Jung Beck. M. McDonnell Bodkin

Jung Beck - M. McDonnell Bodkin


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seine einzige Tochter in recht bedrängter Lage zurück. Lucy, ich meine Miss Bloom, war damals eine der begabtesten Studentinnen des Girton-College a), gab aber nach des Vaters Tode sofort ihr Studium auf und übernahm mit Hilfe einiger Freunde den Tabakladen an der Ecke, um sich und ihrer Mutter ein neues Heim zu schaffen.“

      „Du weisst ja über Miss Blooms persönliche Verhältnisse geradezu glänzend Bescheid, alter Junge,“ neckte ich, worauf Beck errötete — tatsächlich errötete — Beck!

      „Das weiss hier jeder ausser dir, du Dickkopf,“ antwortete er in scharfem Ton. „Alle Kommilitonen kaufen dort ihren Tabak und ihre Zigarren und könnten wahrhaftig keine bessere Bezugsquelle finden — doch davon ist hier nicht die Rede; jeder einzelne von ihnen sieht in Miss Bloom die Dame, die sie tatsächlich ist, nur deine famosen Bertrams nicht.“

      „Das heisst — einer von ihnen,“ verbesserte ich.

      „Ganz recht, das meinte ich.“

      „Nun, und was hat er ihr denn getan?“

      „Er hat sich ihr gegenüber als der brutale, ungehobelte Bursche benommen, der er im Grunde genommen ist.“

      „Welcher?“

      „Mach keine Witze, Kirwood, mir ist nicht nach Scherzen zumute. Noch heute kocht mir das Blut, wenn ich daran denke. Als das arme Mädchen nach einem anstrengenden Tage einen Spaziergang am Flussufer machte, erdreistete sich der Lümmel, ihr nachzuschleichen und ihr mit Gewalt einen Kuss zu rauben.“

      Ich muss gestehen, dass die Geschichte keinen sonderlichen Eindruck auf mich machte und ich Becks Entrüstung keineswegs teilte.

      „Na, was ist denn schliesslich so Verdammenswürdiges dabei, wenn ein junger Mann einem hübschen Mädel einen Kuss raubt?“ meinte ich leichtsinnig.

      Das war zu viel für Beck. Ich glaube, nie ist unsre Freundschaft so nahe daran gewesen, in die Brüche zu gehen, wie in jenem Augenblick. Ohne ein Wort der Erwiderung kehrte er mir den Rücken und ging nach der Tür.

      „Verzeih mir, Beck!“ rief ich ihm nach. „Ich wollte dich nicht verletzen.“

      Langsam liess er die Hand vom Türdrücker sinken und kam wieder zurück.

      „Wie würde es dir gefallen, wenn dieser Bengel versuchen wollte, deine Schwester gegen ihren Willen zu küssen?“ fragte er unvermittelt. „Und ich kann dir nur sagen, Kirwood, dass Lucy Bloom deiner Schwester nicht um Haaresbreite nachsteht.“

      „Aber — —,“ begann ich von neuem, denn das Hereinziehen meiner Schwester in diese Angelegenheit berührte mich unangenehm.

      „O ich weiss, was du sagen willst,“ fiel mir Beck ins Wort. „Wir haben alle schon mal ein Mädel geküsst. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, wenn das Mädchen nichts dagegen hat. Aber einer Dame einen Kuss zu rauben, dazu gehört denn doch schon ein guter Teil Unverfrorenheit — und eine geradezu bodenlose Frechheit, wenn diese Dame Lucy Bloom ist.“

      Ich fühlte mich zwar noch immer nicht überzeugt, vielleicht weil ich Miss Bloom damals noch nicht kannte, allein Beck hatte sich so in Eifer geredet, dass ich es für geratener hielt, ihm nicht mehr zu widersprechen.

      „Wie bist du denn dahintergekommen?“ fragte ich ablenkend.

      „Sie hat es mir selbst erzählt. Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, sie macht sich im übrigen keinen Deut aus mir, und auch ich bin nicht die Spur in sie verliebt; ich verehre und bewundere sie nur ausserordentlich — das ist alles. Vor ungefähr acht Tagen traf ich sie eines Abends mit ganz verweinten Augen allein im Laden an, und dabei kam die ganze Geschichte heraus. Um ihre Mutter zu schonen, hatte sie ihr nichts davon erzählt, besonders da die alte Dame beständig in sie dringt, das Geschäft doch aufzugeben. Nachdem sie von jenem Bengel in so unverschämter Weise beleidigt worden war, hatte sie ihm verboten, seinen Fuss jemals wieder über ihre Schwelle zu setzen. Doch beide besuchten den Laden nach wie vor, besonders wenn Miss Bloom allein war, lehnten sich über den Ladentisch, gafften sie an und raspelten Süssholz, ob es ihr angenehm war oder nicht. Das fatalste dabei aber war, dass sie gar nicht wusste, welchen von den beiden sie eigentlich los sein wollte. ‚Beruhigen Sie sich, Miss Bloom,‘ tröstete ich sie; ‚das werde ich bald herausfinden.‘ Ich habe aber bis jetzt noch keine Ahnung, wer der Schuldige ist. Als ich mit dem einen sprach, stellte der es in Abrede, und als ich den andern ins Gebet nahm ...“

      „Den andern? Kannst du sie denn unterscheiden?“

      „So ziemlich, allein das half mir nichts. Jeder schob die Schuld lachend auf seinen Bruder, und so konnte ich mit dem besten Willen nicht dahinter kommen. Auch Miss Bloom vermochte mir nicht die geringsten Anhaltspunkte zu geben, und aus Furcht, den Falschen zu erwischen, muss ich dem Schurken die wohlverdiente Züchtigung schenken.“

      „Liegt dir denn so viel an seiner Bestrafung?“

      „Man sieht, dass du Miss Bloom nicht kennst, Kirwood, sonst würdest du nicht so fragen. Sie ist das lieblichste, sanfteste Wesen unter Gottes Sonne, und es zuckt mir förmlich in den Fingern, den Schuft zu ohrfeigen, der sich an solch einem wehrlosen Geschöpf vergreifen kann. Einen Erfolg hat es übrigens doch gehabt, dass ich mir die beiden Burschen vornahm, sie haben seitdem den Bloomschen Laden nicht mehr betreten.“

      „Also vergib und vergiss und komm heute abend zu einer kleinen Bowle auf meine Bude.“

      „Wenn es dir einerlei ist, alter Junge, möchte ich lieber wegbleiben.“

      Es war mir zwar nicht einerlei, ich verlor aber darüber weiter kein Wort. Mir schien es reichlich übergeschnappt, dass Beck mit einem Kameraden keine Gemeinschaft haben wollte, bloss weil dieser ein hübsches Mädel geküsst oder zu küssen versucht hatte. Wenn ich Miss Bloom nicht kannte, so kannte er eben die Zwillinge nicht; ich aber kannte sie und gewann sie von Tag zu Tag lieber.

      Ich fürchte, in mir steckt eine verkappte Spielratte, was bei den Kirwoods wohl im Blute liegen muss. Zwar hat mein Vater niemals in seinem Leben auf ein Rennpferd gewettet oder eine Karte angerührt, mein Grossvater aber hat sein ganzes Barvermögen, den dritten Teil unseres Gesamtvermögens, nach und nach verspielt. Ich glaube, die Spielleidenschaft, die mir im Hirn spukt, ist sein Erbteil und hat nur eine Generation übersprungen, um sich in mir aufs neue zu verkörpern.

      Die Zwillinge nun verstanden und beherrschten jedes Spiel, von „Kopf oder Wappen“ bis zum „Hasard und Kümmelblättchen“ und zeigten sich im Gewinn wie im Verlust gleich angenehm. Obgleich sie kleine Einsätze bevorzugten, drückten sie sich vor grossen keineswegs und waren zu einem „Doppelt oder quitt“, gleichviel in welcher Höhe, ebenfalls stets bereit.

      Ihr Mut lohnte sich übrigens reichlich. Wir spielten gewöhnlich Bridge, und in der Regel waren die beiden Bertrams Partner, wobei das Glück sie in einer Weise begünstigte, die selbst bei guten Karten und vollendetem Spiel verblüffend wirkte. Ohne Zweifel waren sie brillante, wenn auch etwas waghalsige Spieler, doch brauchte ich in dieser Hinsicht den Vergleich mit ihnen durchaus nicht zu scheuen, und Tom Staunton, meistens mein Partner, war unter uns weitaus der beste Spieler. Allein trotzdem gewannen die Zwillinge immer und immer wieder den Robber, selbst wenn Staunton und ich die denkbar besten Karten hatten. Ihre Karten schienen sich immer ganz wunderbar zu ergänzen und beim Ausspielen verfehlten ihre Feinheiten fast niemals die Wirkung.

      Dabei war ihr Spiel durchaus nobel, ja sorglos, und sie gewannen öfter, wenn ihre Gegner als wenn sie selbst die Karten gaben. Ihre Entschlossenheit war beispiellos; nicht einen Augenblick zögerten sie beim Trumpfmachen oder Erklären. Stets hiess es sofort: „Ich gehe mit“ oder: „Ich überlasse es dir, Partner.“ Und prompt wie ein Echo erfolgte die Antwort, wenn sich einer von ihnen mit der Frage: „Soll ich?“ oder: „Partner, soll ich ausspielen?“ oder dergleichen an den andern wandte.

      Täglich hoffte ich, dass sich das Blatt einmal wenden würde, aber das Glück kehrte mir hartnäckig den Rücken, und ich war schliesslich bei den Bertrams so tief in Schulden geraten, dass mir ganz schwül wurde, wenn ich nur daran dachte. Allerdings benahmen sie sich äusserst taktvoll, begnügten sich stets mit Schuldscheinen und drängten nie mit der Bezahlung.


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