Schweinsteiger. Ludwig Krammer

Schweinsteiger - Ludwig Krammer


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auf Nachfrage im Rathaus. Lärm- und Feinstaubbelastung hätten seit der Errichtung jedenfalls stark abgenommen.

      Bis zum Klubgelände des FV Oberaudorf sind es von hier in der Sonneckstraße nur ein paar hundert Meter. Bastian und sein großer Bruder Tobias dürften die Strecke als Buben in kaum zwei Fahrradminuten bewältigt haben: die Kaiserstraße raufgesaust, ein kurzes Stück auf der Tiroler Straße und dann scharf links rein in die Sportplatzstraße. Dort erwarten den Besucher hinter der Tenniswelt Wilder Kaiser Dutzende Birken, Buchen, Fichten und ein zweckmäßiges Vereinsheim mit obligatorischem Pay-TV-Abonnementsschild. Burgberg und Florianiberg erheben sich im Osten, im Westen grüßen aus der Ferne die Gipfelvorboten Tirols. Viel malerischer kann ein Fußballplatz nicht liegen.

      Rund um das Kirchlein Zu Unserer Lieben Frau in Rufweite zum Rathausplatz knirscht der Kies unter den Sohlen. Wer vom Friedhof durch die schwere Metalltür in den barockisierten Bau tritt, lässt den Strukturwandel hinter sich. Zu erwerben gibt’s freilich auch hier was. Terminpläne und Ansichtskarten für 60 Cent liegen auf halber Strecke zum Altarraum auf dem Verkaufsregal, links daneben die Münchner Kirchenzeitung und der Altöttinger Liebfrauenbote für 1,35 Euro.

      Vom Gotteshaus zum Fußballgott führt beinahe schnurstracks die Rosenheimer Straße. Zur Linken lockt das Gasthaus Alpenrose mit seiner auf die Wand gepinselten Weisheit: „Hätt Adam Wein & Auer’s Bier besessen, hätt er den Apfel nicht gegessen.“ Rechts wartet das Hotel Lambacher Garni samt integriertem Pils-Pub auf trockene Kehlen. Weiter geht’s an der Raiffeisenbank und Allianz-Zweigstelle vorbei, am Blumen Hauser und der Parfümerie Bayerschmidt, dann lächelt er einem schon entgegen, der Schweini. Und das nicht nur einmal.

      Im 1980 eröffneten Sport Schweinsteiger, seit 2006 vom ehemaligen Auszubildenden Hubert „Hacki“ Wimmer geführt, hat auch der Weltmeister eine Art Altarraum bekommen. Ein signiertes Finaltrikot von Rio hängt über dem Regal, daneben sitzt Bayern-Maskottchen Bernie, ebenfalls mit Unterschrift auf dem Trikot. Wimmers größter Stolz sind die zwei Paar Fußballschuhe hinter dem Glas einer dreistöckigen Vitrine. Sie stammen aus Schweinsteigers Anfangszeit bei den Bayern-Profis, sagt der Geschäftsführer und erklärt die eingeprägten Initialen: DBS für seine damalige Freundin Daniela, Bastian & Schweinsteiger. Und TMF für Bruder Tobias, Mama Monika und Papa Fred – dazu jeweils die „heilige“ Rückennummer 31.

      Vom wohl größten Tag der Oberaudorfer Sportgeschichte zeugen die Fotos über Wimmers Bürotür. Euphorisierte Menschentrauben vor dem Sportgeschäft, Schweinsteiger-Fans mit Deutschland-Fähnchen und mittendrin der blondierte Stolz im braun-weißen Ringelshirt. Von diesem Empfang am 21. Juli 2006, knapp zwei Wochen nach der Sommermärchen-WM, stammen auch die Fußabdrücke vor dem Rathaus.

      „Das Dorf präsentierte sich im schwarz-rot-goldenen Kleid, von der Fußballjugend bis hin zur Blasmusik war alles auf den Beinen“, schreibt die Heimatzeitung damals. Und damit nicht genug: „Der Kinderchor ‚Klosterschwalben‘ schmetterte zusammen mit allen Fußballfans den WM-Hit ‚54-74-90-2010‘ der ‚Sportfreunde Stiller‘.“ Schließlich hatte sich die 2006er-Version nicht ganz bewahrheitet.

      Warum aus der angekündigten Ehrenbürgerschaft für Bastian bis heute nichts geworden ist? Bürgermeister Hubert Wildgruber (CSU) berichtet von Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme. Rückmeldungen seien ausgeblieben, das Ganze irgendwie im Sande verlaufen. Die atmosphärischen Störungen zwischen der Gemeindeverwaltung und der Familie Schweinsteiger, von denen im Ort erzählt wird, will Wildgruber nicht größer machen, als sie sind. Sein Kontakt sei gut, was andere sagen, wolle er nicht kommentieren. Gestorben sei das Thema Ehrenbürgerschaft jedenfalls nicht. „Es ruht“, sagt der Bürgermeister. „Aber der Basti ist ja auch erst Mitte Dreißig.“

      Edmund Stoiber musste fast doppelt so alt werden, bis ihn die Ehre ereilte.

      KAPITEL 3

       „Ein Sinnbild des Deutschen aus Bayern“

       Edmund Stoiber über Schweinsteiger

      Edmund Stoiber ist nicht nur Bayerns ehemaliger Ministerpräsident (1993 bis 2007), sondern auch dem FC Bayern als Mitglied des Aufsichtsrats und als Vorsitzender des Verwaltungsrats eng verbunden. Wie Bastian Schweinsteiger ist Stoiber in Oberaudorf geboren und aufgewachsen. „Herkunft verbindet“, sagt er im Interview über seinen Lieblingsspieler, der ihm nicht nur fußballerisch imponiert.

       Herr Dr. Stoiber, wer ist denn nun der berühmteste Sohn Oberaudorfs, Bastian Schweinsteiger oder Sie?

      Stoiber: Der berühmteste Sohn Oberaudorfs ist natürlich Bastian Schweinsteiger! Er ist eine Ikone des Fußballs, des Sports allgemein. Er hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, damit gehört er in die Reihe der ganz Großen. Ich habe als Politiker, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident sicher auch einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht, aber berühmter als Schweinsteiger? Nein, das würde ich niemals behaupten. Und ich bin auch nicht neidisch deshalb. Wissen Sie, Schweinsteiger ist ja in Oberaudorf ein Markenname, nicht nur durch Bastian, sondern auch durch den Vater, das Geschäft, den Bruder. Beide Söhne haben eine außerordentliche Fürsorge durch die Eltern bekommen und sind von Kindesbeinen an enorm gefördert worden.

       Sie wohnen seit Jahrzehnten in Wolfratshausen vor den Toren Münchens. Welchen Bezug haben Sie noch zu Oberaudorf?

      Stoiber: Meine Schwester lebt in Ebbs, das ist ganz in der Nähe. Ich komme jedes Jahr ein-, zweimal nach Oberaudorf. Und wenn ich dort bin, dann fahre ich immer da vorbei, wo ich geboren worden bin, wo ich zur Schule gegangen bin. Dieses Heimatgefühl sitzt ganz tief drin. Bastian und ich sind aus zwei unterschiedlichen Generationen, trotzdem verbindet uns die Herkunft. Wir sind beide überzeugt: Oberaudorf ist die Perle des Inntals und eine der schönsten bayerischen Gemeinden überhaupt.

       Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Schweinsteiger?

      Stoiber: Wir kennen uns gut, bei gemeinsamen Terminen mit dem FC Bayern gab es immer einen Austausch, da ist schon ein spezieller Draht da. Ein Beispiel?

       Gerne.

      Stoiber: Ich habe den Bastian unmittelbar nach dem Endspiel in Rio von daheim in Wolfratshausen aus angerufen und ihm gratuliert – nicht nur zum Weltmeistertitel, sondern weil ich großen Respekt davor hatte, dass er sich in der Stunde seines größten Erfolgs zu seinem Freund Uli Hoeneß und dessen Verdiensten um den deutschen Fußball bekannt hat. Das drückt sehr viel aus. Der Bastian hat ja gewusst, wenn er das jetzt sagt, dann stimmen ihm nicht alle Fans am Fernseher zu. Das zeigt den Mut und die Menschlichkeit, dass er seinen Förderer nicht vergisst, wenn der in einer prekären Situation ist [Anm. d. Autors: Hoeneß saß damals wegen seines Steuervergehens in Haft].

       Was imponiert Ihnen an Schweinsteiger?

      Stoiber: Er hat sich immer entwickelt, ist nie stehengeblieben. Er ist aus dem Schweini der WM 2006 herausgewachsen und zum international hoch geschätzten Herrn Schweinsteiger geworden. Für mich ist er durchaus ein Sinnbild des Deutschen aus Bayern. Rein fußballerisch hat mich natürlich begeistert, dass er Spiele nicht nur lesen konnte und ihnen seinen Stempel aufgedrückt hat, sondern dass er sie mit seiner Torgefährlichkeit oft auch entschieden hat. Der Bastian ist mit Sicherheit ein Ankerspieler in der Geschichte des FC Bayern. Wenn man eine Reihe aufmacht mit Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Lothar Matthäus – da gehört er zusammen mit Philipp Lahm rein.

       Was hätten Sie als ehemaliger Fußballer gerne von ihm gehabt?

      Stoiber: Also ich war genauso leidenschaftlich, allerdings beschränkt auf B- und A-Klasse [lacht]. Klar bewundert man als ehemaliger Hobbyfußballer die technische Brillanz und diese enorme physische Präsenz. Bastian hatte die Bereitschaft, als Techniker auch das Körperliche anzunehmen, er hat auch mal Aktionen auf eigene Faust gestartet, was heute allgemein ja ein bisschen verschüttgegangen ist. Und seine Natürlichkeit darf man nicht vergessen. Er war ein Gesicht der Weltmeisterschaft 2006, die das Image Deutschlands sehr zum Positiven


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