Rittmeister Segendorf. Elisabeth Krickeberg
zeigte dem Baron lachend ihre Finger: „Sieh, Grosspapa, wenn ich jetzt mit der Komtesse Wernigen vierhändig spielen sollte, würde sie sehr entrüstet sein und mich vielleicht als unmöglich fallen lassen — was meinst du? — und eine feine Seidenstickerei kann ich dir diesmal auch nicht zu Weihnachten machen, die Fäden bleiben einfach an der rauhen Haut sitzen.“
„Aber du brauchst doch nicht wie ein Dienstmädchen zu rackern“, schalt der Baron.
„Doch, Grosspapa!“ sagte sie mit würdevollem Ernst, „so lange, bis ich alles verstehe — du hast auch langsamen Schritt machen und Griffe klopfen müssen, ehe du Offizier wurdest, — und meinst du nicht, dass dieser — dass dieser Müller auch erst selber gelernt hat, den Pflug zu führen, ehe er verstand, Inspektor zu sein?“
Es war das erstemal, dass sie des Inspektors wieder erwähnte, aber Frau von Siebenstein merkte, dass er ihr immer gegenwärtig war. So ungezwungen sie sich mit der grossen Küchenschürze im Hause bewegte, sobald sie in Hof oder Park hinaustrat, band sie sie sorgsam ab. Sie konnte ja zufällig ihm begegnen, und er brauchte nicht zu wissen, dass sie arbeitete. Sie erwog, ob man nicht den Hühnerhof vom Wirtschaftshof in den Park verlegen könnte, und als Frau von Siebenstein verwundert sagte, dazu läge doch kein Grund vor, meinte sie:
„Ich möchte doch auch die Geflügelzucht lernen, Tante, und es wäre netter, wenn ich da nicht vor den Knechten herumlaufen müsste.“ In Wahrheit aber waren es nicht die Knechte, sondern der Inspektor, dem sie nicht begegnen wollte. Mit der Milchwirtschaft war es dasselbe. „Die gehört doch zu den Obliegenheiten der Gutsherrin, die muss ich später auch einmal verstehen, aber wie soll ich sie denn erlernen, bei der so streng getrennten Verwaltung von Gut und Schloss?“
„Liebstes Kind, es käme doch nur darauf an, dass wir uns mit Herrn Müller ins Einvernehmen setzten.“
„Nimmermehr, Tante! lieber gehe ich einmal ein halbes Jahr auf ein fremdes Gut und lerne da, was ich hier nicht lernen kann. Und Herr Müller wird ja doch auch nicht ewig bei uns sein, er wird ja doch sicher bald die Geschichte hier satt haben.“
„Das glaube ich allerdings auch“, meinte Frau von Siebenstein diplomatisch, und sie sah, wie sich Mite dabei verfärbte.
Es war Mite wochenlang gelungen, dem Inspektor auszuweichen. Sie waren sich seit der Auseinandersetzung wegen des Reitpferdes nicht mehr begegnet, trotzdem er jetzt öfters zum Grosspapa ins Schloss kam. Die beiden Herren hatten jetzt viel miteinander zu besprechen, es hatte sich allmählich ein sehr angenehmes Verhältnis zwischen ihnen entwickelt. Der alte Herr bewahrte streng seine Zurückhaltung in Angelegenheiten des Majorats, denn er sah ja, dass er sie bessern Händen nicht anvertrauen konnte. Er bewies dem Inspektor volles Vertrauen und gewann selber durch ihn mehr und mehr Gefallen an der Landwirtschaft; so gab Müller, der sich in seinem Werk durch unbefugte Einmischung nicht mehr bedroht sah und den ehrenwerten Sinn des alten Herrn hochschätzen lernte, seine Zurückhaltung auf und gewährte ihm freiwillig Einblick in seine Verwaltung.
Dabei konnte es nicht ausbleiben, dass dem Baron immer mehr die Augen geöffnet wurden über die schmachvoll liederliche und betrügerische Art, wie unter seinem Bruder gewirtschaftet worden war, und manchmal stieg darüber dem alten Herrn das gelegentlich noch recht jugendlich rasch pulsierende Blut zu Kopf, und er wetterte mit seinen kernigsten Flüchen gegen diese „gottverdammte Schweinewirtschaft“ los, ja Mite in ihrem Zimmer im ersten Stock hörte ihn wohl gar mit der Faust auf den Tisch schlagen.
Darauf sang er dann das Loblied dieses Müller, und Mite presste ergrimmt die Lippen zusammen und dachte ganz verzweifelt, dass es wohl am besten wäre, sie überliesse diesem Müller dereinst ganz und gar das wieder lebensfähig gewordene Segendorf. Denn eigentlich war es ja doch seine Schöpfung, und wie sollte sie ihm sonst wohl genügend danken? Und nur nicht ihm etwas schuldig bleiben.
Er verkehrte also jetzt mit dem Grosspapa, aber die Damen übersah er nach wie vor. Es fiel ihm gar nicht ein, noch irgendeinen förmlichen Höflichkeitsbesuch im Schloss zu machen, nicht einmal an Mites Geburtstag, der in diese Zeit fiel. Die Dienstboten wussten ihn natürlich, sie gratulierten ihr, die Mädchen im Schloss wanden Girlanden um die Türen und bekränzten ihren Platz am Tisch, und abends erhielt das männliche Gesinde Bier und Zigarren, das weibliche Kaffee und Kuchen, und auf der Tenne wurde getanzt.
Mite hatte schon lange vorher vor dem Tag gebangt und zuletzt sich in einem wahren Fieber unangenehmer Erwartung befunden. Wenn dieser Müller, wie es seine Pflicht war, kam, ihr zu gratulieren, natürlich ebenso widerwillig und gezwungen, wie sie ihn empfangen würde, — welch peinliche, mehr als das, ganz unerträgliche Lage das sein musste. Ob sie sich krank stellte — verreiste? Aber welchen Grund sollte sie Grosspapa dafür angeben, und die Enttäuschung durfte sie dem alten Herrn auch nicht bereiten, dass sein Liebling ihn gerade an diesem Tag allein liess.
Doch alle ihre Besorgnisse waren überflüssig, nicht sie brauchte zu verreisen, Herr Müller tat es. Der grösste Teil der Ernte war herein, und da die Leute doch an dem Geburtstag der Baronesse einen halben Feiertag hatten, konnte er just an diesem am besten abkommen, um dringende wirtschaftliche Angelegenheiten in der Stadt zu erledigen. Statt in Person gratulierte er in einem feierlichen Schreiben, korrekt und frostig, ganz pflichtgemäss, der Enkeltochter seines Herrn zum Geburtstag.
„Na, Mite,“ meinte der Grossvater lachend, „nun bist du wohl zufrieden, dass du deinem Todfeind nicht die Hand zu drücken brauchst.“
„Mein Todfeind?“ fragte Mite mit bitter verzogenen Lippen. „Ich denke, er ist mein Wohltäter, Grosspapa, da werde ich eines Tages ja wohl doch nicht umhin können, ihm die Hand zu reichen.“
„Das fürchte ich allerdings auch“, neckte der Baron, aber als er sah, wie ein Frösteln durch Mites Körper ging und ihr Gesicht alle Farbe verlor, schalt er halb belustigt, halb ärgerlich: „Du bist ein rechter Kindskopf! — Was du eigentlich gegen Müller hast, mag der Kuckuck wissen, aber du kannst beruhigt sein! Er hat Wichtigeres zu tun, als sich um die Launen eines kleinen Mädels zu kümmern, an dessen Existenz er sicherlich nur denkt, wenn er zufällig an sie erinnert wird.“
O ja, da hatte Grosspapa recht, er kümmerte sich nicht um das kleine Mädchen. Es war ihm unwichtiger und gleichgültiger als ein lebendes oder totes Einrichtungsstück der Wirtschaft; aber sie ärgerte sich nicht etwa darüber ... darüber gewiss nicht! Sie hatte es ja von Anbeginn an nicht anders gewünscht, der Bauer sollte ihr nicht erst zu nahe kommen.
Freilich hatte sie gemeint, dass sie diejenige sein wollte, deren Zurückhaltung ihm seinen Platz in gemessener Entfernung anweisen würde. Dass er ihr zuvorkommen, ihr gar nicht Gelegenheit geben könnte, Familiaritäten oder gar Aufdringlichkeiten von seiner Seite zurückzuweisen, ging allerdings gegen das Programm ... und ... ja, das musste sie sich schon eingestehen, es war ein wenig beschämend, sich so ganz als Nebensache behandelt zu sehen, Pah, von einem Mann, der, mochte er als Landwirt auch hervorragend tüchtig sein, als Mensch doch eben ohne feine Formen und gute Erziehung war!
Sie wollte nicht an ihn denken, und sie tat es doch unausgesetzt. Er war in ihr Leben getreten wie eine höhere Macht, die es fortan regierte. Alles, was sie tat oder liess, stand in Beziehung zu ihm. Sie lernte wirtschaften, um neben dem Tätigen und Klugen nicht müssig und unwissend zu sein; sie verzichtete auf ihren liebsten Sport, das Reiten, um nicht eine Gefälligkeit von ihm annehmen zu müssen; sie spielte nicht Klavier und sang nicht, weil er sie hören konnte; sie mied das Reich, in dem er Herrscher war, damit sie ihm nicht begegnete; ja sie zog sich vom Grosspapa mehr zurück, weil er entweder mit „diesem Müller“ zusammensteckte oder von ihm sprach, und sie lauschte bei jedem Zusammensein mit ihm doch, ob er nicht von diesem Müller reden würde.
Wenn sie sich einmal selber dabei ertappte, dass sie an den Inspektor dachte, entschuldigte sie sich: es ist, weil ich so einsam auf Segendorf lebe. Wenn ich mehr mit anderen Menschen in Berührung käme, würde ich ebensowenig von seinem Vorhandensein Kenntnis nehmen, wie er von dem meinen.
So vergingen Wochen, ohne dass sie einander begegneten, sie mieden sich eben beide. Gesehen hatte sie ihn allerdings täglich. Sie sah ihn immer, wenn er zu bestimmten Zeiten auf seinen regelmässigen Inspektionsgängen am Schloss vorüberkam, denn sie