Luftpiraten. Walter Julius Bloem

Luftpiraten - Walter Julius Bloem


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über dies wahre Fabeltier von Flugboot, das fast dreihundert Menschen durch das stürmisch wogende, trotz aller Fortschritte immer noch nicht mit den Eigenschaften einer Sprungfedermatratze ausgepolsterte Luftmeer dahintrug. Dies Ungeheuer übertraf an Spannweite die grössten Ozeanriesen, die man lächerlicherweise immer noch Dampfer schimpfte, obwohl auch sie seit längster Zeit mit drahtlosem Starkstrom betätigt wurden, wie heutzutage jede lausige Dschunke.

      Feuereissen kam mit der Uhr in der Hand aus seinem Schmollwinkel hervor, ziemlich gross, sehr gepflegt. „Gut, dass ich da bin“, meinte er überheblich, „Bob vergisst jede Zeit, wenn er mit seinem Harem Parade kocht.“

      „Du hast dich nicht gut unterhalten —?“

      „Doch, ausgezeichnet! Ich habe mir mit geringer Phantasie ausgemalt, was alles aus dieser schönen Erde hätte werden können, wenn der letzte Ichthyosaurus rechtzeitig den ersten Menschen aufgefressen hätte.“

      Sie fanden Hutton Price, unbelastet von den Problemen der enggewordenen Erde, in der grossen Eingangshalle vor, er hockte auf den Knien wie ein Türke, sechs kichernde Damen um ihn, er selbst stopfte einer Wette zufolge mit seidenem Faden den an der Ferse zerrissenen Strumpf eines Mädchens, auf der blanken Haut, prima, erst kreuz, dann quer, ohne zu stechen, ein hübscher Stopfpilz! „Tjä hahi, ihr Mädchen“, begleitete er sich, „fliegen können wir heute vollautomatisch, selbst das Buschweib im — hupp! — im Kaffernkraal heizt den trauten Herd mit drahtlosem Starkstrom — aber zur Liebe gehört immer noch die gleiche — hupp — Intelligenz wie am ersten Schöpfungstage. So ist es. Nehmt Abschied von mir, Kinderchen, ich habe Grosses vor, meine Schulden schreien nach einem Deckhengst, vielmehr nach einer Deckstute, hahi, und ausserdem bin ich bis ins Mark meiner Knochen verliebt.“

      Die Damen lachten, dass ihnen das Wasser aus den Augen kugelte. Solche Andeutungen machte er schon den ganzen Abend, kein Mensch glaubte ihm, Hutton Price wäre in unverliebtem Zustand eine unnatürliche Figur gewesen. Niemand konnte ihm etwas nachsagen, er löste seine Wechsel an jedem Quartalsersten in untadeliger Weise ein, indem er alte Schulden mit neuen „deckte“. Unglücklicherweise schwärmte er, zweieinhalb Zentner Lebendgewicht, für die Schlanken und Feinen, nicht erfolglos, aber seine Grazien wühlten nicht im Golde. „Da kommt Feuereissen“, sagte er und deutete mit der Nadel hinüber, „fleischgewordener Einspruch gegen die Überzivilisation, ein armer verhinderter Raubritter. Und da kommt der kleine Spürhund Giles, Haut und Knochen, brrr! Mein Lieber, wenn du auf der Fährte der nächsten Sensation hängst, dann begib dich stehend freihändig mit uns Helden der Lüfte nach Amsterdam. Es tut sich was, es ist etwas in Vorbereitung, dass deine Tinte vor Aufregung eintrocknet. Ich habe sie geküsst, ich, mit diesen vollen Männerlippen — nicht deine Tinte, natürlich, ich habe nämlich — hupp! — bis an den Hals genug von den vollautomatischen Luftdroschken — —“

      Das Missgeschick also, da nun davon gesprochen werden muss, ereignete sich schon in der zweiten Flugstunde des A 3606, der mit zweihundertfünfzig zahlenden Gästen am dämmernden Himmel gen Osten raste, meilenhoch über dem Meer. Abgesehen von einem steifen Nordwest herrschten keinerlei ungünstige Vorbedingungen.

      Feuereissen, Kommandant und für das Ganze verantwortlich, verliess nach dem von beiden Fliegern gemeinsam vorgenommenen Start die Führerzelle und machte seinen vorschriftsmässigen Rundgang durch das Innere des riesenhaften Schwebers. Der Neger Jim, Faktotum, zu all und jeder Verrichtung brauchbar und zudem persönlicher Diener der Flieger, überbrachte ihm die Liste der Fluggäste. Zu seinem Vergnügen fand Feuereissen einen wohlbekannten Namen, den nämlich des ehrwürdigen Reverenden Mylong, der sich seit Jahren sehr oft in Amsterdam aufhielt, als väterlicher Berater und Freund einer jungen Dame, welche sich einen solchen Luxus leisten konnte. Diese junge Dame ihrerseits stammte aus Fremon, Nebraska, und war eine Schulfreundin des dicken Bob.

      Der Reverend war ein menschenfreundlicher und aufgeklärter Vertreter der Christian Sciences und ohne Zaudern bereit, diesem irdischen Jammertal gewisse Verzierungen zu gönnen.

      Feuereissen spürte den ehrenwerten Mann auf und traf ihn in dem behaglichen, nach vorn stark gewölbten Frühstücksraum, dessen Boden ganz aus Glas war, durch welches das Meer farbig heraufglitzerte.

      „Bleiben Sie in Amsterdam, Reverend?“

      „Ich habe die Freude, Kommandant Feuereissen, in den nächsten Wochen Fräulein Loieb) Lux während einer Nordlandreise an Bord ihrer Jacht zu begleiten, immer wohin das unruhige Blut sie treibt. Im Winter wird es vermutlich ans Mittelmeer gehen, sofern sich keine neue Sensation einfindet.“

      „Sagen Sie“, rieb Feuereissen sein Kinn, „ist Ihnen etwas davon bekannt, dass Fräulein Lux sich verheiraten will?“

      „Was Sie sagen!“ Der Reverend meckerte vergnügt. „Wer ist denn diesmal der Glückliche? Zu verloben pflegt mein Schützling sich ja nicht ganz selten. Aber bisher wurde mir stets Gelegenheit gegeben, mich vorher zu dem Kasus zu äussern.“ Er steckte sich mit den dicken, zufriedenen Fingern eine Zigarre an. „Fräulein Lux ist reich, sehr reich; seit dem bedauerlich frühen Tode ihrer Eltern befindet sie sich im Besitz von zwei Dritteln der Anteile an der Seeversicherung Lux, es ist also kein besonderes Wunder —“

      „Ja“, sagte Feuereissen nachdenklich, „da sind wir auch versichert.“ Wir, das hiess: der A 3606 — das hiess ferner: die sämtlichen vierhundert Schweber der OAW-Ltd., das hiess zugleich: Leben und Gesundheit der Fluggäste und der Besatzung. Und da die Luftversicherung nicht etwa das einzige Tätigkeitsgebiet der „Seeversicherung Lux Maatschappij“ Amsterdam, Leidscheplein, bedeutete, so liess sich zuverlässig annehmen, dass Fräulein Loie Lux über eine recht auskömmliche Rente verfügte. Der Flieger äusserte die Vermutung, dies Geschäft sei nahezu gefundenes Geld, denn seit der vor drei Jahren allgemein eingeführten Kreisel- und automatischen Steuerung galt ein Kinderwagen als Mordinstrument im Vergleich zu den Schwebern der OAW. Dann kam er auf Loie Lux’ Heiratspläne zurück und deutete auf Hutton Price hin.

      Der Reverend überlegte. „Hm, hm. Was Sie sagen! Diese Beziehungen bestehen ungetrübt seit der frühesten Kindheit. Unser junger Freund unterscheidet sich allerdings von Loies übrigen Verehrern durch seine rauhe und ehrliche Art. Sie wissen, Kommandant, ich vertrete seit dem bedauerlich frühen Tode ihrer Eltern, meiner heissbeweinten Freunde noch aus Fremon, so etwas wie Vaterstelle bei der Verwaisten. Aber Bob? Nicht übel, durchaus nicht, er ist auch aus Fremon.“

      Leider wusste Feuereissen auch nichts Näheres, man war auf Vermutungen angewiesen und darauf, aus den immer vergnügteren Andeutungen Bobs Schlüsse zu ziehen, dass er sich ziemlich sicher fühlte. Und da man durch Beruf und Kameradschaft mit Hutton Price wie ein Zwilling lebte, so hätte man es merken müssen, wenn ein unbekannter Stern am Himmel aufgegangen wäre, zumal der Dicke alles ausplauderte.

      In dieser Minute geschah es also, dass Hutton Price, der in der Führerzelle als alleiniger Pilot den Dienst versah, nach einem stundenlangen, zähen Kampf gegen die Bleischwere seiner Augenlider bombenfest einschlief.

      Der gemütliche Abend beim Oberst Pasquali und der völlige Mangel eines gesunden und gewohnten Nachtschlafes taten ihre Wirkung. Bob hatte sich zwar, in weiser Voraussicht, gleich nach dem Start von Jim, dem Nigger, die Zubehörteile eines gewalttätigen Mokka bringen lassen, den er sich selber auf dem Boden der Führerzelle herstellte, aber wie es bei den Dicken so ist, sie stehen unter anderen Lebensgesetzen als die Hageren, und was diesen durch die Gebeine brennt wie ätzendes Gift — in wohlgebauten Fettgeweben versickert es mit der Wirkung eines Schlaftrunkes.

      Er also, Bob, von dem hier nun so unvorteilhaft die Rede ist, zog erst seine Hände an sich, dann auch behaglich die stämmigen Beine, und kuschelte sich in den mit rotem Leder schön gepolsterten Fliegersitz — und damit nicht genug: sei es etwa in der Vorsicht, schlafende Gliedmassen seien nicht ganz tauglich zur Führung eines mit zweihundert Meilen Geschwindigkeit sich mitten über dem Ozean fortbewegenden Schwebers — wie heute die grossen Verkehrsflugzeuge genannt werden — jedenfalls bemühte er sich, diese Gliedmassen aus dem immerhin gefährlichen Bereich der Steuerung herauszubringen, indem er nun seine Beine auf den zweiten, also in des abwesenden Feuereissens Sitz hinaufzog. Mit dieser letzten, halbbewussten Willenstätigkeit überliess er den ihm anvertrauten A 3606 seinem Schicksal, eine


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