Luftpiraten. Walter Julius Bloem

Luftpiraten - Walter Julius Bloem


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herausschälte, eben jener Loie Lux, der zuliebe er heute zum letztenmal als Luftkapitän einen Schweber steuerte — und, wie wir sehen, auch dies nur höchst unvollkommen.

      Es war ein Malheur — nein, übertreiben wir nicht — ein kleines Malheurchen. Denn obwohl der pflichtvergessene Hutton Price die beiden Fliegersitze mit einem Liegestuhl verwechselte, nahm das von ihm beschützte Fluggerät nicht in der geringsten Weise daran Anstoss. Gänzlich unbeirrt zog dieser gewaltige Schweber A 3606 seinen haargenauen Kurs auf Amsterdam, wo er um 19 Uhr 07 Minuten 53 Sekunden mitteleuropäischer Zeit auf dem Wasser der Zuidersee niedergehen sollte. Er setzte seinen Weg am glitzernden Himmelsrand so unbekümmert fort, dass nicht einmal Kommandant Feuereissen, der doch wirklich die bessere Hälfte seines Lebens fliegend zugebracht hatte, irgendwelchen Zwang verspürte, den Genuss seines Frühstücks zu unterbrechen. Die reisenden Kaufherren diktierten ihren hübschen Sekretärinnen sorglos weiter, oder wenigstens bezogen sich ihre Sorgen nicht auf die Sicherheit des Verkehrsmittels A 3606, und der treue Neger Jim holte jetzt, nachdem er sich vom Wohlergehen des Vogels Kleopatra gebührend überzeugt, befehlsgemäss die Smokinghose des pflichtvergessenen Fliegers Hutton Price aus dem Schrank, um im Mannschaftsraum ihrer Bügelfalte die beliebte Schärfe zu verleihen.

      Derselbe Oberst Pasquali nämlich, dessen gemütlicher Abend sich so unangenehm auswirkte, hatte rechtzeitig und seit Jahren schon die Fortschritte seines Zeitalters auf die neusten Schweber übertragen. Sie bedurften eines Piloten nicht mehr unbedingt, nichts hinderte die elektrischen Fernsteuerungsmaschinen auf Coney Island daran, den A 3606 von der ersten Startsekunde bis zur letzten Sekunde der Landung selbsttätig und vollautomatisch zu steuern, zu peilen und im Gleichgewicht zu erhalten. Die Kreisel in den mehrere hundert Meter klafternden Flügeln drehten sich unermüdlich, die zwölf Elektromotoren taten das gleiche mitsamt ihren draussen schnurrenden Stahlschrauben.

      Ja, wie man gleich sehen wird, die kaltherzigen Konstrukteure der OAW rechneten in gewissem Masse mit der Möglichkeit, dass der immerhin noch vorhandene menschliche Flieger im durchbohrenden Gefühl seiner Überflüssigkeit ermatten werde. Diesmal jedenfalls ereignete sich der seltene Zufall, dass eine Kohlenbürste am Motor neun sich eine Kleinigkeit klemmte, so dass die Tourenzahl für einige Sekunden merklich zurückfiel. Im gleichen Augenblick erhielt Hutton Price nach etwa halbstündigem, gesegnetem Schlummer einen ziemlich heftigen elektrischen Schlag durch einen kleinen Stahlbügel, den er zu diesem Zweck am Nacken befestigt hatte, so dass er jach emporfuhr und sich auf die Handsteuerung warf in der Meinung, sein kleiner Schweber segle koppheister in den Atlantik hinab. Dann jedoch überzeugte er sich mit einem Blick auf das von zahllosen farbigen Lämpchen bedeckte Schaltbrett, dass die Geschichte halb so schlimm war. Der dicke Bob gähnte wie ein Hai. „Was is’n los mit Nummer neun?“ klingelte er den Funksteuermann an. Dieser (ein Mann namens Gaugigl, er entstammte jenem wilden Gebirgsland im finstersten Europa und entzückte die Mädchen mit einem langen, blonden Schnurrbart) — dieser also beruhigte den Flieger, indem er in schlechtem Englisch versicherte, der Motor laufe schon wieder auf volle Touren, werde aber in Amsterdam gründlich nachgesehen.

      Aber nun hatte Hutton Price einmal den elektrischen Nackenschlag wegbekommen und war vor Schreck äusserst wach. Bis ins Gedärm hinein frass ihm der Grimm, dass dieser A 3606 es nicht für der Mühe wert hielt, die geraume Zeit der Abwesenheit des, immerhin, Piloten durch einen kleinen Absturz zu verzeichnen. Da werden wir dir mal zeigen, wer hier der Herr ist —

      Wenn die Schweber der OAW-Ltd. einwandfrei sicher durch die Lüfte rasten, durften die Flieger nach vorheriger Verständigung mit Coney Island die Fernsteuerung ausschalten und eine Weile mit eigenen Händen das gewaltige Flugzeug führen, damit sie nicht vollständig aus der Übung kamen. Hutton Price rief die Zentrale an, die sein Vorhaben genehmigte. Dann zog er einen Kontakt auf der Marmorplatte heraus, die bunten Lämpchen erloschen, er griff inbrünstig in die Handsteuerung, die immerhin noch durch soundso viele mechanische Sicherungen gegen die Einwirkungen des Fliegers geschützt war.

      Im Innern des Schwebers bemerkte man zunächst noch gar nichts von dieser nunmehr erfreulichen Tätigkeit des Fliegers Hutton Price. Nach einer Weile aber begann in der Schwimmhalle das Wasser deutlich zu schwanken, etwas später beschwerten sich einige frühe Billardspieler mit heftigen Worten beim Steward, bei dieser Wackelei lasse sich kein vernünftiger Stoss ausführen. Dann schrillten Klingeln aus den Kabinen, Nigger liefen mit Gefässen für Luftkranke durch die Gänge, der jungen Sängerin im rückwärtigen Aussichtsraum blieb ihre Arie in der Kehle stecken, so dass sie sich erblassend ausser Sicht begab.

      Gleich darauf erschien Feuereissen mit grimmigem Antlitz in der Führerzelle, er fand seinen Kameraden selbstvergessen mit dem Nordwest kämpfend, Arme und Beine bearbeiteten leicht und meisterhaft die Steuerung, während das trunkene Haupt im aus dem Kragen hervorquellenden Specknacken lag. Feuereissen stiess den Kontakt der Fernsteuerung zurück, sofort begannen die Lampen auf der Marmorplatte wieder zu leuchten: zuerst sehr stark, bis der Schweber unter der Macht der eingeschalteten Kreisel von neuem in nahezu vollkommene Ruhelage kam.

      Die Maschinen konnten es besser als der beste Flieger, und wer in diesen riesenhaften, unerhört kostbaren Schwebern Dienst tat, der war siebenmal gesiebt ...

      Bob möge hier bitte nicht den Abenteurer spielen, bat Feuereissen. Der Dicke gähnte, er sei tatsächlich eingeschlafen, mindestens zwei Stunden, und ob Feuereissen ihn nicht bald ablösen wolle.

      Es war also nur ein sehr kleines Malheurchen. „Du fliegst ja erst seit anderthalb Stunden, Bob.“

      Ach! Ob es wenigstens hübsche Mädchen an Bord gäbe?

      Auch dies. Und ein sehr guter Bekannter!

      Vor den Türen wichtiger Amtspersonen befindet sich nicht selten die Aufschrift: Zutritt strengstens untersagt! Dies gilt aber stets nur für die Leute ohne Beziehungen, für die sogenannten Untertanen, und kein Kenner wird sich wundern, dass nach einigen Minuten Seine Ehrwürden der Reverend Mylong sein spitzes Bäuchlein in die ziemlich enge Fliegerzelle schob, hochgeehrt, dass man ihn in diesen technischen Tempel eintreten liess, strahlend beglückt über das Wiedersehen mit dem allseits beliebten Bob, aber zugleich ängstlich bemüht, mit seiner Fülle jede Berührung der Instrumente zu vermeiden. Denn von jenem kleinen Kontakt, der die Handsteuerung abschaltete, und wie überhaupt von fliegerischen Dingen hatte der gute Prediger keine blasse Vorstellung. Es ist verbürgt, dass er sich vor dem Antritt des heutigen Fluges bei Jim unter der Hand erkundigte, ob durch ein Hin- und Hergehen in diesem Verkehrsmittel etwa das Gleichgewicht bedrohlich gestört werde. Jim seinerseits taxierte daraufhin, flüchtig grinsend, die durchaus nicht elfenhafte Gestalt des Reverenden: „Nicht wenn Sie, nur wenn Kapitän Price läuft.“

      Die beiden Dicken, der Flieger und der geistliche Herr, sassen eine Weile stumm nebeneinander in den Sitzen, vielleicht befürchtete der Reverend, Bob durch Unterhaltung in seiner verantwortungsvollen Tätigkeit zu stören. Die Führung dieses Schwebers war offenbar eine geheimnisvolle Angelegenheit, denn Bob patschte sich auf die dicken Schenkel, dann kreuzte er die Beine übereinander, nahm — Mylong erschrak bis ins Mark! — sogar die Hände von den Knien und bot seine goldene Zigarettendose an, die der Prediger dankend und ängstlich lächelnd mit einem Hinweis auf seine stets wohlgefüllte Zigarrentasche zurückwies. Nach einer Weile wagte Mylong die Frage: „Sage mal, Bob, womit steuerst du eigentlich?“

      „Mit dem Sitzfleisch, Ehrwürden.“

      „So? Soso. Höchst interessant! Etwa durch Verlegung des Gleichgewichts?“

      Bob brüllte los, dass die Wände rasselten.

      „Mein Sohn“, meinte der Reverend leicht verschnupft, denn welcher wohlerzogene junge Mensch lacht einen älteren Herrn aus, zumal wenn dieser ihn — und auch eine gewisse Loie Lux — vor etlichen Dutzend Jahren konfirmiert hat? Also: „Mein Sohn, du musst doch hier irgend etwas tun?“

      „Nichts, Ehrwürden, vollständig unbeschäftigt. Ich bin einfach da. Das Ding fliegt von alleine.“

      Die folgende Viertelstunde einer technisch-sachlichen Aufklärung über den neusten Stand der Fliegerei schenken wir uns.

      Dem staunenden Reverenden blieb die Sprache weg. Aber Hutton Price geriet in immer schlechtere Laune bei der Schilderung, wie der technische


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