Luftpiraten. Walter Julius Bloem

Luftpiraten - Walter Julius Bloem


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ich sitze da und rühre keine Pfote, ich kann Schach spielen oder Kaffee kochen oder lesen, vorhin bin ich für eine Weile eingeschlafen, haben Sie was davon gemerkt, Reverend? Das Biest steigt von selber auf und geht von selber herunter, wenn die Zeit erfüllet ist, entschuldigen Sie — das besorgen die Fernsteuerungsmaschinen auf Coney Island. Wenn ich aber mal höchst persönlich in die Ereignisse eingreife, wie vorhin zum Beispiel, dann wird unseren Damen schlecht. Davon haben Sie doch was gemerkt, wie?“

      „Ich dachte, lieber Bob, es habe sich ein Sturm erhoben. Aber es kann doch immerhin ein anderes Luftfahrzeug — wenn ich bedenke, ein Zusammenstoss — welch fürchterliche Möglichkeiten!“

      Dafür seien elektrische Warnungszeichen da, die zwölf Meilen vorher in Tätigkeit träten, wurde er beruhigt. „Nur das Sitzfleisch ist beschäftigt, glauben Sie mir. Bei Start und Landung sitzen wir da und passen auf, ob uns auch kein Kamel in den Weg läuft. Diesem Vögelchen ist es gleichgültig, ob ein Flieger in der Zelle sitzt, oder ob er vorschriftswidrig weggeht und seinen Gram in der Bar mit einer Serie von Flips ersäuft. Tjä hahi. Aber: ohne mich! Ich bin Flieger gewesen! Dies Leben hat keinen Sinn mehr.“

      „Nun möchte ich allerdings gern eines wissen, Bob: empfindet Herr Feuereissen ebenfalls einen solchen Widerwillen gegen seinen, wie ich bisher glaubte, hehren Beruf, der euch doch dem Himmel so nahe bringt?“

      Unzufrieden sei jeder ehrliche Flieger. Aber immerhin sei Feuereissen Kommandant und habe sich auch noch um andere Dinge zu kümmern. Um den Dienst in der Pilotenzelle drückte Feuereissen sich jedenfalls nach Leibeskräften, es sei denn, dass an den Maschinen mal etwas in Unordnung geriete, was so gut wie nie vorkam.

      Unter diesen Umständen schien es dem Reverenden nicht länger verwunderlich, dass Bob sich möglicherweise anschickte, bei Loie Lux, der reichsten Erbin dieser irdischen Welt, wie viele andere Jünglinge Schlange zu stehen. „Dein Leben hätte jedoch einen Sinn, Hutton Price“, sagte er milde, „wenn du die Stunden der Musse — oder vielmehr deine Dienststunden benutzen würdest, um dein nicht sehr gottgefälliges Leben einer innigen und läuternden Betrachtung zu unterziehen. Man sagte mir, du seiest ein Liebender.“

      Der Dicke schrie: „Feuereissen soll seinen Kohl für sich behalten! Im übrigen, Tatsache. Sie gehen ja auch zu Loie. Dann können Sie uns heute abend gleich gratulieren ...“

      Der Vogel Kleopatra sass auf einer hohen Stange über vergoldetem Käfig und tat ebenfalls nichts. Kleopatra war da und erfüllte damit nicht weniger ihre Pflicht. Unerhörte Schicksale fesselten das Glück an ihr buntes Gefieder, während des vergangenen dreiviertel Jahrhunderts hatte sie den Aufstieg der Fliegerei mitgemacht. Sie sprach fliessend sämtliche Fliegerflüche in sämtlichen Sprachen der zivilisierten Menschheit, sie konnte sogar noch das Kullern des Benzinmotors nachahmen, obgleich dieser doch schon seit mehreren Jahrzehnten abgeschafft war. Sie kam aus einer Fliegerhand durch Erbfall in die andere, ihre Vorbesitzer wurden alt oder verunglückten, an Kleopatra aber ging der Zahn der Zeit spurlos vorüber. Um diesen unschätzbaren Vogel wurde Hutton Price heiss beneidet, verschiedene grossangelegte Entführungsversuche waren durch Jims Wachsamkeit im letzten Augenblick vereitelt worden.

      „Wir gehen jetzt zu Loie, jaja“, sagte Bob. Kleopatra liess sich gurrend das Köpfchen kraulen und erwiderte schelmisch: „Loieloieloie, jaja, Küsschen, wir gehen jetzt zum Mädchen, tjä hahi.“

      Alsdann salbte Hutton Price sein Haupt, nahm ein laues Bad, 27 Grad, wobei er sich zugleich aalglatt rasierte, mit blitzendem Messer und aus purer Weltanschauung, es geschah heute schon zum zweitenmal. Indessen legte Jim in der Kabine ein blütenweisses Hemd, zarte, rosenfarbene Unterhosen und das nötige Zubehör bereit, damit sein Kapitän sich nach äusserster Möglichkeit in den Apoll von Belvedere verwandeln konnte, soweit Gewicht und Gliederbau dies erlaubten.

      Der A 3606 kam auch heute wieder, wie jeden zweiten Tag, pünktlich und unbeschädigt vom Himmel herunter. Als er Amsterdam überflog, 18 Uhr 59 Minuten, schalteten sich selbsttätig die Fernsteuerungsmaschinen auf dem Gelände der OAW an den Resten der Zuidersee ein, in ungefüger Wendung trieb der Schweber fast bis an die friesische Küste, kam in den Wind und glitt weich in den Kanal des Ij hinein, dicht beim alten verlandeten Pampusfort.

      Schlepper holten ihn ein, dann wurde er mit der Flügelspitze festgemacht, und die Fluggäste beeilten sich, an Land zu kommen.

      Der zeer edele Mynheer Pekelharing, würdiger Direktor der OAW, kam in eigener Person rosig und wichtig, die unwahrscheinlich lange schwarze Zigarre im Mund, in den Schweber gewatschelt und nahm die Papiere in Empfang.

      Reverend Mylong stieg in das grellrote Fahrzeug, das Loie Lux ihm aus dem Bloemendaal herübergeschickt hatte. Freundlich und mit abgemessener Vertraulichkeit reichte Wiebe, der junge holländische Chauffeur, ein vorzüglicher Diener, die altmodische Handtasche des gelehrten Herrn in den Wagen. Ab mit leisem Schnurren des elektrischen Motors, in langem Bogen um Amsterdam. Auf der spiegelglatten Klinkerstrasse nach Haarlem. Rechts um, ins Bloemendaal. Hier, wo der Park sich ins wilde, meilenweite Gestrüpp des Dünenvorlandes scheinbar ohne jede Absperrung verlor, stand Loies sogenanntes „Häuschen“, ein zierlicher Palast. In Sturmnächten hörte man das Meer brausen. Hinter dem schmiedeeisernen Gitter befand sich ein offener Garten, in der Mitte blühte ein Rosenfeld, vier Brunnen darin, die ihre Wasser kugelförmig ergossen, vier gläserne, sacht klingelnde Wasserglocken.

      Es ist nun an der Zeit, von dieser jungen Dame zu reden, die für den weiblichen Teil der modischen Welt etwa das gleiche bedeutete, wie der Prinz von Wales traditionsgemäss für den männlichen. Sie war das selbständigste Mädchen ihres Jahrhunderts, berühmt durch die aussergewöhnlichen Freiheiten, die sie sich leistete. Alljährlich zitterten die Modeschneider in Europa und Amerika zweimal vor dem Tag, an dem Loie im Mai und im November ihre neuen Kleider spazieren trug: ob weiter oder enger Rock, lila, braun oder taubengrau, Taille hoch oder tief — niemand wusste das im voraus, Loie selbst bestimmte es von einem Tag zum andern. Dann erschienen ihre Bilder und Beschreibungen ihrer Kleider in allen Zeitschriften der Welt, Loie Lux machte die Mode, und die grossen Schneider von Paris, Berlin und New York sassen fest mit den neuen Modellen, denn Fräulein Lux war vollkommen unbestechlich. Sie besass eine weisse Jacht „Lux“, die in jedem Winter vor Athen ankerte, auf diesem Schiff unternahm sie monatelange Reisen, Traumfahrten, zu denen sie manchmal an die zwanzig junge Herren und Damen einlud.

      Loie kam die Treppe herab, sehr zuvorkommend, immer wie in der Erwartung eines Wunders, und führte den alten Freund in ein kleines blaues Teezimmerchen, nachdem Mylong die Notwendigkeit, sich herzurichten, abgeleugnet hatte. „Wir haben Besuch, Reverend“, sagte sie.

      „So? Und wir bekommen Besuch, Loie.“

      „Wer denn? Ach so, Bob —“ sie strich sich die gelben Lockenflämmchen aus der Stirn und klingelte, „den sehen wir immer gern. Blanche ist da, Blanche Biard, da kommt Bob zurecht, dieser dicke Clown. Sie ist nämlich weiss vor Sehnsucht, ihr Ekel von Mann reist seit sechs Wochen in Amerika herum und schreibt nur Postkarten.“

      Es erschien Emmi Spring, gross und schon beinahe alte Jungfer. Damals in Fremon, stellte der Reverend mit einem ziemlich ungeistlichen Bedauern fest, während er die hagere Hand in seiner biederen Pranke quetschte, war Loies Erzieherin noch ein der äusseren Beachtung recht würdiges Geschöpf, obwohl sie nie schön gewesen. Diese Vorzüge fingen an, sich auf die inneren Eigenschaften zu beschränken. Jetzt brauchte Loie keine Erzieherin mehr, aber Emmi und der Reverend waren so etwas wie ein unsichtbarer Stacheldraht um Loie, in dem schon mancher Blender und Glücksritter hängen geblieben. Loie besass keine sehr glückliche Hand in der Auswahl ihrer Freunde, es drängte sich viele laute Werbung in den Glanz dieses Vermögens; Rekord, Profit und Reklame griffen nach Loie, die Stillen mochten in diesem Chor nicht Mauerblümchen spielen und blieben Loies Kreisen fern. Dazu kamen Frauen der Mode, alles Gegenwartsmenschen, schon streckten Astrologen und Spiritisten ihre Fühler in diesen berühmt mondänen Salon. Und so reihte sich Tag an Tag, jede Stunde eine Beute wichtiger Unwichtigkeiten, also war gar keine Zeit da für irgend etwas anderes.

      Bob käme heute abend, die Köchin möge sich also auf drei Personen mehr einrichten. Aber nur Leichtes, was schwer schmeckt, dick genug sei er schon heute. Und wenn Onkel Edward anrufe oder gar erscheine: sie sei nicht daheim.


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