Schweinsteiger. Ludwig Krammer

Schweinsteiger - Ludwig Krammer


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Buch erzählt, redaktionell unabhängig, die Geschichte des Lust- und Willensfußballers Bastian Schweinsteiger. Seine verheißungsvollen Anfänge in Oberaudorf und Rosenheim werden ebenso beleuchtet wie die Jahre in der Ausbildung beim FC Bayern, wo Trainer wie Stephan Beckenbauer und Hermann Gerland das ehrgeizige Talent formten und auf die Startrampe zu einer Weltkarriere setzten. Als „Fußballgott“ der Bayern-Fans hat Schweinsteiger nicht nur das sprichwörtliche Selbstbewusstsein des nationalen Branchenführers verkörpert, sondern auch dessen Hang zu epischen Niederlagen und eindrucksvollen Auferstehungen, verdichtet in den zwölf Monaten vom „Drama dahoam“ zum historischen Triple. Auch die private Seite des Medienstars und Jungvaters Schweinsteiger kommt in diesem Buch nicht zu kurz.

      Als reine Retrospektive sind die 28 Kapitel freilich nicht gedacht. Bei der Konzeption ging es vielmehr darum, sich dem Fußballer und Menschen Bastian Schweinsteiger aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern, um ein möglichst facettenreiches Bild zeichnen zu können. Fußballtaktik, Ökonomie, Fanverehrung, das mitunter schwierige Verhältnis zur Presse – ohne das Mitwirken zahlreicher Beobachter und Wegbegleiter Schweinsteigers wäre das Projekt nicht umsetzbar gewesen.

      Im Vorgriff ein Zitat von Marcel Reif aus unserem Interview im hinteren Teil des Buches, das viel aussagt über den Typen Schweinsteiger und seine Heldenreise durch die Fußballwelten: „Er ist mannhaft mit Niederlagen umgegangen, er war kein Jammerlappen. Wenn ich da nur an dieses Finale gegen Chelsea denke. Da war Trauer, Leere nach dem verschossenen Elfmeter. Aber dann hat er sich umgedreht und gesagt: Das kriegen wir wieder hin. Das ist beispielgebend, das ist ein Role Model. Das kannst du jungen Menschen vorführen. Die sollen sich das anschauen, daraus können sie was lernen.“

      KAPITEL 1

       Der Basti, der Ball und die Brettl

      Schweinsteiger. Für fremdländische Zungen ist dieser Name eine kaum zu bewältigende Herausforderung. „Esweinsteiger“ behilft sich die spanischsprachige Welt, Brasiliens Fußballikone Pelé vermutete einst einen US-amerikanischen Whiskey („Swine’s Tiger“) dahinter. Den Vogel schoss jedoch Frankreichs heutiger Weltmeistertrainer Didier Deschamps ab. Vor dem Champions-League-Viertelfinale 2012 warnte der damalige Coach von Olympique Marseille vor drei gefährlichen Bayern-Spielern: „Sie haben Lahm, Boateng und Scheissneigère …“ Wenige Tage danach folgte die Entschuldigung: „Ich habe nie Deutsch gelernt, solche Fehler können passieren …“

      Im oberen Inntal ist Schweinsteiger kein ungewöhnlicher Name. Dies- und jenseits der Grenze finden sich mehr als drei Dutzend Schweinsteigers in den digitalen Telefonbüchern, darunter – wenig überraschend – kein Alfred und keine Monika in Oberaudorf, auch kein Tobias in Rosenheim. Und drüben in Chicago am Michigansee sind die Festnetzanschlüsse sowieso stark rückläufig.

      Die Schweinsteiger-Familie, um die es hier geht, wächst am 1. August 1984, einem Mittwoch, von drei auf vier Mitglieder. Knapp zweieinhalb Jahre nach Tobias kommt in Kolbermoor bei Rosenheim der zweite Sohn Bastian im Sternzeichen des Löwen zur Welt. Dass just an diesem Tag die Anschnallpflicht in der Bundesrepublik eingeführt wird (40 DM bei Zuwiderhandeln), sollte dabei ebenso wenig als Omen verstanden werden wie die aktuelle Nummer eins der Single-Charts, „Two Tribes“ von Frankie Goes To Hollywood. Schließlich ist der FC Bayern von derlei Zuständen damals noch ein gutes Jahrzehnt entfernt.

      Eine halbe Autostunde von Kolbermoor die A93 hinunter, in der Siedlung Erlenau, haben die Schweinsteigers ihr Haus. Vater Alfred, der „Schweini Fred“, der im Rosenheimer Sporthaus von Reinhard Güthlein, dem ehemaligen Ehemann der Skifahrerin Christa Kinshofer, Einzelhandelskaufmann gelernt hat, kümmert sich Anfang der 1980er Jahre um sein expandierendes Sportgeschäft. Sein Bruder, der „Schweini Hans“, bewirtschaftet als gelernter Koch bis heute das Schullandheim Schauerhaus, das er 1986 von den Eltern übernommen hat.

      Wer wie Bastian in die Berge hineingeboren wird, den vom Vater betriebenen, heute nicht mehr existenten Trißl-Skilift vor der jungen Nase und die Brettl anschnallbereit im Laden, ja wie soll so einer nicht Skifahrer werden? Kaum den Windeln entwachsen, zischt der kleinste Schweinsteiger die Abhänge vor der Haustür hinunter, dass dem Garhammer Franz, Bastians späterem Fußballtrainer in Rosenheim, heute noch ganz anders wird, wenn er daran zurückdenkt.

      „Im Winter ist der Basti direkt nach dem Kindergarten rüber zum Lift gesaust und bis ganz nach oben hinaufgefahren“, erzählt Garhammer, Jahrgang 1959, ein Großcousin des Trickski-Pioniers Fuzzy Garhammer. „Da, wo die Großen kaum mit dem Abschwingen nachgekommen sind, ist der kloane Schoaß im Schuss runterg’fetzt. Ich bin jetzt auch kein schlechter Skifahrer, aber wenn ich so gefahren wäre, dann hätt’ ich mir sämtliche Gräten gebrochen.“

      Niemand in der Gegend ist überrascht, dass sich nach Tobias auch der kleine Bruder als veritable Pistensau entpuppt. Bastian hat nicht nur das Talent seines Vaters geerbt, dessen Aufstieg in den Riesenslalom- und Abfahrts-A-Kader des Deutschen Skiverbandes jäh von einer Knieverletzung gestoppt wurde, er scheißt sich auch nix, wie man auf gut Bairisch sagt. Zusammen mit dem erblich vorbelasteten Felix Neureuther aus Partenkirchen ist Basti stets der Beste seines Jahrgangs, die Freunde stacheln sich gegenseitig an. Und wenn es sich irgendwie ausgeht, gibt’s nach den Rennen bei Felix’ Mutter Rosi Mittermaier die heißgeliebten Germknödel mit Vanillesoße und ein bissl Mohn drauf, von denen Schweinsteiger bis heute schwärmt.

      Garhammer ist sich sicher: Basti wäre Deutschlands Skifahrer Nummer eins geworden, wenn er sich mit 14 Jahren nicht für die Fußballkarriere entschieden hätte. „Für manche Zeiten vom Felix musste er nicht einmal den Rennanzug anziehen“, sagt der Trainer. „Das war ein sportlicher Alleskönner. Skifahren, Hockey, Basketball, Tennis, Fußball, Golf – es gab nichts, was der Kerl nicht beherrscht hat.“

      Brettl und Bälle sind Bastians treue Begleiter. „Wer laufen konnte, hat vom Dad einen Ball an die Füße gekriegt“, erinnert sich Tobias im Tagesspiegel. Und der Dad selbst wird Jahre später im Focus analysieren: „Beim Tennis hat er [der Bastian] sein Ballgefühl verbessert, beim Skifahren die Koordination, beim Golfen seine mentale Stärke.“

      Die Straße vor dem Elternhaus wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Hockeyfeld umfunktioniert. „Nach der Schule und dem Mittagessen habe ich Hausaufgaben gemacht und dann hieß es: ‚Mama, Mama, lass mich raus‘“, erinnert sich Bastian in der SZ an diese Zeit. Sämtliche Nachbarskinder sind dabei, wenn Tobi und sein kleiner Bruder die Tore aufstellen. „Wir haben dann auch Linien auf die Straße gezeichnet, als Spielfeld. Nicht mit Kreide, sondern mit einem Spray, damit es nicht abgeht. Das waren die Grundlinien und der Schusskreis. Wir haben ja auch Rollerhockey gespielt, und da durfte der Torwart nicht aus dem Kreis raus.“

      „Was hab ich mit meinem Postauto warten müssen“, erzählt Briefträger und Schweinsteiger-Familienfreund Hermann Völkl schmunzelnd beim Treffen im Sportgeschäft. „Ab und zu haben sie auch ein Tennisnetz über die Straße gespannt, da hat’s dann noch ein bissl länger gedauert, bis alles weggeräumt war.“

      Doch der Hauptsport ist der Fußball. Wenn nicht gerade Training beim FV Oberaudorf ist, rollt die Kugel keine hundert Meter vom Elternhaus entfernt auf einer bis heute unbebauten Wiese. Mit tatkräftiger Unterstützung des Vaters haben die jungen Schweinsteiger-Buben dort einen sehr brauchbaren Bolzplatz angelegt – hier ein rot angestrichenes Holztor für Bayern-Fan Basti, dort ein blaues für den Tobi, der es wie Mama Monika eher mit den Münchner Löwen hält. Auch Flutlicht gibts. Den Masten leihen sich die Brüder kurzerhand vom Skilift. Wer ko, der ko.

      Schon im Alter von knapp vier Jahren beginnt Bastian, im Verein zu spielen, seine erste fußballerische Heimat ist der FV Oberaudorf. Der kleine Schweinsteiger darf bei den um zwei Jahre Älteren mitkicken, zur F-Jugend-Meisterschaft 1989/90 steuert er imposante 45 Tore bei (Gesamt-Torverhältnis 113:3). Neue Herausforderungen bietet der höherklassige TSV 1860 Rosenheim. Dort ist Schweinsteigers Trainer der erwähnte Franz Garhammer – und der kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als er sieht, welches Talent sich ihm hier offenbart: „Wir haben ab und zu mit einem Football-Ei gespielt im Training, und der Basti war der Einzige, der das Ding berechnen konnte. Das war phänomenal. So eine Begabung hatte ich bis dahin


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