Luftpiraten. Walter Julius Bloem

Luftpiraten - Walter Julius Bloem


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Gastverkehr machten. Seit dem grossen Morden in der Pazifikschlacht, also seit einem knappen Jahrzehnt, hatten sich keine Flugzeugkatastrophen mehr ereignet, nun bekam das Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieses an Geschwindigkeit alles überragenden Verkehrsmittels plötzlich einen argen Stoss. Auf den wenigen noch vorhandenen Passagier „dampfern“ gab es in den nächsten Monaten kein Mauseloch, das nicht zu einer Kabine hergerichtet worden wäre, aber auf den Überseeschwebern herrschte eine beträchtliche Leere.

      Die ganze Wut der Volksmeinung, genannt Presse, richtete sich gegen Riccardo Pasquali, den Oberst, der den ersten Non-stop-round ausgeführt hatte. Das Direktorium der OAW rief: „Haltet den Dieb!“ und bezichtigte ihn öffentlich, er habe dies verfehlte Unternehmen aus Ehrgeiz und Abenteuerdrang ausgedacht und mangelhaft vorbereitet. In Wirklichkeit hatten die Geldmacher ein Geschäft mit Südpolflügen gewittert — und, wie so etwas zustandekommt: ein behagliches Essen im Aero-Club, angeregte Unterhaltung bei guter Zigarre, „— das sollten Sie mal einfädeln, Oberst, ihr Flieger beschwert euch doch immer, es sei nichts mehr los auf der Welt, alles mechanisiert und so weiter, machen Sie das doch mal!“ Das Scherbengericht stürzte den Allzubeliebten.

      Pasquali verteidigte sich nicht, er kündigte seinen Dienst, gab der Stadt New York die herrliche Villa mit Dank zurück, die ihm nach der Luftschlacht gestiftet worden war, und erwarb eine Insel vor dem Strand von Maryland. Dort erbaute er sich ein hübsches Haus, über dessen Eingang ein klassisches, aber nicht ganz stubenreines Zitat zu lesen stand. Der vergessene Mann beschäftigte sich hier mit der Aufzucht von Doggen und wartete im übrigen der Dinge, die da kommen sollten. Nur die kleinen Tänzerinnen von New York blieben ihm treu, immer waren drei oder vier bei dem Vielgeliebten zu Gast, sie brachten ihm neidlos und ohne Eifersucht ihre schönsten Freundinnen, sie kamen lachend zu ihm auf Urlaub und schieden unter tausend Tränen, meist musste Pasquali sie mit sanfter Gewalt hinauswerfen, damit sie nicht kontraktbrüchig wurden.

      Die Erregung, die der so unglücklich verlaufene Südpolflug, der den Tod von acht ausgesucht tüchtigen Menschen und die Gefährdung vieler anderer hervorgerufen hatte, war aber nur ein schwaches Vorspiel zur Wirkung einiger rätselhafter Vorkommnisse, die das kommende Jahr beherrschten. Vom Weltmeer, genauer gesagt, vom Atlantik, verschwanden nämlich mehrere Frachtdampfer, sie wurden überfällig und kein Mensch sah oder hörte je wieder etwas von ihnen. Aber erst als das vierte Schiff, ein kanadischer Getreidefahrer, ebenfalls von der Bildfläche verschwand, begann die Öffentlichkeit, aufmerksam zu werden. Schiffe, spurlos verschwunden? Ja, wie, heute hat doch jede morsche Fähre eine Funkeinrichtung? Und herrschten denn so schreckliche Stürme? Gar nicht, durchaus nicht. In zwei oder drei Fällen fand man Trümmer im Ozean, hier eine Planke, dort einen Rettungsring, jedenfalls genug, um die schlimmste Befürchtung bestätigt zu sehen.

      Die Lux-Seeversicherung in Amsterdam musste bedenkliche Schadensummen zahlen, sofort gingen sämtliche Prämien sprunghaft in die Höhe.

      Da kam schon wieder so eine erstaunliche Nachricht, diesmal betraf sie einen dänischen Viehtransporter, der riesige Mengen lebendes Zuchtvieh nach Nordamerika brachte.

      Diese merkwürdigen Vorgänge verdrängten den „Eisvogel“ und das Schicksal seiner unglücklichen Besatzung aus den Zeitungsspalten. Die Welt vergisst schnell.

      Tief entmutigt kehrte Loie im Mai nach Haarlem zurück. Sie hatte die Abgestürzten der Hilfsexpedition gepflegt und bemuttert, wobei es nicht ohne geknickte Männerherzen abging. Mit ihren Pfleglingen war für den Sommer ein Stelldichein verabredet, alle sollten im Juli nach Holland kommen und auf der Segeljacht „Lux“ in Loies Begleitung eine halbjährige Seereise ausführen.

      Loie betrat das grosse Haus am Leidscheplein, das der Lux-Versicherung gehörte. Der gute alte Onkel Edward sass verdrossen hinter seinem Schreibtisch und kläffte jeden, der da hereinkam, wie eine Bulldogge an. Mit einer Ausnahme waren die im Atlantik verschwundenen Schiffe mit Ladung und Besatzung bei ihm versichert, in den vergangenen Wochen hatte er dreissig Millionen Gulden auszahlen müssen, über Forderungen in fast der gleichen Höhe wurde teuer prozessiert. Solche Summen bar aus der Westentasche — wenn diese Ereignisse mit den rätselhaften Höllenmaschinen im gleichen Tempo weitergingen, so musste auch die bestgestellte Versicherungsgesellschaft in Schwierigkeiten geraten. „Hast du irgendeinen Verdacht, Onkel Edward, von welcher Seite diese fürchterlichen Anschläge ausgehen könnten? Meine Freunde glauben, die Russen seien die Urheber.“

      „Alles Unsinn. Wenn es kein solch blödsinniger Gedanke wäre, so möchte ich eher glauben, die OAW zettelt die Schiffskatastrophen an. Jetzt wagt natürlich kein Mensch mehr eine Überfahrt mit den Dampfern, und die Schweber machen wieder gute Geschäfte, besser als je.“

      „Aber tut man denn gar nichts gegen die Verbrecher?“ Loie erfuhr, dass seit Wochen jedes Schiff in den Atlantikhäfen vor jeder Überfahrt bis in den verschwiegensten Winkel hinein durchsucht und erst dann zur Ausreise freigegeben werde. „Mit dem Erfolg“, fuhr Edward Lux zornig fort, „dass seit vorgestern wieder so ein Kahn spurlos überfällig ist, den die Hafenpolizei in Tampico beinahe geröntgt hat, bevor sie ihn ausreisen liess. Natürlich ist ein kleiner Dynamitkoffer leicht durchzuschmuggeln —“

      Edward Lux hatte also wirklich Ursache, sich Sorgen zu machen. Er war etwas über fünfzig, kannte keinerlei Lebensgenüsse als den einzigen, das Vermögen seiner Gesellschaft zu immer höheren Ziffern anschwellen zu lassen. Die Lux-Mschpj. war nicht beliebt bei den Versicherten, fast immer musste im Schadensfall prozessiert werden, ehe die Geschädigten auch nur einen Heller erhielten. Loies Vater und sein Bruder Edward hatten durch schonungsloses Unterbieten und Aufkaufen zahlreiche Wettbewerber totgedrückt, und die Lux-Gesellschaft nahm eine Monopolstellung ein, sie kutschierte jedenfalls den wohlorganisierten Trustwagen. Nach dem Tode seines Bruders hatte Edward alles mögliche versucht, die ganze Macht an sich zu reissen und Loie aus dem Geschäft herauszudrängen. Er musste befürchten, dass sie in irgendeinem ihrer müssigen Flirts hängenblieb, dann konnte der tatendurstige Jüngling, der dazugehörte, Einfluss auf die Geschäftsleitung verlangen, es war nicht auszudenken!

      „Siehst du, Loie, nun geht es wirklich abwärts mit uns. Ich meine es gut mit dir, wir stehen unmittelbar vor dem Bankerott. Heute noch kann ich dir deine Anteile abkaufen, natürlich sind sie nicht mehr soviel wert, sagen wir: achtzig Millionen Gulden, was brauchst du mehr? Überlege dir das, morgen kann es zu spät sein.“

      Loie verzog spöttisch den schmalen Mund. „Oh, ich werde dich in solcher bedrängten Lage natürlich nicht im Stich lassen. Wenn wir zugrunde gehen, dann gehöre ich an deine Seite.“

      „Darf ich das dahin verstehen, Loie, dass du auf meinen wiederholt gemachten Antrag zurückkommen willst?“ Edward musterte sie vom kurzgeschnittenen Kopf bis zu den schlanken Beinen. Sie galt ihm gar nichts, er wusste mit diesen Puppen nichts anzufangen. Er schrieb sich selber eine Eunuchenseele zu, die aus Machtgier und aus Geiz bestand.

      Seine Detektive suchten mit Schwebern den weiten Atlantik ab auf der Strecke, die von den zur Zeit überfälligen Dampfern gefahren war. Gerade in der Stunde, als Loie bei ihrem Onkel weilte, traf die neue Hiobspost ein, dass soeben im Ozean treibende Trümmer des seit vorgestern verschollenen Frachtdampfers aufgefunden waren. Onkel Edward schnappte nach Luft und setzte tiefgebeugt eine neue siebenstellige Ziffer auf die Verlustliste.

      „Nochmals, Loie: ich rate dir gut, berücksichtige mein Angebot, du bekommst fünfzig Millionen Gulden bar sofort, morgen wird dir keine Katze noch etwas für deine Anteile geben.“

      Aber sie lehnte ab, nachdem sie höhnisch Aufklärung über die bereits erfolgte hundertprozentige Erhöhung der Prämiensätze erhalten hatte. „Also, wie gesagt, lieber Onkel Edward: wir werden gemeinsam zugrunde gehen, Arm in Arm ins Elend! Was für Fracht fuhren die untergegangenen Dampfer?“

      „Von den verlorenen Dampfern, ausnahmslos Mehrtausendtonner, hatte ein Engländer eine Ladung Landvermessungsgeräte, Waffen, Marinemunition, landwirtschaftliche Geräte und Stückgut für Mexiko; von dem dänischen Viehtransporter fand man nicht einmal Trümmer oder ertrunkenes Vieh; ein kanadischer Dampfer mit Saatgut und Konserven, ebenso ein Portugiese; einer der ersten Verluste betraf ein deutsches Schiff, das mit sechzig Flugzeugen von jeder Grösse und Art nach Brasilien unterwegs war.“

      „Sonderbar


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