Schweinsteiger. Ludwig Krammer
mit der D-Jugend das Vorspiel für die Profis gemacht, da hat er dann Feuer gefangen.“
Und Schweinsteiger? Der sei ihm in der D-Jugend in Rosenheim aufgefallen, erinnert sich Pienta. „Keine Angst, was zu riskieren“, habe der Junge gehabt, den sie in der Heimat wegen seiner muskulösen Beine anerkennend den „Hax“ nennen. „Und er konnte sich durchsetzen“, sagt Pienta „Der ist nicht so leicht umgefallen, auch wenn er mal härter gerempelt wurde. Bei seinem Balancegefühl und den schnellen Körperdrehungen hat er bestimmt auch von seinem Skitraining profitiert.“ Weitere entscheidende Kriterien für Pienta: „Wenn einer im Kopf schnell schaltet, lauffreudig ist, mannschaftsdienlich spielt und eine soziale Komponente hat, dann ist er interessant für uns. Dieses Grundverständnis von Fußball, instinktiv zu erkennen, wann man dribbeln oder passen muss, das lässt sich in späteren Jahren kaum noch lernen. Für die Mentalität gilt das genauso. Ich habe genügend Spieler erlebt, die zu Bayern gekommen sind, sich angepasst haben und zu schnell zufrieden waren, weil sie dachten, sie hätten das Schwerste schon hinter sich. Das Gegenteil ist der Fall! Diejenigen, die es später zu den Profis schaffen, haben den unbedingten Willen, sich immer weiter zu verbessern, Zusatztraining zu machen, wenn sich der Rest die Schuhe auszieht. Genau so ein Typ war der Basti.“
Viermal pro Woche fährt ihn seine Mutter Monika anfangs zum Training nach München. Knapp 90 Kilometer einfach, eine Stunde hin, eine zurück – falls der Autobahnverkehr über den berüchtigten Irschenberg nicht ins Stocken gerät. Später richtet der FC Bayern einen Kleinbus-Fahrdienst ein, um den Eltern der Spieler aus der Rosenheimer Gegend, neben Schweinsteiger u. a. Timo Heinze und Florian Heller, das Leben zu erleichtern. Schweinsteiger „wohnte am weitesten draußen von uns allen, in Oberaudorf, und wir mussten daher einen ziemlichen Umweg für ihn fahren“, erinnert sich Heinze in seinem 2012 veröffentlichten Buch Nachspielzeit. Eine unvollendete Fußballkarriere. „Auch wenn dieser Ums tand als Mitfahrer damals recht nervig war, haben sich die Zusatzkilometer für den deutschen Fußball bekanntlich mehr als gelohnt.“
Zur Realschule geht Schweinsteiger weiterhin in Brannenburg bei Rosenheim, glänzt dort vor allem im Sport (mit Abstrichen auch in Mathe) und wurschtelt sich beim Rest mit Charme durch, wie seine Lehrer den Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern Jahre später im Zuge des 2006er „Sommermärchens“ berichten werden. Den Bayern-Spieler lässt er nicht raushängen, Trainingsanzüge oder T-Shirts seines prominenten Vereins zieht er in der Schule nicht an. Trotzdem sei hier und da „ein gewisser Promibonus beim weiblichen Geschlecht spürbar“ gewesen, erzählen ehemalige Mitschüler.
Dass Schweinsteiger nach und nach seinen bairischen Dialekt verliert und bald nur noch mit Mühe als Inntaler Muttersprachler zu identifizieren ist, erklärt sich mit seinen neuen Mitspielern in München. „Ich habe ihn mal gefragt: ‚Basti, wo ist dein Bairisch hin?‘“, erinnert sich Schweinsteigers ehemaliger Musiklehrer Alois Plomer in der Welt. „Da grinste er und sagte: ‚Die anderen im Verein müssen mich doch verstehen können!‘“
Die zehnte und letzte Klasse bis zur Mittleren Reife absolviert Schweinsteiger in der Adalbert-Stifter-Realschule in München-Steinhausen. „Ich war nicht der beste Schüler, auch nicht der schlechteste, so mittendrin mit Tendenz nach unten“, blickt er im Magazin GQ zurück. „Ich konnte nicht mehrere Buchseiten durchlesen und genau wissen, was drinsteht. Ich musste alles mühsam auswendig lernen. Das letzte Jahr in der Realschule war am härtesten.“
Nach dem Abschluss hat die Fahrerei ein Ende, mit jetzt 15 Jahren ist Schweinsteiger ein stolzer Bewohner des FC Bayern-Jugendinternats – zusammen mit späteren Profis wie Torwart Michael Rensing, dem schussgewaltigen Offensivspieler Piotr Trochowski und dem türkischen Torjäger Erdal Kılıçaslan. Wichtigste Bezugsperson ist Internatsleiterin Christa Schweinberger, die sich nicht nur ums Frühstück und schulische Probleme kümmert, sondern als Ersatzmama für ihre „Buben“ stets ein offenes Ohr hat, wenn das Heimweh oder der Herzschmerz zu groß werden. Entsprechend tief sitzt der Schock beim FC Bayern, als Schweinberger im November 2006 mit erst 62 Jahren verstirbt. „So etwas wie diese Frau findet man nur ganz selten“, sagt Jugendleiter Werner Kern. Amateure-Trainer Hermann Gerland lässt seine Mannschaft am Wochenende nach der Todesnachricht mit Trauerflor spielen: „Für mich war Christa eine Freundin, die ihre Sache herausragend gemacht hat.“
Schweinsteigers größter Förderer zu Beginn der Bayern-Zeit ist Stephan Beckenbauer. Der drittälteste Sohn des „Kaisers“, 2015 an einem nicht operablen Hirntumor verstorben, steht als Fußballer stets im Schatten der „Lichtgestalt“, zumal er als Libero bei 1860 München, Kickers Offenbach, beim Schweizer Zweitligisten FC Grenchen und beim 1. FC Saarbrücken (zwölf Erstliga-Einsätze) auch noch auf der Position seines Vaters spielt. „Ich wusste von Anfang an, dass ich nie dieses Leistungsvermögen habe oder diese, ja, Göttlichkeit, Fußball zu spielen, wie sie mein Vater hat“, sagt Beckenbauer 2009 in einem Interview mit dem Spiegel. „Ich wusste, ich komme niemals an ihn ran, ich kann diese Fußstapfen niemals ausfüllen. Ich habe es einfach gewagt, weil ich von Kindheit an Spaß daran hatte und weil ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und damit mein Geld verdient habe.“
Eine Knieverletzung mit 29 Jahren bedeutet 1997 das Ende der aktiven Karriere. Seine wahre Erfüllung lindet Stephan Beckenbauer als Nachwuchstrainer des FC Bayern. Als Ausbilder sei er ein „Glücksfall“ für den Rekordmeister gewesen, sagt Hermann Hummels. „Mit seinem sensationellen Laissez-faire und seinem Einfühlungsvermögen hat Stephan wunderbar zu den 15- bis 17-Jährigen gepasst, die noch auf der Suche nach ihrer Persönlichkeit waren.“ Wie Michael Rensing, wie Piotr Trochowski, wie Christian Lell – oder eben wie Bastian Schweinsteiger.
Am Schweini gefällt Beckenbauer die Unangepasstheit, das Freche, der Biss. „Der Bastian ist ein Kämpfer. Er wollte immer gewinnen. Er hatte diesen Glanz in den Augen“, sagt der Trainer 2010 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Er war länger draußen als die anderen, jede freie Minute, auch im Regen. Er liebte den Ball, der konnte nicht mal einen Einwurf machen, ohne ihn auf der Schulter tanzen zu lassen.“ Schon zu C-Jugend-Zeiten, vor dem Umzug ins Internat, ist der Kontakt ein spezieller. Wenn es Trainingspendler Schweinsteiger nach der Einheit am Abend nicht mehr heim nach Oberaudorf schafft, kann er bei Beckenbauer und dessen Frau übernachten.
Nach der B-Jugend-Meisterschaft (4:0 im Finale gegen Borussia Dortmund) und einem abgelehnten Angebot vom Hamburger SV gewinnt Schweinsteiger im Jahr darauf durch ein 4:0 gegen den VfB Stuttgart auch mit der A-Jugend den Titel. Sein Trainer ist der ehemalige Bayern-Profi Kurt Niedermayer, und auf der Tribüne im Unterhachinger Sportpark verfolgen Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, KarlHeinz Rummenigge und die DFB-Jugendtrainer Horst Hrubesch und Uli Stielike, wie Schweinsteiger eine starke Partie spielt und das 1:0 für Kılıçaslan vorbereitet. Auch Bayerns Cheftrainer Ottmar Hitzfeld ist unter den Beobachtern. Vier Monate später wird er Schweinsteiger zum ersten Mal bei den Profis einsetzen.
KAPITEL 5
Kein Schiffbruch mit Tiger
Hermann Gerland über den „Lausejungen“ Schweinsteiger
„Ich hab im Training immer mehr verlangt, als die Spieler bereit waren zu geben. Thomas Müller hat mal gesagt: ‚Tiger, so ein Training wie bei Ancelotti gab’s bei dir nie.‘ Ich sag: Müller, wenn ich so mit dir trainiert hätte, dann würdest du heute 250.000 Euro verdienen – im Jahr, und nicht in der Woche.“
Hermann Gerland
Es sind gerade mal 27 Spiele, die Bastian Schweinsteiger unter der Regie des „Tigers“ bestreitet. Und doch hat ihn die Zeit bei der zweiten Mannschaft in der damals drittklassigen Regionalliga Süd entscheidend geprägt. Stets direkt sei Gerland gewesen, erinnert sich Schweinsteiger. Er habe von diesem Trainer enorm profitiert, der ihm „klipp und klar“ gesagt habe, wos langgeht.
Gerlands Klipp- und Klarheit ist nach der Beckenbauer’schen Milde und Kurt Niedermayers einfühlsamem Pragmatismus eine neue Erfahrung für den angehenden Profi. „Bei einer anderen Trainer-Reihenfolge hätte es Basti bei Bayern wohl nicht geschafft“, glaubt Hermann Hummels. „Schärfe musst du dann bekommen, wenn du sie aushalten kannst. Wenn Gerland mit seiner