen, dass nicht viele Offiziere in Grosspapas Regiment so vorzüglich zu Pferde gesessen hatten. Ach, und dies herrliche Tier! Wie gern hätte sie ihm einmal den feinen Hals geklopft und ein Stück Zucker gereicht.
Und er sah auch sie, wenn sie am Nachmittag mit der Tante Siebenstein, mit Handarbeiten beschäftigt, unter den Linden im Park sass. Nur eben eine kleine Öffnung in der den Park umgrenzenden Hecke erlaubte ihm vom Kornspeicher aus den Blick auf diesen Lieblingsplatz der Schlossherrschaft, aber es war ein malerischer Blick, wie ein Bild: von frischem Grün umrahmt der schöne Mädchenkopf mit dem süssen Gesicht und den nachdenklich blickenden Rehaugen unter dem leuchtenden Gold des herrlichen Haares — warum sollte er ihn meiden?
Andreas, der Stallknecht, meinte, der Inspektor ginge wahrscheinlich im Kornspeicher auf die Mäusejagd, denn sonst konnte er sich nicht erklären, was er da oben in den so bald nach der Ernte noch fast leeren Räumen täglich zu tun hatte.
Eines Tages klagte der Grosspapa darüber, dass Müller nie des Abends zu einer gemütlichen Karten- oder Schachpartie zu haben sei. Freilich, er würde nach dem anstrengenden Tagewerk tüchtig müde sein, aber ein kleines, nettes Spiel sei doch auch eine Erholung; doch er wüsste schon, er käme nur nicht, weil er glaubte, mit seiner Gegenwart die Damen zu stören. Denn natürlich hätte er gemerkt, mit welcher Missgunst man zu Anfang seiner Gegenwart entgegengesehen hätte.
Mite war so erschrocken, dass sie kein Wort der Erwiderung fand. Frau von Siebenstein kam ihr zu Hilfe. Der Grosspapa möge nur nicht vergessen, dass er selber der Ankunft des neuen Inspektors mit sehr gemischten Gefühlen gegenübergestanden und ihn keineswegs mit Freuden, sondern lediglich als ein notwendiges Übel mit gezwungener Höflichkeit begrüsst habe; aber wenn der Baron es wünsche, würde sie Herrn Müller eine förmliche Einladung zukommen lassen.
„Ja, Tante,“ fiel Mite, sich aufraffend, mit blitzenden Augen ein, „und du kannst ihm dann gleich versichern, dass er nicht zu fürchten braucht, meine Gegenwart ertragen zu müssen. Ich werde sehr gern dem ‚gemütlichen Zusammensein‘ fernbleiben.“
„Um ihm eine neue Beleidigung anzutun!“ rief ärgerlich der Baron. „Potz Wetter, Mädel! Ich bin mit einem ganzen Regiment handfester Kerle in bestem Frieden ausgekommen und soll mir jetzt im eigenen Hause von einem eigensinnigen Kindskopf Opposition machen lassen!“
„Schicke mich doch fort, Grosspapa! — Ach, ich will gern deinem Herrn Müller Platz machen, wenn er dir doch lieber ist als deine Enkelin.“
„Ruhe, Ruhe!“ sagte Frau von Siebenstein, ihren Arm begütigend um Mite legend, und sie schüttelte missbilligend und warnend ihren Kopf gegen den Baron. Wenn er ein friedliches Einvernehmen zwischen diesen beiden Menschen wünschte, konnte er es nicht verkehrter anfangen, als sie gewaltsam zusammenbringen zu wollen. Das würde sich alles mit der Zeit von selber machen, augenblicklich hatte der Inspektor ja wirklich tagsüber so viel Arbeit, dass er zufrieden sein würde, abends seine Ruhe ungestört geniessen zu können.
6. Kapitel.
Mite zürnte dem Grosspapa bitter. Es war doch fast, als ob er den fremden Menschen der eigenen Enkelin vorzöge. Und nun schämte sie sich nicht mehr vor dem Inspektor und fühlte sich nicht mehr bedrückt durch ihn. Wenn er ihr die Liebe des Grossvaters raubte, dann war all sein Verdienst wettgemacht. Der Trotz beherrschte sie nun ganz und gar. Jetzt würde sie ihm auch nicht mehr ausweichen, sondern mit erhobenem Kopf kalt, gleichgültig an ihm vorübergehen.
Und just am Nachmittag desselben Tages noch ereignete es sich, dass sie ihn traf.
Zu Mites Lehraufgabe gehörte es, dass sie sich um die kranken Gutsleute kümmerte, was bisher Tante Siebenstein allein getan hatte. Nun hatte das Stubenmädchen die Nachricht gebracht, dass die alte Siebeln sich schlecht befinde und zu Bett läge, und Mite machte sich sogleich auf, nach ihr zu sehen. Das Gesindehaus lag nur ein paar Schritte vom Wirtschaftshof entfernt; so ging Mite, wie sie da war, ohne Hut, das Körbchen mit Erfrischungen am Arm, über den Hof, den sie seit der Reitpferd-Angelegenheit nicht mehr betreten hatte. Ja, sie hatte nicht einmal die Schürze abgebunden — dieser Müller war jetzt Luft für sie.
Da, gerade als sie an der Türe des Gesindehauses angelangt war, trat er heraus. Er stutzte, als er sie sah, grüsste zögernd, wie überlegend, dann sah er ihr voll ins Gesicht und sagte entschlossen:
„Wie ich sehe, wollen Baronesse die kranke Siebeln besuchen — ich muss dringend davon abraten. Die Frau hat hohes Fieber, und ich habe den bestimmten Verdacht, dass es sich um eine Infektionskrankheit, wahrscheinlich wohl Typhus, handelt. Da liegt also die Gefahr der Ansteckung vor.“
Sie hatte es nicht verhindern können, dass sie bei seinem plötzlichen Erblicken glühend rot geworden war, aber sie nahm sich gewaltsam zusammen. „Ich fürchte mich nicht vor Ansteckung“, sagte sie kalt, mit einer hochmütig abweisenden Bewegung des Kopfes und wollte an ihm vorüber zur Türe.
Er aber versperrte ihr mit seiner vollen Breite den Eingang. „Ich bedaure, aber ich kann dem gnädigen Fräulein nicht gestatten, die Frau zu sehen.“
Da fuhr sie in flammender Erregung empor. „Sie ... können mir nicht gestatten —“
„Baronesse vergessen, dass das hier mein Bereich ist, in dem ich unumschränkter Herrscher bin.“ Er sagte es mit einem trüben Lächeln. „Gnädiges Fräulein können versichert sein, dass ich mir selber auf die Rolle, die ich spielen muss, nichts einbilde. Der Widerwille, dem ich bei dem gnädigen Fräulein bereits begegne, genügt mir vollkommen, und ich trage nicht Verlangen, ihn noch zu vermehren; aber das kann mich nicht dazu bewegen, meine Pflicht zu vernachlässigen, und die zwingt mich, Baronesse von dieser Schwelle zu weisen.“
Seine Pflicht, sagte er, also durchaus nicht etwa Besorgnis um sie, einer etwaigen Ansteckung wegen. Aber das war auch nicht einmal sein Pflichtgefühl, sondern lediglich der Wunsch, ihr wieder einmal seine Überlegenheit zu zeigen. Ihr Auge sprühte ihn an.
„Und meine Pflicht als Tochter der Gutsherrschaft ist es, mich um die kranken Untergebenen zu kümmern! Also Pflicht gegen Pflicht; es fragt sich nur, wer die seine mit dem grösseren Nachdruck behaupten wird. — Unzweifelhaft Sie, Sie sind ja der Herr, der Stärkere, da hat die Frau zu weichen.“
Ein eigentümliches, halb spöttisches, halb trauriges Lächeln spielte um seinen Mund, als er erwiderte:
„Allerdings, unzweifelhaft werde ich hier der Stärkere sein! — Was das gnädige Fräulein mir für Beweggründe unterlegen, darf mich nicht beirren, um so weniger, als ich mich des Einverständnisses des Herrn Barons sicher weiss. Ausserdem — es ist bereits alles für die Kranke geschehen, was geschehen konnte. Arzt und Krankenwagen sind bestellt, denn natürlich muss sie nach dem Krankenhaus geschafft werden, und was gnädiges Fräulein ihr da an Erfrischungen bringen möchten, dürfte und könnte sie vorläufig doch nicht geniessen. Baronesse können also über eine etwaige Pflichtversäumnis ganz beruhigt sein.“
Er hatte sie also wieder einmal geschlagen mit seiner kühl sichern, überlegenen Art, der gegenüber sie sich immer wie ein dummes Schulgör vorkam. Schon seine öde Art, sie nie direkt, sondern immer in der dritten Person anzureden, zehnmal in einem Satz „gnädiges Fräulein“ oder „Baronesse“ zu sagen, empörte sie. Er bewies ihr damit am deutlichsten seine Geringschätzung; denn wenn man über einen andern rechtschaffen ärgerlich ist, dann lässt man gern einmal die Etikette beiseite und redet als Mensch zum Menschen. Das Tun und Lassen der Baronesse Segendorf war ihm zu gleichgültig, um sich über sie zu erzürnen. Sie stand einen Augenblick ratlos, den Blick gesenkt, die Lippen fest aufeinandergepresst und die Stirn finster zusammengezogen.
Müller betrachtete sie schweigend, und dabei kam ein weicher Ausdruck