Luftpiraten. Walter Julius Bloem

Luftpiraten - Walter Julius Bloem


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meinte vergnügt: „Das trifft sich ausgezeichnet. Wir wollen Blanche hereinrufen, mit der stehe ich seit fünf Jahren auf Kuss und Du, aber eine Liebeserklärung, nicht im mindesten, da hast du schon eine rühmliche Ausnahme.“

      „Eine Gegenfrage Bob: wenn du schon mit solchen Absichten kommst, hast du dich kasteiet, hast du dich aufgespart, hast du dich zu Tode gesehnt — oder wann hast du das letztemal eine Frau geküsst? Aber ehrlich, bitte!“

      „Als ob ich je schwindeln würde, süsse Loie. Im Gegenteil, ich übertreibe meine Untugenden geflissentlich. Das letztemal? Tjä hahi. Gestern war ein gemütlicher Abend bei Pasquali, ich habe dir ja erzählt, wie es da zugeht. Man kann nämlich küssen, Loie, aus allgemeiner Weltbegeisterung, schwach erotisch.“ Seine Lackstiefel glänzten spöttisch, er konnte nichts dafür, er war die fleischgewordene Posse. Ich bekomme sie bestimmt nicht, sagte er sich, ausgeschlossen und nie, ich verplempere mich an der ganzen süssen Bande!

      Und während Loie zärtlich seine wider Willen grinsenden Wangen tätschelte, führte sie ihn sanft durch den Teeraum zu den andern zurück, wobei er erklärte, er bäte seinen nicht gemachten Antrag zu retournieren.

      Der Eisvogel

      Gegen Ende eines regnerischen Septembers kam der Berichter der „New York Times“, Herr Giles, abends zum Oberst Pasquali herausgefahren, nach einer zehntägigen Abwesenheit. Giles schlug seine Jobbermütze an den Haken und ging höchst übelgelaunt zu Pasquali herein, der einer seiner Sekretärinnen ernsthaft diktierte. Eine grosse Tigerdogge erhob sich knurrend vom Teppich. — „Du hast mir auf die Redaktion eine Nachricht geschickt, ich möchte gleich nach der Heimkehr zu dir kommen. Was ist los, was für eine Pappsensation hast du wieder auf Vorrat?“

      Pasquali schob in guter Laune einen Stoss von Briefen und Anordnungen beiseite und erkundigte sich teilnahmsvoll nach Giles’ Ergehen.

      In den vergangenen Wochen hatte Giles mit vielen Pressevertretern am „Einfliegen“ einer neuen Linie teilgenommen, London—Sidney, neunzehntausend schnurgerade Meilen mit Zwischenlandung in Kalkutta. Ist das etwa nichts Besonderes? Der Australienschweber, mit Kabinen für dreihundert Fluggäste, besass die allermodernsten Einrichtungen für die Fernsteuerung, neue Erfindungen spielten Katze und Maus, und endlich gelang es dem tätigen Menschengeist, das gänzlich anonyme und mechanische Verkehrsmittel zu verwirklichen, die Sehnsucht eines Jahrhunderts. Dazu waren wochenlange Vorbereitungen nötig gewesen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit steuerten Feuereissen und Hutton Price den neuen A 3348 im Handbetrieb zwanzigmal über die Strecke, in riesigen, besonnten, sturmfreien Höhen, und selbstverständlich mit Rekordgeschwindigkeiten. Dann war es so weit, dann hatten die Fernsteuerungsmaschinen in Konstantinopel, Kalkutta, auf den Philippinen und in Sidney sich mathematisch eingestellt, die Öffentlichkeit wurde zugelassen und die Flieger verliessen ihre Zelle. Denn dieser neue Gigant raste ohne jede menschliche Führung durch die eisige Höhe, und zwanzig Minuten vor jeder Landung wurden die Flieger durch Klingelzeichen benachrichtigt, dass der A 3348 zwar nicht ihre Hilfe, aber doch ihre Aufmerksamkeit für das Niedergehen in Anspruch zu nehmen wünschte. Sie also, denen der Ruhm des Ikarus noch zwischen den Schultern brannte, ein vergilbter Ruhm, sie konnten schlafen, lesen, Karten spielen, mit den weiblichen Fluggästen äugeln, nach Belieben und wie es ihnen passte, der Australienschweber jedenfalls bedurfte ihrer Mitwirkung nicht. Drunten in der gähnenden Tiefe rollte die Erde vorbei oder die grellen Flächen unendlicher Wolken. Es war erreicht, es war restlos gelungen, dem fliegenden Businessc) jegliche Romantik auszutreiben.

      So erzählte Giles. Der Oberst rieb die Handflächen aneinander und klopfte dem Freund auf die Schulter. „Du hast ganz recht. Es ist ein Grundsatz, Lieber. Werde Normalmensch! Die Zivilisation ist eine Hängematte, rings um die ganze verwendbare Erde. Wir knüpfen das Netz immer enger, immer feiner — warum und weshalb, das weiss ich auch nicht. Simson, das technische Jahrtausend ist über dir! Aber ist es nicht grossartig schön, dass ein Arbeiter genau so gut angezogen ist wie ein reicher Mann, du kannst eine Prinzessin von meiner Tippmamsell nur unterscheiden, wenn du sehr genaue Studien an derartigen liebenswürdigen Objekten betreibst, und die ganze Kruste quälender, schlecht riechender Armut wird von diesem rotierenden Kuchenteller langsam heruntergeputzt. Darum geht es, das ist vielleicht auch ein Sinn, so gut und vielleicht besser als die Tempel in Europa und Asien.“

      Der Grog kam. „Wir werden philosophisch“, sagte Giles und baute sich bequem in den grünledernen Klubsessel ein, „da ich aber weder arm noch gequält bin, so hoffe ich, noch schlecht rieche, so vollzieht sich diese Entwicklung gegen mich. Ich möchte von meinem kurzen und vergnügten Dasein etwas haben, was ich leider nicht mit jedermann teilen kann, weil nicht jeder dafür Verständnis aufbringt. So geht es mir. So geht es Feuereissen. Hutton Price hat sich über die neuen Errungenschaften dermassen ausfallend geäussert, dass die gelehrige Kleopatra künftig nur einem Herrenpublikum vorgeführt werden kann.“

      Pasquali lachte und liess die Hand über den Kopf seiner Dogge streichen. „Ich glaube, Giles, für drei Monate kann dir und deinesgleichen geholfen werden.“

      Der Oberst zeigte über seinen Schreibtisch, der mit Papieren bedeckt war. In den Kreisen der OAW war ein Plan aufgetaucht, künftig zu günstiger Jahreszeit Erholungsflüge über die Polargebiete zu veranstalten. Zunächst handelte es sich darum, dass eine Flugexpedition im nächsten Südpolsommer die meteorologischen und erdmagnetischen Bedingungen der Antarktis erforschen sollte. Das Unternehmen stand vor unbekannten Bedingungen, einige Rekordflüge im vergangenen Jahrzehnt brachten nur spärliche Aufklärung. Man war auf Vermutungen angewiesen, wie sich die drahtlose Kraftübertragung dort bewährte. Auf jeden Fall griff Pasquali die Anregung auf, es bot sich eine seltene Gelegenheit, erprobten Verkehrsfliegern Abwechslung von ihrem immer gleichen, eintönigen Dienst zu bieten. „Machst du mit, Giles? Ich habe Feuereissen und Bob heute nachmittag über Persien drahtlos erwischt, sie heulten vor Begeisterung. Für drei Monate bist du ein Held!“

      Denn so lange sollten die Forscher sich im ewigen Eise aufhalten, drei Monate des Polartages, an dem die Sonne schräg oben ein bisschen rund um den Himmel wanderte, neunzig Tage mit Pelz, Büchse und Filmapparat. Abends, was dort so Abend hiess, einen heissen Grog im geheizten Flugzeug, Tanzmusik aus London und jeden Mittag einen bangen Anruf aus der bewohnten Welt: Lebst du immer noch, Geliebter, ich habe solche Sorge, dass du dich erkältest ...

      „Hm“, machte Giles, „wenn du einen andern Tintenbullen ausser mir zulässt, Pasquali, dann erwürge ich dich mit meinem Zeigefinger. Über die Stange Gold kannst du dich mit meinem Chef unterhalten. Das ist ein feines Vorhaben. Abenteurer auf Zeit, mit dem Rückzugsbillett in der Tasche, und wenn die Pioniere das Feld räumen, rückt das Kapital an.“

      „Was übrigens von jeher so gewesen ist, Giles.“

      Der Berichter schwärmte schon mit rollenden Augen. „Das gibt mal endlich wieder bildschöne Filmchen! Die Welt im Licht, naturweisse Woche, ich wette: wenn mein Polfilm in den Kinos läuft, muss der Normalmensch Schneebrillen aufsetzen. Herrlich. Das machen die natürlich später in fliegenden Sanatorien mit Glasdach, Aussichtsraum und therapeutischer Behandlung. Bordarzt, Bordgeistlicher, alles da. Was noch? An dieser Stelle da unten, jawohl meine Dame, gerade da, wo der Eisbär steht, nein, mein Herr, ich glaube nicht, dass der Bär eine Atrappe ist, erfror vor vielen Jahrzehnten der berühmte Südpolforscher Ix Ypsilon, Ober, stellen Sie die Heizung ein halbes Grad höher, die Herrschaften frösteln ...“

      In einer windgeschützten Korallenbucht des Feuerlandes — sie führte den verheissenden Namen Buen Suceso — wo die Wellen des Atlantik eilig meerwärts liefen, erfolgte Mitte November der Start. An der Sache war weiter nichts Besonderes; heutzutage brauchten die Schweber sich nicht mehr mit Betriebsstoff zu belasten, da der drahtlose Starkstrom sogar bis zum Mond hinauf, wenn sie dorthin hätten fliegen können, unausgesetzt hinter ihnen dreinlief.

      Der Zehntonnen-Schweber, der die Antarktis zugunsten der praktischen Vernunft aus ihrem bisher ewigen Schlummer reissen sollte, war mit jeglicher Bequemlichkeit ausgerüstet, die für anspruchsvolle Menschen der Zeit zur Ertragung einer monatelangen Trennung von der übrigen Menschheit genügte. Der „Eisvogel“ besass sechs starke Elektromotoren und konnte auf dem Wasser, auf dem Eis wie auf dem festen Land aufsteigen und niedergehen.


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