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Luftpiraten. Walter Julius Bloem
Dann verschnappte sich der gute Onkel: „Das werden wir bald abstellen, in allen Hafenstädten sind Belohnungen von vielen Hunderttausend Dollars ausgelobt worden, irgendeiner von den Verschwörern wird da schon drauf anbeissen —“
„Gottlob, dass du das hoffst! Ich wollte schon in die Stadt und mir einige Ellen Hungertuch besorgen ...“
Während der Heimfahrt nach Haarlem kam Loie an einem kleinen Vorstadtkino vorbei und erkannte ihr eigenes Bild auf den schreiend bunten Plakaten. Der Südpolfilm! Sie liess Wiebe halten, er wartete draussen zwei Stunden, fünf Stunden, bis Loie nach der letzten Vorstellung endlich wieder erschien, von Tränen geschüttelt. Man hatte die Bilder des verschollenen „Eisvogels“ zusammen mit den Aufnahmen von der Hilfsexpedition verwendet. Loie sah sie alle wieder: Die Palmen mit ihren schwankenden Fächern in der Buen-Suceso-Bucht, die Holzhütte — sie sah Feuereissen mit lässigem Schritt über den Strand gehen, zum „Eisvogel“ hinab, dessen Flügel in der Sonne gleissten. Giles, der mit seinen Kameraden verschollene filmende Berichter, hatte offenbar eine Eigenschaft aller grossen Photographen besessen, diese geheimnisvolle Fähigkeit, sich selbst unbemerkbar zu machen, so dass seine Bilder durchaus natürlich wirkten. Dies Verhalten war nicht schwer, wenn Hutton Price, mangelhaft bekleidet, im Sande schlief, gegen die Insekten ein Tuch vor dem Gesicht, und das Tuch hob sich mit den Atemzügen. Das Publikum kreischte vor Lachen bei diesem Bild. Und der soll weg sein, nicht mehr vorhanden, abgestürzt, erfroren?
Loie war wohl der einzige Mensch auf der weiten Erde, der in einer letzten Ecke des Herzens eine Gewissheit verteidigte: sie sind noch da, irgendwo —
Die Wissenschaftler hatten ihr haarklein bewiesen: Pasqualis verbrecherischer Leichtsinn habe den „Eisvogel“ nicht so ausgerüstet, dass seine Mannschaft im ungünstigen Fall auch nur eine einzige Woche des Polwinters hätte ertragen können, der jetzt dort unten wütete.
Loie war nicht imstande, und im Angesicht dieser Bilder weniger denn je, an den Tod ihrer Freunde zu glauben. Sie sah jetzt, wie der „Eisvogel“ fertiggemacht wurde. Und ihre Tränen strömten heftiger, als sie dort auf der Leinwand ihren guten Bob aus der Hütte laufen sah, den Käfig mit Kleopatra in der Hand. Das war ein paar Sekunden später gewesen, nachdem Hutton ihr über viele tausend Meilen den Abschied zugerufen hatte: Klingle mich morgen mittag am Südpol an, Loie ...
In der Erinnerung hörte sie seine kullernde Stimme: Ich, haha, jawohl, ich springe aus tausend Metern Höhe mit einem aufgespannten Regenschirm herunter, wenn ich gerade den Fallschirm vergessen habe, breche mir höchstens den kleinen Finger dabei, mir passiert nämlich nie etwas ... Nun also hatte es ihn wohl doch erwischt.
Loie litt in diesen kummervollen Wochen unter Todesahnungen. Sie bereitete die Weltreise vor, die sie ihren Freunden versprochen hatte, lud auch den vielgeschmähten Oberst dazu ein, und er kam begeistert aus seiner Verbannung hervor.
Mitte Juni verschwand wieder ein Schiff im Atlantik, Nummer sieben, ein Öldampfer, und alle Zeitungen gerieten in furchtbare Aufregung. Loie wurde nicht davon berührt, sie und Fräulein Spring waren den ganzen Tag unterwegs, um die nötigen Besorgungen für die Reise zu machen. Mit ihren Freunden hatte sie schon jetzt vereinbart, man wolle „andersrum“ reisen, ab Genua durch den Suezkanal nach Indien, von dort über Japan nach Panama, dann konnte man sich immer noch überlegen, ob man zu Schiff sich über den Atlantik wagen wolle.
Wieder einmal kam Onkel Edward zur Teestunde. „Du bist in etwas gerührter Stimmung, Loie?“
„Es passiert heutzutage soviel Unvermutetes, und ich gehe jetzt auf die lange Reise.“ Sie überlegte listig. „Ich trage mich nämlich mit der Absicht, ein Testament zu machen.“
Der alte Kolkrabe zog die Augenbrauen hoch. Er war Loies nächster Anverwandter und wusste, dass sie mit den übrigen sehr entfernten Familienmitgliedern in keiner Verbindung stand. „Sehr löblich, Loie, überaus vernünftig. Wohltätigkeiten, wenn ich fragen darf? Mein erfahrener Rat steht dir natürlich jederzeit zur Verfügung ...“
Loie sah träumerisch in die Luft und entwarf einen grosszügigen Plan, wie ihr Besitz — nach Edwards Meinung — verschleudert werden solle, Stiftungen hier und Stiftungen da, das „Häuschen“ sollte in ein Waisenheim verwandelt werden.
Onkel Edward nickte beifällig und machte zu Loies Erstaunen grosszügige Ergänzungsvorschläge. Als seine Nichte mit dieser Aufzählung fertig war, konnte er feststellen, dass sie ihren gesamten Besitz zerstreuen wollte, ohne dass für ihn, Edward, auch nur ein Cent übrig blieb.
Er räusperte sich: „Wenn man von solchen bedauerlichen Dingen überhaupt sprechen soll — du brauchst diese löblichen und warmherzigen Absichten nur schriftlich zu fixieren; Datum, Ort, Unterschrift — dies Testament legst du in dein Juwelensafe bei unserer Bank, den Schlüssel kannst du bei dir behalten —“
Ihr Misstrauen schwand.
„— oder du kannst ihn auch mir in Verwahrung geben, damit ich ihn dir bei deiner glücklichen Heimkehr wieder aushändige. Ein wohlgeordnetes Testament, Loie, ist das sicherste Mittel, um ein hohes Alter zu erreichen, höhö.“
„Onkel Edward ist ein viel besserer Mensch, als ich glaubte“, sagte Loie, als Fräulein Spring am Abend abgehetzt aus Amsterdam heimkam, „ich habe mit ihm über mein Testament gesprochen, und er wollte gar nichts für sich haben. Gut, dann soll er auch etwas bekommen.“
Also schrieb sie ihren „letzten Willen“ einige Tage später nieder, vermachte Onkel Edward ein Achtel ihres Vermögens und gab ihm das Testament in Verwahrung, damit er es auf der Bank einschliessen sollte ...
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