Luftpiraten. Walter Julius Bloem

Luftpiraten - Walter Julius Bloem


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konnten den durchfrorenen irdischen Leib in einer Badewanne erquicken, die je einen Hahn für warmes und kaltes Wasser besass. Unvermeidlich war, dass man sich alle paar Tage einige Eisblöcke auftauen musste, je nachdem der Reinlichkeitsfanatismus sich auf tägliches Bad ausdehnte oder auf einfaches Rasieren beschränkt blieb.

      Um diesem üppigen Unternehmen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, wurde eine geologische Autorität mitgenommen, Monsigny mit Namen, ein kleiner, unfreundlicher, überaus pedantischer Herr aus Chikago, der sehr bald feststellen musste, dass er eigentlich nur zur Verzierung diente. Als einziger Reporter war Giles dabei mit seinem spitzen Vogelgesicht, er hatte schon zahllose Expeditionen in sämtliche noch leidlich unzivilisierten Gegenden der Erde mitgemacht und in Wort und Film verherrlicht. Er bekam einen Filmapparat und fünfzigtausend Meter Negativ mit und sollte derartige Lichtfluten in die Kamera bannen, dass ein Schrei über den Erdball hallen würde: Auf ins ewige Eis mit Vergnügungsschwebern der OAW! Den Pol sehen — und sterben.

      Alles Reklame ...

      Reklame war auch der Neger Jim, den man telegraphisch vom Urlaub geholt hatte, mit Kleopatra, versteht sich. Jim war ohne den geringsten Zweifel der erste Nigger, der je das weisse Land betrat. Da er sich für alle Dienste gleich gut eignete und mit seinem schwarzen Gaunergesicht eine unschätzbare Werbung für die filmische Ausbeute des Unternehmens bot — man bedenke ein Bild — Jim zerhackt einen Eisblock für die Warmwasserversorgung! — so konnte auf seine doppeltbepelzte Mitwirkung nicht verzichtet werden.

      Es war alles da, alles eingefädelt, um das mit grossem Trara aufgezogene Unternehmen in den Blickpunkt zu rücken. Nur die Zeitungen, die von der OAW keine Inserate erhielten, fielen mit bissigem Spott über diesen Südpolflug her: man stelle sich an, als ob man noch in der Benzinzeit lebe, heutzutage, wo ein Polflug nicht gefährlicher war als der Aufenthalt in einem Sanatorium! — Diese Zeitungen machten, ohne es zu wollen, für die Verkehrspläne der OAW die allerbeste Reklame.

      Und zu solchem Rummel mussten sich zwei brave Flieger hergeben!

      Nur auf die Mitnahme eines weiblichen Wesens verzichtete man nach heftigen Meinungskämpfen, um die Friedensliebe der aus sechs Herren unter vierzig Jahren bestehenden Besatzung keiner allzu schweren Belastungsprobe zu unterziehen.

      Nach einer sehr unruhigen Nacht erwachte Loie ziemlich spät am Morgen. Vor ihrem Fenster beschäftigte sich der graue Novembersturm mit den triefenden Lindenästen. Es war nasskalt, und Loie hatte die Grippe.

      Während die junge Dame unfroh frühstückte, bemühte sich ihre Zofe um eine Verbindung mit der Buen-Suceso-Bucht. Endlich kam Hutton Price an den Apparat. „Lieber Bob, ich habe diese Nacht solche entsetzlichen Sachen geträumt, tu mir den einzigen Gefallen und fliege nicht mit.“

      „Was hast du denn geträumt, Loie? Erzähle mal. Übrigens sitzt Kleopatra auf meiner Schulter, damit sie dir noch ein Küsschen geben kann.“

      Loie erzählte eine unglaubwürdige Geschichte mit mehreren Eisbären und Walrossen, die eben nur darum glaubwürdig erschien, weil sie ausdrücklich als Traum bezeichnet wurde.

      „Das ist ja hochinteressant. Aber warum soll ich deshalb nicht mitfliegen?“

      „Bob“, bettelte sie, „liebster Bob, ich habe so eine schreckliche Angst um dich. Hier ist ein schauerliches Unwetter.“

      „Ja ja, Loie, ihr habt ja auch Winter. Bei uns wachsen die Narzissen auf der freien Handfläche.“ Hutton stellte mit Genugtuung fest, dass der Verkehrston sich ganz erheblich zu seinen Gunsten verändert hatte. „Übrigens entschuldige: in fünf Minuten wird der Fernsprecher für den Rundfunk gesperrt.“

      Sie schrie: „Bob! Wenn du nicht mitfliegst, heirate ich dich!“

      Während einer ganzen Weile schnappte Hutton hörbar nach Luft.

      „Furchtbar nett von dir“, sagte er endlich, „ich vermute aber, Loie, wenn ich auf dein bestechendes Angebot hin in der letzten Minute meine Kameraden im Stich lassen würde, dann würdest du mich erst recht nicht — —“

      In den elektrischen Wellen entstand ein fürchterliches Geschimpfe, deutlich unterschied Loie eine Stimme: „Komm heraus, Bob! Schluss! Die andern klettern schon in die Kiste.“

      Bobs Stimme schnalzte: „Kuss, Loie. Von jetzt ab bist du meine Braut. Rufe mich morgen mittag am Südpol an. Wie sagt man, Kleopatra?“

      Kleopatra kreischte: „Loieloieloieloie! Kuss, Loie! Tjä hahi! Adioo!“

      Im nächsten Augenblick ertönte in Loies Zimmer der Lautsprecher. „Hallo! Hallo! Hier Buen-Suceso-Bucht! Der Polarflug beginnt! Es ist ziemlich stürmisch und regnerisch, weit draussen schäumt der Atlantik über dem Golf. Der ‚Eisvogel‘ schwankt festgemacht am Strande —“ Loie vergrub sich fröstelnd in ihre Kissen und Decken, während die unerbittliche Stimme den fernen Hergang bis in alle Kleinigkeiten zu ihr herübertrug. Sie fürchtete um ihren Freund, den sie wirklich nicht liebte, und sie hoffte, irgendein leichter Unglücksfall werde noch in letzter Minute den Start durchkreuzen. Sie hörte die Wellen des Atlantik leise plätschern, dann ward die Stimme des Ansagers fast überschollen vom Heulen der sechs Elektromotoren — „als letzter kommt der zweite Flieger, Herr Hutton Price aus Fremon, Nebraska, mit seinem Papagei Kleopatra zum Strande hinab. Er hat sich ein wenig verspätet, weil er, wie man sich erzählt, noch in der letzten Minute mit einem jungen Mädchen in Europa ein wichtiges Gespräch führen musste. Achtung! Achtung! Die Pflöcke werden gelöst. Der Schweber gleitet vom Strand —“

      Der Ansager schwieg. Das Heulen der Motoren entfernte sich, bis nur noch ein glasfeines Singen zu hören war, dann verlor sich auch dies. „Der ‚Eisvogel‘ wendet gegen den Wind. Schneller, immer schneller. Die Bugwelle überschäumt ihn — jetzt: er schwebt! Jetzt entrollen sich an den beiden Flügelspitzen die Starkstromantennen. Am Ufer winkt man. Hören Sie! Der ‚Eisvogel‘ fliegt über den Strand —“

      Noch einmal lärmte in beängstigender Nähe das schrille Rauschen, deutlich unterschied Loie das Knattern der Luftschrauben. Dann, als wieder alles stille war, beendigte der Ansager seine Tätigkeit mit dem trockenen Spruch: „Wir wünschen den kühnen Fliegern eine gesunde Heimkehr. Die Hörer werden nötigenfalls daran erinnert, die Antenne zu erden.“

      Loie blieb liegen mit den Empfindungen eines Menschen, der vom Kirchhof zurückgekommen ist. Sie sagte sich hundertmal, dass dort unten der Sommer sein Licht verstreute. Sie wiederholte sich, dass sie Hutton Price nicht liebte. Sie hätte aber auch seine Werbung ruhig annehmen sollen; unter den Gecken und Geschäftemachern, die sich um sie drängten, fand sie keinen, der ihr lieber war.

      Der Tag schlich hin. Spät am Abend berichtete der Rundfunk, der „Eisvogel“ habe die Arktis erreicht und schwebe über dem ewigen Eise, an Bord sei alles wohl. Einige Abendzeitungen, die keine Inserate von der OAW erhalten hatten, benörgelten den Tamtam, der um diesen harmlosen Spazierflug gemacht wurde.

      Loie fühlte sich am Morgen des folgenden Tages viel besser, sie stand auf und versuchte gegen Mittag eine Verbindung mit dem „Eisvogel“ zu erhalten. Die OAW hatte, um magnetische Störungen zu verhindern, in der Buen-Suceso-Bucht eine Funkanlage errichtet — doch obwohl Loie von dort aus bedient wurde, misslang die Verständigung. Es wurde ihr aber versichert, der Schweber funke allstündlich seinen Standort.

      Durchs Gewölk bahnten sich zuweilen die müden Strahlen der Novembersonne einen Weg. Das junge Mädchen trank mit Fräulein Spring, der Gesellschafterin, im Wintergarten den Tee. Dann kam ihr Onkel Edward, schob seinen kahlen Eulenschädel herein und zerbröckelte ein wenig Gebäck in seine Tasse. Loie besass zwei Drittel der Anteile an der Lux-Mtschj., und da sie dem „alten Kolkraben“ nicht übermässig traute, so legte sie Wert auf gelegentliche Geschäftsberichte. Und da sie zu unruhig war, um den Abend müssig zu vertreiben, so fuhr sie im geschlossenen Wagen mit Fräulein Spring zur Oper nach Amsterdam.

      Als sie das Theater verliessen, gellten Ausruferstimmen über den weiten Platz. „Extrablatt! Extrabladet!“ Die herausströmende Menge ballte sich zu Klumpen. „Wettersturz über der Antarktis!“ Loie riss das Fenster herab, durch das die nasse Herbstluft ins Innere des Wagens wirbelte, zerrte aus ihrem Täschchen


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