In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber. Augustin Wibbelt

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt


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als Fallschirm unter Berücksichtigung der Schweifsteuerung«.

      Professor Heuschreck soll als Sachverständiger über die Streitfrage entscheiden. Da er selbst über keinen Schweif verfügt, will er ein Gutachten von Frau Elster und Fräulein Buchstelze anfordern. Diese beiden gelehrten Damen haben sich aber in einem Disput stark veruneinigt und dabei heftig mit den Schwänzen gewippt. Zuletzt gerieten sie sich in die Haare, das heißt in die Federn. Bei alledem ist es zweifelhaft, ob die Streitfrage entschieden werden kann.

      Ihr seht, die Wissenschaft ist nicht so leicht. Man hat einen schweren Stand, wenn man Universitätsrektor und Magnifizenz ist wie euer Waldbruder.

      Der Rundreisefahrschein

      Es geht toll her in unserem Walde mit dem Wissenschaftsbetrieb. Wenn ich gewusst hätte, was für Scherereien man hat mit einer Waldhochschule, dann hätte ich mich gar nicht darauf eingelassen.

      Als Rektor soll man für alles aufkommen. Frau Eule, die gar keine Zuhörer mehr hat bei ihren Vorlesungen, hat sich auf das Schreiben verlegt. Neulich brachte sie mir eine umfangreiche Handschrift. Es war ein ganzer Ballen und so schwer, dass sie ihn selbst nicht tragen konnte. Meister Grimbart hatte das gelehrte Werk auf seinen Rücken genommen und schwitzte sehr. Es ist der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches für Waldstaaten. Ich soll eine Vorrede dazu schreiben und auch einen Verleger ausfindig machen, der es drucken will.

      Dann plagt mich auch Jungfer Reh mit ihren Waldliedern, die Gedichte sind sehr gefühlvoll, wenn die Rechtschreibung und die Satzlehre auch nur mangelhaft beachtet sind. Aber die Verse sind so furchtbar lang, dass man die Versfüße gar nicht zählen kann; es sind richtige Tausendfüßler.

      Um mich dieser Belästigung zu entziehen, habe ich mir ein gutes Mittel ersonnen. Ganz still und heimlich habe ich mir einen Hochsitz erbaut in dem Wipfel der dicksten und höchsten Eiche. Aus kräftigen Brettern habe ich den Sitz zusammengezimmert, mit bequemen Armlehnen daneben. Der Weidenhofbauer hat mir Hanf gegeben, und daraus habe ich eine Strickleiter geflochten, um heraufzuklettern. Da sitze ich in stillen Stunden in luftiger, grüner Höhe. Wenn der Wind geht, ist es wie eine Wiege oder wie ein Schiff. Ich schaue über die Gipfel wie über ein grünes Meer.

      Die Brüder Eichhorn haben mein Lufthäuschen entdeckt und besuchen mich zuweilen; sie wollen es aber nicht verraten. Nur reden sie mir immer zu, ich solle von oben her den Gleitsprung versuchen. Sie machen es mir zuweilen vor, ich mache es ihnen aber nicht nach, denn meine Knochen sind mir zu lieb.

      Auch General Bussard hat mich schon besucht in meiner Höhe. Er meinte erst, es habe sich ein Vetter von ihm dort angesiedelt, und machte ein böses Gesicht. Als er den Waldbruder erkannte, war er zufrieden, weil ich keine Mäuse esse. Er sagt, die Mäuse seien etwas rar dieses Jahr.

      Als ich gestern Mittag bei ganz ruhiger Luft auf meinem Hochsitze saß und träumte, bemerkte ich, dass ein weißes Sommerwölkchen unbeweglich über mir stand. Es ging nicht von der Stelle und schaute mich an in seinem feinen, weißen Kleidchen.

      »Grüß Gott, kleines Fräulein«, rief ich hinauf, »wohin willst du?« Wolken und Sterne muss man duzen, sie wohnen nahe beim lieben Gott, und im Himmel duzt sich alles.

      Das weiße Wölkchen lächelte leise und reichte mir mit der zarten Kinderhand einen Zettel herunter. Es war ein Fahrschein, und viele, viele Stationen standen darauf verzeichnet. Ich konnte so schnell gar nicht alle lesen, aber so viel sah ich wohl, dass es eine Rundreise war von Meer zu Meer.

      »Eine so weite Reise willst du machen?«, fragte ich erstaunt, »und bist du denn nicht bange?«

      »Keineswegs«, sagte die Kleine, »der mir die Fahrkarte ausgestellt hat, wird mich auch führen.«

      Ich bat das Wolkenjüngferlein, mir etwas von seinen Fahrten zu erzählen. Es war gern dazu bereit, denn es machte gerade eine Ruhepause. »Bruder Wind ist schlafengegangen«, sagte es, »und so haben wir etwas Zeit zum Plaudern. Ach, Waldbruder, es gibt nichts Schöneres als das Reisen. Ich komme aus der Nordsee und habe wochenlang ein vergnügtes Leben geführt, getanzt bei Tag und Nacht. Da kam Mutter Sonne und sagte: Kind, du musst reisen! Dann webte sie mir mit ihren goldenen Fingern ein weißes Kleidchen und zwei leichte Flügel, übergab mir den Fahrschein und sagte: Da steht alles drauf, der Herrgott selbst hat den Schein gestempelt, und nun Glück auf die Fahrt! Jubelnd schwang ich mich empor, und der Wind trug mich mit starken Armen fort.

      So ging es über die fetten Weiden des Marschlandes, wo die schweren Kühe grasten und die Holländer mit großen Holzschuhen umhertrampelten; das war lustig. Über viele Dörfer und Städte bin ich gezogen und habe in manchen Schornstein geguckt. Die Hähne auf den Kirchtürmen schauten mir erstaunt nach und wären gern mitgeflogen, aber sie saßen fest. Ich habe sie ausgelacht.

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      Da sah ich den Rhein mächtig und breit dahinziehen und sah viele qualmende Schornsteine. Ich bin schnell weitergeflogen, denn ich wollte mir mein weißes Kleid nicht rußig machen. Nun bin ich aber über deinem großen Walde und atme ordentlich auf. Er gefällt mir wohl, und es riecht auch so gut hier, aber bleiben darf ich nicht.«

      »Wohin geht es denn weiter?«, fragte ich.

      »Über das weite, deutsche Land«, sagte das Sommerwölkchen, »ach, das ist schön, mit seinen grünen Bergen und goldenen Feldern und silbernen Flüssen und roten Städtchen! Dann kommen die hohen Alpen. Die solltest du sehen, Waldbruder! Wir ein gewaltiger Marmordom ragt das Hochgebirge in die blaue Luft. Ich war schon einmal dort und freue mich, wieder hinzukommen. Aber kalt ist es dort oben, da werde ich zu Schnee und muss dort eine ganze Weile rasten auf dem höchsten Gipfel, von dem man die weite Welt überschaut.«

      »Da wäre ich nicht so gern dabei«, meinte ich, »jedenfalls würde ich mir warme Wollsocken anziehen.«

      »Es kommt bloß auf die Gewohnheit an«, lachte das Wölkchen, »den ganzen Winter darf ich dort oben wohnen und sehe die stolzen Adler kreisen und höre die Murmeltiere pfeifen. Im Frühjahr aber mache ich eine Rutschpartie. Heißa, dann geht es mit einer Lawine donnernd zum Tal, das ist ein herrlicher Sport, noch ganz anders als Skilaufen und Telemarkensprung. Ich will mich aber in Acht nehmen, dass ich keine Häuser und Almhütten umreiße. Dann schmelze ich in der Frühjahrssonne, und nun kommt die unterirdische Reise. Ich dringe tief in die dunklen Gründe der Erde und betrachte ihr verborgenen Geheimnisse, das harte Gestein und das schimmernde Erz. Zuletzt komme ich dann in einer Quelle wieder ans Licht. Ach, man freut sich so sehr, wenn man die Sonne wiedersieht!«

      »Das kann ich mir denken«, sagte ich, »und da wäre ich auch gern dabei.«

      »Du?«, lachte das Sommerwölkchen, »du würdest alle Knochen zerbrechen, denn das geht nicht so langsam und bedächtig, sondern mit allem Mutwillen. Ich springe und schäume von Fels zu Fels und stürze mich turmhoch hinunter. Purzelbäume schlage ich ohne Zahl, und nebenbei gebe ich den Alpenrosen und dem Edelweiß etwas zu trinken.

      Der Tessin führt mich dann in den schönen Lago Maggiore. Da stehen die alten Kastanienwälder. Da sind die Städtchen nicht rot wie in Deutschland, sondern weiß. Da glühen die Orangen im dunklen Laub, und die Sonne! Die Sonne ist dort herrlich und der blaue Himmel unvergleichlich. In dem schönen See will ich nach Herzenslust tanzen und will mir auch die wunderbaren Borromäischen Inseln ansehen. Was da für Blumen blühen, kannst du dir gar nicht denken.«

      »Bleibst du denn dort?«, fragte ich.

      »Bewahre!«, rief das Wölkchen, »bleiben darf ich nirgends. Ich wandere in die blaue Adria und dann nach Süden weiter. Auswendig weiß ich nicht alles, aber es steht auf meinem Fahrschein. Ich komme durch die Meerenge von Gibraltar und soll im Golf von Biskaya einen Seesturm mitmachen. Da will ich aber den großen Wogen tüchtig brüllen helfen. Als Nebel besuche ich die große Stadt London und plage die zähen Engländer ein bisschen. Vielleicht muss ich noch zum Nordpol hinauf, wo die Eisbären hausen. Doch da ist Bruder Wind wach geworden, nun geht’s weiter. Lebe wohl, Waldbruder!«

      Das Laub am Baume fing an zu säuseln und zu rauschen.


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