In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber. Augustin Wibbelt

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt


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Frau Graudrossel erkundigte sich nach dem Gesangunterricht. Dieses Fach müsste besetzt werden, erwiderte Frau Eule, und sie hoffe, dass Frau Graudrossel selbst die praktischen Übungen übernehmen würde.

      Da meldete sich Küster Kuckuck und sagte: »Besonders wichtig sind die Treffübungen, denn es kommt alles auf die richtigen Tonintervalle an. Wenn einer die Terz rein herausbringt, dann ist schon viel gewonnen. Ich bin bereit, diese Spezialübungen zu leiten.«

      »Gut«, entschied Frau Eule, »damit aber die Wissenschaft zur Geltung kommt, müsst Ihr auch ein Kolleg halten über Geschichte und Theorie der Musik.« Meister Kuckuck machte sich stark dafür.

      »Wie ist es mit dem Turnen?«, rief der älteste Sohn von Frau Eichhörnchen und machte gleich ein paar gymnastische Übungen an seinem Ast, die große Welle, die kleine Welle und sonst noch allerlei.

      »Gymnastik und Rhythmik gehören dazu«, sagte Frau Eule.

      »Auch das Tanzen?«, fragte Fräulein Hermeline Wiesel und brüstete sich trotz der Sommerwärme mit seinem weißen Pelz.

      »Auch«, sagte Frau Eule, »aber eine wissenschaftliche Grundlage …«

      »Auch das Rudern?«, unterbrach sie ein Froschjüngling.

      »Gewiss«, sagte Frau Eule, und da merkte ich an dem Beifall der jungen Welt, dass die Sache gewonnen war. Nur schien mir die eigentliche Wissenschaft etwas zu kurz zu kommen.

      Frau Eule war offenbar derselben Meinung und gab dieser Meinung beredten Ausdruck, unterstützt von Meister Grimbart, dem Dachs.

      »Kommilitonen«, schnarrte er mit einem Bierbass, wie ein alter bemooster Bursche ihn sich nicht besser wünschen kann, »das sind doch alles mehr oder weniger Fisimatenten …«

      »Nieder mit dem Kerl!«, riefen die sämtlichen Frosch- und Eichhörnchenjünglinge.

      Aber Meister Grimbart fuhr ruhig fort: »Meinethalben kann das alles dabei sein, aber die Hauptsache ist strenge Wissenschaft. Ich zum Beispiel bin gern bereit, eine Vorlesung zu halten über Geschichte und System der Philosophie, besonders über Metaphysik und Metapsychik mit Einschluss der Mystik und des Okkultismus …« Hier wurde er durch einen starken Lärm unterbrochen.

      Ich hielt es an der Zeit einzugreifen. So machte ich den Vorschlag, die Sache an eine Kommission zu verweisen. Das fand allgemeinen Beifall. Gewählt wurden Frau Eule, Meister Grimbart, der Waldbruder und Krax junior, der Frosch. Wir sollten nun die Statuten entwerfen, die akademischen Lehrer anwerben und das Verzeichnis der Vorlesungen aufstellen. Arbeit genug! Ihr könnt euch denken, dass euer Waldbruder jetzt alle Hände voll zu tun hat.

      Wissenschaft im Walde

      Ihr werdet sicher gespannt sein auf die weitere Entwicklung unserer Waldhochschule. Das Ding ist am Rollen. Aber es waren doch noch manche Schwierigkeiten zu überwinden. Ich hatte viel zu tun, um zwischen den verschiedenen Richtungen zu vermitteln. Die ersten Sitzungen der Kommissionen verliefen etwas stürmisch. Frau Eule hat sich stark auf die reine Wissenschaft verbissen, und Meister Grimbart stimmt ihr bei. Die beiden sind dicke Freunde geworden und wollen ein sehr gelehrtes Lexikon herausgeben, worin sämtliche Dialekte des Waldes verzeichnet stehen, sogar die stumme Fischsprache.

      Krax junior spricht immer von Leibesübungen und studentischen Verbindungen und akademischer Freiheit und führt ein großes Wort mit seinem breiten Maule. Er hat bereits einen Ruderklub gegründet, und wie man hört, feiern die Frösche jeden Abend einen Kommers im Unkenteiche. »Saufgelage« nennt es Frau Eule. Die Frösche haben sich ein Kommersbuch angeschafft und brüllen alle möglichen Studentenlieder und trinken sehr viel dazu – zum Glück bloß Wasser.

      Die Eichhörnchen haben einen Turnverein gegründet unter dem Namen »Gutsprung«. Die Junker Marder sollen mit dem Gedanken umgehen, ein Korps zu stiften, und suchen einen passenden Paukboden für die Mensur. All dies bezeichnet Frau Eule als »Auswüchse«. Sie hat diesen Ausdruck aber auf meine Veranlassung zurückgenommen; andernfalls wollte Krax junior aus der Kommission austreten.

      Endlich kam doch eine Verständigung zustande. Für die Statuten wurde eine Unterkommission ernannt, Frau Eule und ich. Wir wollen uns die Sache reiflich überlegen und gründlich ausarbeiten. Sodann wurde ich als Rektor erwählt, was ich ja schon berichtet habe.

      Zugleich muss ich die theologischen Vorlesungen übernehmen; ich halte ein Kolleg über die Tier-, Vogel- und Pflanzenwelt im Alten und Neuen Testamente mit besonderer Berücksichtigung des Waldes. Meister Grimbart, der eigentlich die philosophische Abteilung übernimmt, will nebenbei auch die Theologie unterstützen. Er liest über ein asketisches Thema, nämlich über die gründliche Anfettung als Voraussetzung eines langandauernden Fastens während des Winterschlafes.

      Frau Schnecke hat sich erhoben, ein philosophisches Thema behandeln, nämlich das höhere und das niedere Seelenleben der Kriechtiere. Frau Eule vertritt ganz allein die Rechtsgelehrsamkeit. Sie hält Vorlesungen über Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie, über den Zivil- und Strafprozess und stellt praktische Übungen an im Lesen der Pandekten.

      Die medizinische Abteilung ist nicht übel vertreten durch Junker Edelmarder. Er verlangt aber für seine chirurgischen und anatomischen Übungen jede Woche ein Versuchskaninchen. Das scheint uns etwas viel zu sein, und ich bin überhaupt dagegen. Sein Kollege, Junker Steinmarder, verlangt bloß wöchentlich eine Maus. Er will über innere Krankheiten lesen, mit besonderer Berücksichtigung der Bakteriologie.

      Meister Lampe, der Hase, will ein Kolleg halten über höhere Mathematik, Frau Fledermaus über Sternkunde und Krax junior über die neuere Atomlehre. Wir wissen aber nicht recht, ob diese drei die nötigen Lehrbefähigungen besitzen. Die anderen Fächer sind noch nicht besetzt, aber wir dachten, wir könnten schon den Anfang machen. Das Weitere würde sich schon finden.

      Nun ist der wissenschaftliche Betrieb in vollem Gange. Gehälter werden nicht gezahlt; jeder muss sich selbst suchen, was er braucht, wie das im Walde immer so gewesen ist.

      Zunächst haben sich sämtliche Hochschullehrer eine Brille angeschafft und sehen nun sehr gelehrt aus. Zur Eröffnung der Waldhochschule wurde ein feierlicher Akt abgehalten, bei dem ich als Rektor eine Programmrede vom Stapel lassen musste. Frau Graudrossel hatte in der Eile einen akademischen Gesangchor zusammengestellt, der seine Sache recht gut machte. Nur Meister Kuckuck behauptete, eine Terz sei etwas zu tief genommen worden. Dann trug Jungfer Reh ein selbstverfasstes, sehr gefühlvolles Gedicht vor, blieb aber leider mitten darin stecken, weil sie in ihrer Schüchternheit Herzklopfen bekam.

      Im Allgemeinen sind die Vorlesungen gut besucht. Nur im Kolleg von Frau Eule ist es leer. Sie spricht entsetzlich langweilig und blättert immer in den Gesetzbüchern, weil sie die richtigen Paragrafen nicht finden kann. Ich glaube, es gibt auch viel zu viele Paragrafen.

      Die medizinischen Vorlesungen fallen aus, weil weder die Kaninchen noch die Mäuse sich zur Verfügung stellen wollen.

      Die beiden Junker Marder haben richtig ein Korps gegründet. Sie tragen weiße Stürmer, und man muss sich in Acht nehmen, sonst wird man von ihnen angerempelt. Auch ist zu beklagen, dass die Frösche vielfach das Kolleg schwänzen; sie kommersieren zu viel und schlafen dann den halben Tag.

      Frau Eule liest allerdings immer des Abends in der Dämmerung, weil sie dann am besten sehen kann. Aber dann kommen die Frösche auch nicht, weil sie beim Dämmerschoppen sitzen.

      Dem Meister Lampe ist die Lehrbefugnis für Mathematik aberkannt worden, weil er steif behauptete, zwei mal zwei sei fünf, ohne es beweisen zu können.

      Im Übrigen geht alles flott und glatt. Frau Häsin besucht sehr fleißig das Kolleg von Meister Grimbart über die Anfettung, wie man sieht, mit bestem Erfolge. Nur plagt sie den Professor in jeder Stunde mit der Frage der besten Zubereitung des Winterkohls.

      Wie man hört, will der Studiosus Karl Eichhorn junior seinen Doktor machen. Er hat eine Arbeit eingereicht mit dem Titel »Über den richtigen Absprung zum Weitsprung und über die Verwendung des Schweifes als Fallschirm beim Gleitsprung«. Sein Bruder, Fritz Eichhorn, tritt ihm entgegen mit der Behauptung,


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