Jung Beck. M. McDonnell Bodkin
Nun dann hör mal zu, was ich dir zu erzählen habe: Als ich vorgestern etwa zwei Meilen ausserhalb der Stadt am Flussufer entlangbummelte, sah ich die Zwillinge in einem Zweierboot angeflitzt kommen. Ich kann dir versichern, dass sie ausgezeichnet ruderten; Schlag folgte auf Schlag, und das Boot schoss vorwärts wie ein Pfeil.“
„Sie können es ja unterdessen gelernt haben.“
„Dann alle Achtung vor ihrer Geschicklichkeit! Aber wart ein Weilchen, ich habe dir noch mehr zu erzählen. Wie der Blitz schossen sie um die nächste Flusskrümmung, so dass ich mich rasch ducken musste, um nicht von ihnen bemerkt zu werden. Nach dem, was du mir früher erzählt hattest, war ich natürlich recht stutzig geworden; das Detektivblut in meinen Adern begann sich zu regen, und zugleich mit einer unbezähmbaren Neugier erwachte in mir der Wunsch, der Sache auf den Grund zu kommen. So schnell ich konnte, eilte ich zum Bootshause zurück und dann in einem Kanu hinter den beiden her, wobei ich mich dicht am Ufer hielt und bei jeder Biegung erst vorsichtig auskundschaftete. Meine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Als ich bis zum Knie gekommen war — du kennst ja die Stelle, wo der Fluss plötzlich so tief wird —, hörte ich Schwatzen und Lachen und munteres Plätschern im Wasser. Rasch liess ich das Kanu auflaufen und kroch im Schutz des Buschwerks am Ufer entlang. Und da, gerade mir gegenüber, kaum fünfzig Ellen entfernt, sah ich die Zwillinge, die du vor drei Wochen vom Tode des Ertrinkens gerettet hast, schwimmen und tauchen wie Enten.“
„Auch das mögen sie unterdessen gelernt haben; damals konnten sie es entschieden noch nicht.“
„Sei doch kein Narr, Charlie. In drei Wochen lernt man nicht so schwimmen. Sie haben dich damals eben zum besten gehalten, um mit dir und deinem Umgangskreise Fühlung zu gewinnen. Vielleicht hofften sie dabei auf ein profitliches Spielchen.“
Er sah mich bei diesen Worten scharf an, doch verriet ich mich mit keiner Silbe, denn jetzt ein Wort von Kartenspielen fallen zu lassen, wäre Wasser auf seine Mühle gewesen.
„Ein paar nichtsnutzige Tagediebe sind die beiden,“ fuhr Beck fort. „Stehlen dem lieben Herrgott den Tag ab und spielen bis an den hellen Morgen. Die Vorlesungen schwänzen sie, Privatstudien treiben sie nicht, und —“
„Da irrst du dich,“ unterbrach ich ihn; „das weiss ich zufällig besser.“
„So? Und was weisst du denn?“
„Dass sie arbeiten. Vielleicht nicht in der üblichen Weise, aber eine Menge ganz gescheiter Burschen machen es ebenso. Woher ich das weiss? Das werde ich dir sofort verraten. Vor einigen Tagen suchte ich sie unerwartet in ihrer Wohnung auf und konnte draussen vor der Tür schon hören, dass sie eifrig bei der Arbeit waren. Die Worte freilich vermochte ich nicht zu verstehen, doch hätte ich darauf schwören mögen, dass sie sich gegenseitig etwas überhörten, denn einer von ihnen fragte immer, während der andere antwortete. Sie waren so vertieft, dass sie mein Klopfen nicht hörten, und als ich unaufgefordert eintrat, sah ich den einen mit einem Notizbuch in der Hand dasitzen, aus dem er augenscheinlich die Fragen ablas. Mein plötzliches Erscheinen versetzte die beiden in nicht geringe Verlegenheit, und einen Augenblick schien es sogar, als wären sie wütend auf mich ‚Wo zum Teufel kommen Sie hier so plötzlich hereingeschneit?‘ fuhr mich der mit dem Notizbuch an, während ihm sein Bruder einen warnenden Rippenstoss versetzte und beschwichtigend sagte: ‚Sachte, sachte, Fred! Mr. Kirwood wird unser kleines Geheimnis schon nicht verraten, was übrigens auch gerade kein Unglück wäre?‘“
„‚Nehmen Sie’s nicht übel, Kirwood,‘ lenkte der andre jetzt ein, während er das Notizbuch in seinen Schreibtisch schloss. ‚Ihr unvermutetes Eintreten hat mich etwas aus der Fassung gebracht. Ed und ich sind ein paar Dummköpfe; wir fühlen uns nämlich nicht ganz sicher, ob wir auch unser Vorexamen bestehen werden, und möchten uns, wenn wir durchfallen, nicht gern nachsagen lassen, wir hätten doch so gebüffelt, verstehen Sie? Hoffentlich sind Sie nicht etwa gekommen, uns von dem schmalen Pfade der Tugend fortzulocken und zu so früher Stunde schon zum Kartenspiel zu verführen, Sie unverbesserliche Spielratte.‘“
Die letzten Worte waren mir ganz wider Willen entschlüpft, Beck aber fing sie sofort auf.
„Kartenspiel, sagtest du? Dann habe ich mich also nicht getäuscht.“
„Doch, du hast dich getäuscht,“ versetzte ich. „Ich beabsichtigte durchaus nicht, Karten zu spielen, sondern wollte mich nur nach dem Beginn einer kleinen Abendgesellschaft erkundigen, zu der sie mich eingeladen hatten.“
„Und diese Abendgesellschaft bedeutet natürlich nichts andres als Kartenspielen?“
„Das will ich nicht in Abrede stellen. Vermutlich werden wir nach dem Abendessen ein harmloses Spielchen machen.“
Beck trat dicht an mich heran und legte mir mit der Gebärde eindringlichster Warnung die Hand auf den Arm.
„Charlie!“ sagte er. „Wir sind doch nun schon so lange gute Freunde: willst du mir einen Gefallen tun?“
„Jeden, der in meiner Macht steht, alter Junge.“
„Dann brich den Umgang mit den Bertrams ab. Ich verstehe es leider nicht, einem Menschen recht eindringlich ins Gewissen zu reden, allein du hast mir oft genug selber gesagt, dass es dir mit dem Kartenspielen geht, wie andern mit dem Trinken: wenn du erst einmal angefangen hast, kannst du nicht wieder aufhören. Darum fang lieber gar nicht an, lass dich von jenen Burschen nicht ins Verderben ziehen!“
Der tiefe Ernst dieser Worte verfehlte seinen Eindruck auf mich nicht; wie unter einem inneren Zwange stehend, musste ich ihm jetzt — ganz gegen meinen Willen — alles beichten.
„Ich bin dir für deine Warnung zu grösstem Dank verpflichtet, lieber Junge,“ erwiderte ich, „doch kommt sie leider zu spät. Ich habe nämlich schon ‚angefangen‘ und auch schon ziemlich lange fortgemacht und muss sehen, dass ich wieder zu meinem Geld komme.“
Mit einem scharfen Ruck richtete Beck sich auf; er sagte kein Wort mehr davon, die Karten oder die Zwillinge aufzugeben. „Wieviel?“ fragte er nur kurz.
„Ungefähr sechshundert, das heisst Schuldscheine über sechshundert, abgesehen von dem Bargeld, das den Weg alles Fleisches gegangen ist.“
„Mit tausend Pfund könnte ich dir bequem aushelfen; ich brauche nur eine Zeile nach Hause zu schreiben, dann bekomme ich Geld, so viel ich haben will. Meine Eltern sind reich und führen ein sehr zurückgezogenes Leben, zudem bin ich ihr einziges Kind. Sag also nur ein Wort, dann kannst du übermorgen das Geld haben.“
„Dank schön, lieber Junge, ganz so schlimm steht es denn doch noch nicht mit mir.“
„Ich meine natürlich als Darlehn.“
„Für das ich dir als einzige Sicherheit mein Glück im Kartenspiel anbieten könnte. Nein, lass nur, alter Junge! Ich weiss, du meinst es herzlich gut, allein du musst doch selber einsehen, dass ich dieses Geld nicht von einem Freunde annehmen kann.“
„Ja,“ sagte Beck in zögerndem Tone, „das sehe ich ein.“
„Meinem alten Herrn möchte ich auch nicht damit kommen,“ fuhr ich fort. „Er ist gerade nicht gut bei Kasse — übrigens ein chronisches Leiden bei ihm —, und so bleibt mir denn nichts übrig, als es den Zwillingen wieder abzugewinnen. Irgendwo heisst es bei Shakespeare:
‚....... wenn ich einen Bolzen
Verloren hatte, schoss ich seinen Bruder
Von gleichem Flug, den gleichen Weg; ich gab
Nur besser acht, um jenen auszufinden,
Und, beide wagend, fand ich beide oft.‘
Die Stelle gefiel mir, daher habe ich sie im Gedächtnis behalten. Heut abend will ich danach handeln und den Bertrams ein paar von meinen Schuldscheinen abknöpfen oder mir ganz und gar das Genick brechen. Wenn du mir einen wirklichen Freundschaftsdienst leisten willst, so müsstest du mir eigentlich bei meinem Vorhaben behilflich sein.“
„Jawohl, das will ich auch.“
Nichts in der Welt