Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2. Inger Gammelgaard Madsen
vor Angst und träumte von der Moorfrau, die kam und ihn holte. Schließlich brach er zusammen und erzählte seiner Mutter von dem schrecklichen Fund.«
Kurt schüttelte den Kopf. »Die Armen. Aber so ist das halt. Das Verbotene ist immer das Spannendste.«
»Kann die Neugier auch unser Opfer gereizt haben? Oder was hat sie im Moor gemacht?«, seufzte Roland.
Leander war wieder beschäftigt. Er war dabei, mit einer langen Pinzette etwas aus der Bruchstelle im Schädel zu holen. Trotz neuer Technologie waren Pinzette, Schere und Messer nach wie vor die wichtigsten Werkzeuge des Rechtsmediziners.
»Ich hoffe, sie wird schnell identifiziert«, murmelte er abwesend, während er langsam den Gegenstand hervorzog und die Pinzette ins scharfe, kalte Licht hielt. Alle rückten ein bisschen näher und kniffen die Augen über den Nasenmasken zusammen, um besser sehen zu können. »Was ist das?«, fragte sein Assistent ungeduldig; auch er hatte es aufgegeben zu raten.
Roland beugte sich über Leanders Schulter und kam dichter heran. »Ist das Holz?«
»Ein spitzes, geschliffenes Stück Holz. Sehr hartes Holz. Es steckte gut verborgen im Schädel. Vielleicht ein Stück der Mordwaffe«, antwortete Leander. Steen Dahls Blitzlicht blendete sie für einen kurzen Moment. Henry Leander legte das Holzstück in ein Tütchen und reichte es Gert Schmidt, dem Leiter der Kriminaltechnischen Abteilung, der ungewöhnlich still war, sich aber nun mit seiner lauten Stimme bedankte und versprach, sich der Sache so schnell wie möglich anzunehmen.
Sobald er das Rechtsmedizinische Gebäude verlassen hatte, suchte Roland eine Zigarettenschachtel in der Tasche. Seit über einem Jahr war es wegen des Nichtraucherschutzgesetzes verboten, im Polizeipräsidium zu rauchen. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, wenn er wie jetzt eine Zigarette dringend nötig hatte. Aber seine Hand stieß nur auf ein Päckchen Nikotinkaugummi.
3
Nicolaj, der neue Praktikant, der gerade eingestellt worden war, klickte mit einem Kugelschreiber, Britt machte Blasen mit ihrem Kaugummi und ließ sie mit einem provokanten Knall zerplatzen, gleichzeitig spielte ihr Transistorradio lauter als normal. Mads Dams Stuhl war leer, er war irgendwo draußen – wo, wusste niemand. Höchstwahrscheinlich saß er in einer Kneipe ohne Rauchverbot mitten in der Stadt. Die Redaktion war spürbar davon geprägt, dass der Redakteur Ivan Thygesen sich krankgemeldet hatte und alle »Ist die Katze aus dem Haus ...« spielten.
Obwohl Anne auch das befreiende Gefühl im Körper spürte, Thygesens stechende Schweinsäuglein in dem rotwangigen Gesicht auf der anderen Seite der Glasscheibe, die die Redaktion von ihrem kleinen, stickigen Büro abtrennte, nicht sehen zu müssen, drangen alle Geräusche in ihr Nervensystem und hinderten sie am Denken. Sie hatte mehrfach ihren Kontakt im Präsidium angerufen, um etwas über die Moorleiche zu erfahren. Aber niemand wollte ihr etwas mitteilen, daher musste sie schön auf die Pressekonferenz warten. Ihr Ärger wuchs stetig. Dieses Mal hatte sie die Auskünfte über den Fund im Moor nicht vor allen anderen Journalisten bekommen. Ihr Informant, der über eine illegale Ausrüstung zum Abhören des Polizeifunks verfügte, war im Frühjahr verhaftet und wegen Haschbesitz verurteilt worden. Glücklicherweise hatte weder er noch sie ihre Zusammenarbeit erwähnt. Mit Hasch hatte sie nichts mehr zu tun. Alle Verbindungen zu ihrer Nørrebro-Clique waren gekappt. In den zwei Jahren, die sie in Aarhus wohnte, hatte sie mit keinem von ihnen gesprochen. Interessierte sich auch überhaupt nicht mehr für ihre Aktionen, die meist pöbelhafter Vandalismus waren. Aber alles hatte sie noch nicht abgelegt; der Nørrebro-Dialekt schien deutlich durch, als sie knurrend um etwas Ruhe bat und sich erhob, um Kaffee zu holen. Britt ließ noch eine Kaugummiblase platzen und sah sie verärgert an.
»Na, hier haben wir vielleicht die weibliche Ausgabe von Ivan dem Schrecklichen«, meinte sie trocken. Der Praktikant lachte. Er spielte mit ein paar Bildern in Photoshop, in dem er nach eigener Aussage Experte war. Sie bemerkte flüchtig, dass er nicht wesentlich weiter damit gekommen war, die schlechten Fotos von einem der Spiele des AGF zu retuschieren, über das Mads Dam, der Sportverantwortliche der Redaktion, gerade schrieb – wenn er nicht gerade in der Kneipe saß. Aber wenn man verträumt aus dem Fenster schauen und mit dem Kugelschreiber klicken musste, war es ja auch nicht so leicht, das Ganze zu schaffen. Säße Kamilla, die Fotografin der Redaktion, an den Bildern, wären sie schon längst fertig retuschiert. Kamilla war seit Anfang des Jahres fest angestellt, nachdem sie viele Jahre als Freelancer gearbeitet hatte. Aber heute hatte sie frei. Das hatte bestimmt etwas damit zu tun, dass ihre Mutter im Krankenhaus lag. Als ob Kamilla nicht schon genug um die Ohren hätte.
»Bist du mit deiner Moorleichen-Sache ins Stocken geraten?«, erkundigte sich Britt mit ein bisschen mehr Anteilnahme, nachdem sie sich mit einem Plastikbecher lauwarmen Kaffees wieder an den Computer gesetzt hatte. Sie drehte die Musik ein bisschen leiser, und Anne genoss es, dass es ihr geglückt war, sich in der Redaktion ein wenig Respekt zu verschaffen. Sie hatten ihr hitziges Temperament oft genug erlebt. Oder vielleicht lag es auch an ihrer Vergangenheit, die mittlerweile alle kannten. Vielleicht war es mehr Angst als Respekt.
»So ’ne Moorleiche ist schon geil. Mein Onkel ist verrückt nach Vögeln und Mitglied des Dänischen Ornithologischen Vereins, wo er Beobachter ist. Verdammt, er zählt die – die Vögel! Bestimmt hat er oft am Ufer vom Moor mit einem Fernglas auf der Lauer gelegen, ohne zu wissen, dass eine alte, verrottete Leiche direkt unter ihm lag«, sagte Nicolaj und grinste, bevor Anne antworten konnte. Sie sah ihn wütend an. Eigentlich war er ein ganz süßer Kerl mit frechen, grünen Augen, rot gelocktem Haar und Sommersprossen auf einer Haut, die genauso hell wie ihre eigene war. Trotzdem störte sie irgendetwas an ihm. Vielleicht nur, dass sie die Betreuung des Praktikanten übernehmen musste, weil Nicolaj sich am meisten für Kriminalthemen interessierte und er deshalb in dem halben Jahr, das er in der Redaktion angestellt war, ihr zugeteilt worden war. Sie sollte ihn coachen, anleiten und ihm einen Überblick über seine Stärken und Schwächen geben. Wenn er vorhatte, sich mit Verbrechen zu beschäftigen, sollte ihm das Geile an einer verrottenden Leiche möglichst schnell ausgetrieben werden.
»Ja, es ist ein bisschen schwer weiterzukommen, wenn keiner irgendetwas verraten will.« Sie trank einen Schluck Kaffee und ignorierte Nicolaj. »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es um einen Mord geht, der vor vielen Jahren begangen wurde. Wenn ich wüsste, um wie viele Jahre es geht, könnte ich nach alten Vermisstenanzeigen des betreffenden Jahres suchen, aber wie weit muss ich zurückgehen?«
Britt streckte sich, sodass ihre fülligen Brüste beinahe aus der allzu tief ausgeschnittenen Bluse quollen. Nicolaj erfasste das mit einem kurzen Blick, den er schnell und errötend abwandte. Sie lächelte hinter dem Bildschirm. Es war eine Neuerung, dass Thygesen endlich Mitarbeiter des anderen Geschlechts eingestellt hatte. Als sie in der Redaktion angefangen hatte, waren alle Journalisten Frauen gewesen und die reinsten babes – wie Britt –, aber als Bertha fertig ausgebildet war, bekam sie einen Job beim Extrablatt und war nach Kopenhagen gezogen. Tove war in den Mutterschaftsurlaub gegangen und nie mehr in die unsichere Zeitungsbranche zurückgekehrt. Ein neuer Auszubildender wurde nicht eingestellt. Für Tove wurde Mads Dam eingestellt, als jemand mit Gespür für Sport fehlte. Wie Thygesen auf die Idee kam, dass es von all den Qualifizierten auf Jobsuche ausgerechnet er sein sollte, hatte sie nie verstanden; es hatte bestimmt etwas damit zu tun, dass sie alte Freunde waren. Oder vielleicht war er schlicht und ergreifend der Einzige, der das Gehalt akzeptierte. Die Branche war unter Druck. Zeitungskriege hatten getobt, ohne dass es einen Sieger gegeben hatte, weitere Kriege würden zweifelsohne folgen. Zeitungskonzerne fusionierten und verdrängten die Kleinen, um den ganzen Markt für sich selbst zu haben – inklusive der lokalen Themen. Mehrfach hatte Ivan Thygesen sie darauf vorbereitet, dass die Redaktion vielleicht schließen müsste, aber das Tageblatt hielt noch stand, kräftig unterstützt von den Werbeeinnahmen vieler treuer Anzeigenkunden. Die Werbung überschattete fast den redaktionellen Stoff und wurde sogar manchmal in Zeiten ohne große Neuigkeiten als Titelseite benutzt.
»Vielleicht wurde die Moorleiche nicht vermisst und es wurde nie nach ihr gesucht«, schlug Britt vor, als sie sich fertig gestreckt und eine Zigarette aus der Packung geklopft hatte, obwohl sie sich in der Redaktion normalerweise an das Rauchverbot hielten. Sie gestikulierte, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, als