Schweinsteiger. Ludwig Krammer
Schweinsteiger und Lahm mussten erst die ganz großen Titel gewinnen, um allgemein anerkannt zu werden, ihre Führungsqualitäten wurden oft infrage gestellt. Wie haben Sie diese Diskussionen verfolgt?
Stoiber: Mit Unverständnis. Die Zeiten ändern sich, die hierarchischen Strukturen ändern sich. Nach der Jahrtausendwende hat sich da einiges getan, auch mit Spielern wie Manuel Neuer oder Thomas Müller. Der Generation Schweinsteiger/Lahm hat der ganz große Erfolg lange gefehlt, aber sie haben mit dem Champions-League-Sieg in Wembley und mit dem Weltmeistertitel in Brasilien alles widerlegt. Und das hat mich sehr gefreut, auch weil diese ganzen Diskussionen damit als substanzlos enttarnt waren.
Das Champions-League-Finale 2012 gegen den FC Chelsea war wohl der bitterste Tag in Schweinsteigers Karriere. Wie haben Sie’s als Zuschauer im Stadion erlebt?
Stoiber: Oh mei, da blicke ich nicht gerne zurück. Wir hatten das Spiel ja eigentlich schon gewonnen, kassieren den Ausgleich in letzter Minute durch Drogba, müssen in die Verlängerung, Robben verschießt einen Elfmeter. Und dann dieses Elfmeterschießen. Als Bastians Schuss an den Pfosten gegangen ist und das Spiel mit dem nächsten Elfmeter für Chelsea entschieden war, da hat man an seiner Reaktion gesehen, wie tief ihn das getroffen hat. So ein Finale dahoam hast du einmal im Leben. Aber auch an seinem Umgang mit dieser Niederlage ist Bastian gewachsen, das hat ihn groß gemacht. So wie der Champions-League-Sieg 2001 eine Folge der Niederlage von 1999 gegen Manchester United war, so war Wembley 2013 eine Reaktion auf Chelsea. Die Kraft für das Triple ist aus dem Schmerz gekommen. Dass du dann in England gegen einen deutschen Herausforderer gewinnst, das war einer der wichtigsten Siege für den FC Bayern überhaupt.
Nehmerqualitäten sind ja nicht nur im Spitzenfußball, sondern auch in der Spitzenpolitik unverzichtbar. Lassen sich die beiden Felder vergleichen?
Stoiber: Auf jeden Fall! Die öffentliche Aufmerksamkeit verbindet uns. Man erlebt als Fußballer allerdings nur selten diese extremen persönlichen Anfeindungen. In der Politik gehts um Interessen, da wird emotional heftig gerungen, und jeder kleine Fehler wird in den Medien seziert.
Umso angenehmer muss es beim politischen Aschermittwoch der CSU in Passau sein, am Rednerpult zu stehen und die Ovationen entgegenzunehmen. Hinkt der Vergleich mit der Südkurve bei Bayern-Heimspielen?
Stoiber: Nein, der hinkt nicht, aber man darf sich nicht täuschen lassen. Es gibt da, wie so oft im Leben, zwei Seiten zu berücksichtigen. Du hast in Passau natürlich überwiegend absolut überzeugte Anhänger der CSU, aber die Leute erwarten bei der Rede auch etwas Besonderes von dir. Und genauso ist es bei Bayern-Heimspielen. Die sind auch eine Herausforderung – gegen jeden Gegner. Die Leute wollen was geboten bekommen, sie ziehen Vergleiche mit den Höhepunkten der Vergangenheit. Wenn die ersten drei Steilpässe nicht ankommen, wird schnell gegrummelt.
Welche politische Figur kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Schweinsteiger denken?
Stoiber: Von seiner Leidenschaftlichkeit und Bajuwarität her würde ich ihn zu den großen Persönlichkeiten im Nachkriegsbayern zählen. Vergleiche will ich nicht ziehen, denn sie hinken zwangsläufig. Aber jeder kann sich denken, wen ich meine.
Als Franz Josef Strauß starb, war Schweinsteiger gerade mal vier Jahre alt. Können Sie sagen, wie ausgeprägt sein politisches Interesse ist? Außer einer gewissen Nähe zu Angela Merkel ist wenig überliefert.
Stoiber: Bastian ist politisch interessiert, das kann ich sagen. Aber er ist auch gut beraten, sich nicht öffentlich zu äußern. Da gibt es unglückliche Beispiele aus der Vergangenheit, die immer wieder aus den Archiven gezogen wurden. Der junge Franz Beckenbauer war über Willy Brandt irritiert, Mehmet Scholl hat die Grünen angegriffen. Das prägt sich ein. Wenn man so eine exponierte Position in der Öffentlichkeit hat wie Schweinsteiger, dann hält man sich klugerweise lieber zurück.
Können Sie sich vorstellen, dass Schweinsteiger nach seinem Vertragsende in Chicago in eine Position beim FC Bayern zurückkehren wird?
Stoiber: Bastian ist ein Herzstück des FC Bayern, er wird immer mit diesem Verein verbunden bleiben. Und für alle Großen stand und steht die Tür hier immer offen. Vielleicht bringt die Zukunft ja wieder eine Nähe – ob im Management oder woanders, das weiß ich nicht, das weiß der Bastian vermutlich selber noch nicht. Das Besondere am FC Bayern ist ja, dass wir mit Beckenbauer, Hoeneß und Rummenigge herausragende Spielerpersönlichkeiten an der Spitze des Vereins hatten und haben. Das gibt es nirgendwo sonst in Deutschland in dieser Kontinuität. Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder auch Thomas Müller könnten diese Tradition eines Tages fortschreiben.
KAPITEL 4
Aufs Gleis gesetzt
Schweinsteigers Weg durch die FC-Bayern-Jugend
Hermann Hummels erinnert sich noch genau an den Tag, als er Bastian Schweinsteiger zum zweiten Mal sah. Probetraining, großer Platz an der Säbener Straße. „Der Junge ist herausgestochen mit seiner Ruhe und Übersicht“, erzählt der Weltmeister-Vater und frühere Nachwuchskoordinator des FC Bayern (1995-2012). „Er war jetzt kein Pfeil, aber er hatte diese Leichtigkeit, die Spielintelligenz und gleichzeitig einen unheimlichen Biss im Zweikampf. Wir haben direkt unseren Chefscout Wolfgang Dremmler informiert, dass er das klarmachen soll mit 1860 Rosenheim.“
Dremmler, vierfacher Deutscher Meister mit dem FC Bayern und Vizeweltmeister 1982, kennt Fred Schweinsteiger über einen Sportartikel-Hersteller. Allzu große Überzeugungsarbeit muss er nicht leisten. Der Bub will zu seinem Traumverein, der Vater sieht sich in seiner Expertise bestätigt – mit 14 Jahren wechselt Bastian Schweinsteiger zum zweiten Mal den Klub.
Wer weiß, wie die Geschichte gelaufen wäre, hätte sich Hummels auf seinen ersten Eindruck verlassen. Denn auch an diesen Tag erinnert sich der ehemalige Talentförderer und jetzige Berater von Sohnemann Mats noch bestens: „Kunstrasen, kleines Feld, das Wetter war bescheiden. Und der Basti war im Spiel jetzt nicht so toll, dass er einem aufgefallen wäre. Das hab ich unserem Scout Jan Pienta auch gesagt.“ Dessen Antwort: „Aaach, der war nur nervös. Den müssen wir wieder einladen, der kann das viel besser!“
Pienta, wie Hummels und Hermann Gerland gebürtiger Westfale, ist eine dieser Spürnasen, denen sie an der Säbener Straße gar nicht genug danken können. 1986 kommt der gelernte Dreher über den Umweg Augsburg nach München, arbeitet beim Finanzamt und bewirbt sich mit der Erfahrung als Co-Trainer des ehemaligen Zweitligisten SC Herford für die Stelle als Jugendcoach beim FC Bayern. „Ich habe Uli Hoeneß im Olympiastadion abgepasst“, erzählt Pienta, „wir kamen ins Gespräch und er hat mir gesagt, dass ich Karl Hopfner meine Bewerbung schicken soll. Zwei Wochen später hat Hopfner zurückgerufen und gefragt, ob ich die A2 übernehmen will. Die hab ich dann vier Jahre lang trainiert, danach die D-Jugend, die C-Jugend, die A-Jugend. Und nebenher war ich als Scout unterwegs.“
Seit 2009 beschränkt sich Pienta aufs Sichten und bessert sich mit den 400 Euro plus Benzingeld die Rente auf. „Ich bin jetzt gut über 70“, sagt er, „aber der Fußball lässt mich nicht los. Es gibt ungesündere Leidenschaften.“
Schweinsteiger, Misimović, Hitzlsperger, Ottl, Lahm, Thomas Müller – Pientas Sichtungserfolge sind Legende beim FC Bayern. Auch wenn natürlich vieles Teamwork war und ist, „seine“ Entdeckergeschichten erzählt Pienta immer wieder gerne. „Ich wohne in München im Stadtteil Neuhausen. Eines Tages habe ich den Tipp bekommen, dass es da nebenan bei der FT Gern einen Jungen geben soll, der mit elf schon spielt wie ein Erwachsener. Das war Philipp Lahm. Anfangs wollte er nicht zum FC Bayern, sondern lieber weiter mit seinen Freunden spielen. Er hat mir gesagt, dass er auch schon von den Sechzigern angesprochen worden sei, aber die hätten ein Loch im Zaun und zu so einem Verein würde er nicht gehen.“ Wie er Lahm umgestimmt habe? „Ich habe keinen Druck ausgeübt“, versichert Pienta, „auch nicht gegenüber den Eltern.“ Der kleine Philipp habe mal den Balljungen machen dürfen bei einem Bayern-Spiel im Olympiastadion. Ein paar Tage