Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg
— Nicht ein widriges Geschick, sondern die eigene Untüchtigkeit und Leichtfertigkeit haben das Geschlecht der Segendorf ins Unglück gebracht, damit du es endlich weisst. Die Vorfahren haben die liederliche Wirtschaft begonnen, und dein Grossonkel, mein Herr Bruder, hat sie vollendet. Er hat als grosser Herr in Ägypten gewissenlos auf Pump gelebt, und daheim haben Betrüger und unfähige Beamte geholfen, den Ruin zu beschleunigen. Ich bin auch kein Heiliger gewesen, habe manchen Groschen mehr ausgegeben, als ich unbedingt nötig gehabt hätte; aber was ich ausgegeben habe, war wenigstens mein Eigentum, und ich hätte nicht nötig gehabt, auf irgendeines Menschen Hilfe zu rechnen, wenn mir nicht diese unglückselige Erbschaft in den Schoss gefallen wäre. Nun stehe ich vor einer Schuldenlast, die mich erdrückt haben würde und dich dazu, wenn nicht dieser ‚von zweifelhafter Herkunft stammende Müller‘ uns im letzten Augenblick noch als Helfer in der Not erschienen wäre. Ob wir noch einmal im Leben auf einen grünen Zweig kommen, ist heute noch ungewiss, wir werden aber wenigstens keinen schimpflichen Bankrott machen müssen, so viel steht schon jetzt fest, und das danken wir allein diesem Müller. Nun magst du selber beurteilen, ob dein Benehmen ihm gegenüber anständig ist oder nicht.“
Noch nie hatte Mite eine so energische Zurechtweisung vom Grosspapa erhalten, sie war vollkommen sprachlos, eingeschüchtert und tödlich beschämt. Es war ihr höchster Stolz gewesen, aus dem erlauchten Geschlecht der Segendorfs zu stammen, ihre Vorfahren waren ihr Ritter sonder Furcht und Tadel, echte, vornehme Aristokraten gewesen, und wenn dem Grosspapa in letzter Zeit öfters einmal ein hartes Wort über den verstorbenen Bruder entschlüpft war, so hatte sie das auf Rechnung der zwischen beiden herrschenden Abneigung geschoben.
Und nun musste sie hören, dass dieser Grossonkel nichts weniger als ein Edelmann im wahren Sinn des Wortes, ja, eigentlich ein rechter Lump gewesen war — denn was ist ein Mensch, der Schulden macht, die er nicht bezahlen kann, anders als ein Betrüger —, und dass die stolzen Segendorfs nun darauf angewiesen waren, sich von einem bezahlten Untergebenen ihren guten Namen wiederherstellen zu lassen. Und sie hatte sich obenein diesem Untergebenen gegenüber, der ihre Schmach kannte und im Bewusstsein seiner Tüchtigkeit und Unentbehrlichkeit, natürlich voll Bauernhochmut, mitleidig nachsichtig auf sie herabblickte, die Blösse gegeben, die vornehme, beleidigte Dame herauszukehren.
Oh! nie würde sie dem Müller mehr ins Gesicht blicken können. Sie fühlte sich vor ihm bis in den Staub gedemütigt und beschämt, und um so mehr hasste und verabscheute sie ihn. Ganz verzweifelt war sie bei dem Gedanken, dass die Segendorfs ihm so grossen Dank schuldeten. „Du auch!“ — hatte ihr der Grosspapa zugerufen, und jetzt, da sie erst einmal ihre Harmlosigkeit abgestreift und angefangen hatte, zu denken und zu grübeln, sah sie ein, mit Recht.
Dass Grosspapa kein Vermögen besass, war ihr allerdings bekannt gewesen, in sorgenvollen Stunden hatte er es ihr immer wieder voll schmerzlicher Kümmernis gesagt, aber sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht. Dass Grosspapa sterben sollte, lag so ganz ausserhalb ihrer Vorstellung, schien so unmöglich, in jedem Fall brauchte sie einstweilen noch nicht darum zu sorgen; er würde noch lange leben. Er war ja so rüstig und das Grübeln über diese „Wenns“ so unbequem.
Jetzt wies sie den Gedanken nicht wieder von sich: Wenn Grosspapa sterben sollte! Das Gut verschuldet, verliedert! Man würde es ihr wahrscheinlich fortnehmen. Sie ohne einen Pfennig Vermögen, ohne etwas gelernt zu haben, womit sie sich ihr Brot verdienen konnte, was war da ihr Los? Man würde sie, den Sprössling altadeligen Geschlechts, mit Hilfe irgendeiner mildtätigen Stiftung der Stammesgenossen in einem Fräuleinstift unterbringen, und all ihre Lebtage würde sie gezwungen sein, von Almosen zu leben.
Das waren ihre Aussichten gewesen, bevor der neue Inspektor kam, dieser „von zweifelhafter Herkunft stammende Müller“ — und jetzt, da er kaum einige Wochen da war, blickte Grosspapa bereits mit Hoffnung in die Zukunft, zum mindesten würden sie nicht mit Schimpf und Schande vom Stammgut der Familie gejagt werden. Vielleicht erhielt ihr sogar die Tüchtigkeit des neuen Inspektors ihr dermaleinstiges Erbe, und wenn er auch für seine Arbeit bezahlt wurde, sie hätte blind sein müssen, wenn sie nicht trotz ihres Hasses gegen ihn hätte sehen sollen, dass er mehr tat, als seine Pflicht von ihm heischte, und dass er es in einer ganz andern, hingebungsvolleren und persönlicheren Art tat, als der erste beste andere bezahlte Untergebene. Gott im Himmel! wie sollte sie dem Mann das jemals danken! — einem Mann, den sie nicht einmal ansehen konnte, ohne dass ihr Inneres sich gegen ihn aufbäumte.
5. Kapitel.
Mite lag die ganze Nacht wach und grübelte in Pein und Ängsten, und am Morgen beim Frühstückstisch blickten Grosspapa und Tante Siebenstein erst sie und dann sich gegenseitig ganz erstaunt und erschreckt an: Was war mit dem Kind vorgegangen? Die Mite war blass, und tiefe Schatten lagen ihr unter den Augen, aber was die Hauptsache war, das Kindliche, sorglos Heitere, Weiche und dabei doch keck Selbstbewusste war aus ihrem Gesicht und Wesen gewichen und ein düsterer Ernst, eine ganz ungewohnte Entschlossenheit darübergebreitet. Das Backfischchen war über Nacht zu einem jungen Weib gereift.
Frau von Siebenstein war über die Massen erstaunt, als Mite nach dem Frühstück zu ihr in die Küche trat.
„Tante, du musst mich jetzt wirtschaften lehren, bitte! — Später, wenn mir Segendorf einmal zufallen sollte, werde ich doch nötig haben, selber Hand anzulegen, wie du es ja doch auch tust. Wir leben nicht in glänzenden Verhältnissen, und ich weiss jetzt auch, dass ich als Letzte eines herabgekommenen Geschlechts nicht das Recht habe, eine Ausnahmestellung zu beanspruchen. Ich schäme mich bitter, dass ich es bis jetzt getan habe, und ich würde es nicht länger ertragen, dass der fremde Mann für uns arbeitet, während ich mit Nichtigkeiten meine Zeit vergeude. Hilf mir, Tante, mich zu einem brauchbaren Menschen auszubilden. — Oh, warum habt ihr mich so lange in gedankenlosem Müssiggang leben lassen!“
Frau von Siebenstein legte ihren Arm um sie und presste ihr kummerschweres Köpfchen in heisser Zärtlichkeit an ihre Brust.
„Liebling, du warst unser Sonnenschein, und wir wollten dir das strahlende, ungetrübte Jugendglück so lange wie möglich erhalten. Du bist auch nicht müssig gewesen, hast ein hübsches Wissen aufgespeichert und allerhand schöne Künste getrieben, die keineswegs nutzlos sind, denn sie dienen dazu, Sonnenschein in das Grau des Alltags zu zaubern. Allerdings ist es jetzt Zeit, dass du dir zu den idealen Gütern auch praktische Tüchtigkeit erwirbst, und ich freue mich von Herzen, dass du das von selber eingesehen hast. Nun warte nur, Kleine, du sollst unter meiner Leitung eine so tüchtige Gutsherrin werden, wie weiland Frau von Bredow war, wenn du auch nicht gerade beim Waschfest der Mägde tätig Hand mit anlegen wirst.“
So begann Mite, unter Frau von Siebensteins Leitung zu wirtschaften, und sie tat es mit Ernst und Eifer. Der gesunde, tüchtige Kern, der ehemals das alte Geschlecht zu Ansehen und Wohlhabenheit gebracht hatte, das zielbewusste Wollen, das empfindliche Ehrgefühl und der Stolz auf die eigene Kraft steckte auch in ihr, und dazu etwas von des Grosspapas frisch-fröhlichem Ungestüm.
Frau von Siebenstein hatte bald zu wehren, dass Mite sich nicht übernahm. Sie scheute sich, nach dem Beispiel der Tante, vor keiner Arbeit im Haushalt. Früher war Frau von Siebenstein, um dem alten Herrn eine schmerzliche Erfahrung zu ersparen, oft heimlich zu den Mädchen zur Unterstützung geeilt, wenn die Arbeit bei den wenigen Hilfskräften, die man halten konnte, zu anstrengend für sie wurde.
Mite hatte davon natürlich keine Ahnung gehabt, höchstens überraschte sie die Tante einmal beim Kochen oder Ausbessern, und dann schalt sie über die gewöhnliche Arbeit, die doch das Mädchen besorgen könnte. Jetzt schämte sie sich ihrer gedankenlosen Untüchtigkeit und eiferte der Tante Beispiel nach. In aller Herrgottsfrühe erschien sie bereits in der Küche, putzte Gemüse, kochte und briet, half beim Bügeln, stäubte ab.
Frau von Siebenstein liess sie lächelnd gewähren. Diese Arbeiten würde die Baronesse Segendorf ja einmal nicht zu tun brauchen, aber wer mit Verstand und Umsicht befehlen will, muss selber verstehen und beurteilen können, was andere für ihn leisten sollen.
Grosspapa kratzte sich bedenklich hinter dem Ohr, wenn er die fieberische Geschäftigkeit der Enkelin sah. „Wie lange — und der Wildfang hat die Geschichte satt!“ meinte er; aber Frau von Siebenstein schüttelte zuversichtlich den Kopf: „Was sie