Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2. Inger Gammelgaard Madsen

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen


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an.

      Anne schüttelte den Kopf über sie. »Kann schon sein, dass es eine Person ist, die nicht vermisst wurde«, meinte sie. »Ich bin mir sicher, irgendwo bei einem alten Fall liegt eine Suchmeldung, die man nur ausgraben muss.« Das Klingeln des Telefons auf Thygesens Schreibtisch unterbrach sie. Alle sahen einander an.

      »Lass es einfach klingeln«, sagte Britt und nahm ihre Arbeit an der Tastatur wieder auf.

      »Das können wir aber verflixt noch mal nicht einfach. Vielleicht geht es um die Pressekonferenz im Polizeipräsidium. Die wissen doch nicht, dass Thygesen krankgemeldet ist, oder?« Anne stand auf und schüttelte erneut missbilligend den Kopf.

      In Thygesens Büro roch es immer noch nach Zigarren und alter Kneipe. Sie glaubte auch nicht, dass er sich die Zigarren verkniff, wenn er hier spät am Abend allein saß. Die Sonne schien durchs Fenster, das dringend mal geputzt werden müsste, und auf den verstaubten Rahmen. Das Reinigungspersonal war ebenfalls den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen, sodass sie nun selbst dafür verantwortlich waren, die Redaktion sauber zu halten. Sie warf einen Krug mit abgekauten Bleistiften und Reklamekulis um, als sie sich über den Schreibtisch beugte und den Hörer abhob. Hätten sie die Umstellung nach dem Blitzschlag letzten Sommer gemacht, hätte sie das Gespräch mit einem einzigen Tastendruck auf ihrem eigenen Telefon annehmen können.

      »Redakteur Thygesens Telefon«, meldete sie sich, während sie den Krug aufrichtete, die Bleistifte einsammelte und sie wieder hineinstellte. Durch die schmutzigen Fenster konnte man im diesigen Nebel gerade so am Horizont den Rathausturm ausmachen. Sie hörte ein leises Luftholen im Hörer.

      »Hallo, mit wem spreche ich?«, fragte sie und war versucht, wieder aufzulegen.

      »Mit wem spreche ich? Ich will nur mit dem Verantwortlichen vom Tageblatt reden!« Die Stimme klang so, als ob sich der Anrufer die Nase zuhielt oder Asthma hatte. Sie witterte die Stimmung von etwas Wichtigem.

      »Der verantwortliche Redakteur ist leider krank, kann ich Ihnen weiterhelfen? Ich bin Journalistin. Anne Larsen.«

      Langes Schweigen.

      »Sie haben über den Mord an dem Mädchen geschrieben. Das sie im Container gefunden haben, stimmt’s?«

      Jetzt war sie diejenige, die schwieg.

      »Ja, das war ich.«

      »Gut, Sie kann ich auch gut gebrauchen. Ich glaube, ich weiß etwas über die Leiche im Moor«, fuhr die Stimme fort. »Wenn meine Vermutung richtig ist, wird es noch weitere Morde geben.«

      4

      Roland hatte gerade nach einem Gespräch mit Gert Schmidt von der Kriminaltechnik aufgelegt, als der Kriminalbeamte Mikkel Jensen in sein Büro kam. »War das Gert?«, wollte er wissen, als ob er an der Tür gelauscht hätte.

      Roland nickte. »Das war ein Tipp bezüglich der Mordwaffe.« Er nahm die Coca-Cola entgegen, die Mikkel ihm aus der Kantine mitgebracht hatte. Sie hatten untereinander eine Vereinbarung in der Abteilung, etwas für die anderen mitzubringen, wenn sie ›außer Haus‹ oder in die Kantine gingen. Er warf seinen Kaugummi in den Papierkorb und trank einen Schluck von der Cola, die, vermischt mit dem Geschmack von Nicotinell mit Lakritz, merkwürdig schmeckte.

      Mikkel zog geräuschvoll einen Stuhl vor den Schreibtisch und setzte sich. Es war gegen drei Uhr nachmittags, und der Blutzucker war völlig im Keller. Roland sah ihn an, während er das erste rosafarbene schaumgummiähnliche Ding in den Mund steckte. Jeder hatte irgendwelche Laster. Seine waren italienischer Rotwein und Zigaretten. Mikkels’ waren diese Schaumdinger, obwohl sie überhaupt nicht zu seinem maskulinen Äußeren mit fast glatt rasiertem Schädel und einem jungen Gesicht mit kräftigen Kieferknochen passten. Extrastarkes Lakritz würde besser passen. Er überlegte, wann die Einnahme von Zucker an öffentlichen Stellen verboten werden würde, weil auch das ungesund war.

      »Schwarzes Ebenholz«, sagte er.

      »Wat?« Mikkel konnte seine echte Aarhuser Herkunft nicht verbergen.

      »Die Mordwaffe. Gert Schmidt sagt, das sei Ebenholz. Afrikanisches Ebenholz«, erklärte er geduldig.

      »Suchen wir nach einem Afrikaner?«, fragte Mikkel kauend mit einem naiven Gesichtsausdruck.

      »Wer weiß? Das Ebenholz ist von sehr guter Qualität und ausgezeichnet verarbeitet. Vielleicht ein Souvenir. Aber das kann natürlich sonst woher kommen.«

      »Afrikanische Souvenirs kann man auch hier kaufen. Im Netz zum Beispiel«, erklärte Mikkel.

      Roland hatte an ein paar PC-Kursen teilgenommen, aber den Computer für etwas anderes als seine Arbeit zu verwenden, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Mit den jungen Leuten war das etwas anderes, die benutzten den Computer und das Internet eigentlich für alles. Selbst seine Enkelin, Marianna, die gerade sieben geworden war, konnte Tastatur und Maus besser bedienen als er.

      »Ich glaube kaum, dass ein Mörder bewusst ins Netz geht und ein aus Ebenholz geschnitztes Souvenir kauft in der Absicht, es als Mordwaffe zu verwenden. Ich glaube, es ist wahrscheinlicher, dass es sich am Tatort befunden hat und am schnellsten und leichtesten greifbar war.«

      »Tja, aber eigentlich bin ich wegen der Suchmeldungen gekommen«, meinte Mikkel, der nicht dasitzen und sich über unbedeutende Dinge wie Souvenirs unterhalten wollte.

      »Wir haben in dem Zeitraum keine Vermissten, die nicht gefunden wurden – also in Aarhus. Aber ich habe im ganzen Land gesucht und es gab Resultate.« Mikkel sah ihn an, die hellen Augenbrauen erhoben, um ihm die Wichtigkeit des Ergebnisses zu demonstrieren.

      »Ja?« Roland schüttete ein neues Stück Kaugummi aus der Schachtel. »1983 wurde eine Frau aus Silkeborg als vermisst gemeldet. Sie wurde nie gefunden. Das könnte sie sein.«

      »Passt das Alter?«

      »Jep. Zweiunddreißig Jahre alt und Krankenpflegerin.«

      Roland nickte abwesend. Eine Frau aus Silkeborg. Aber warum sollte sie in einem Moor in Mundelstrup landen? Er rief im Rechtsmedizinischen Institut an, um zu hören, ob die Ergebnisse des Zahnmediziners vorlagen, aber das war noch nicht der Fall; genervt legte er auf.

      Mikkel erhob sich und warf die leere Süßigkeitentüte in Rolands Papierkorb. »Wann ist die Pressekonferenz? Die Journalisten belagern uns.«

      Roland runzelte die Stirn. Die Journalisten. Die Aasgeier, wie er sie nannte. Wie schwarze Schatten hingen sie über ihnen und lauerten auf Neuigkeiten, die die Verkaufszahlen ihrer bedrängten Zeitungen steigen ließen. Der Leichenfund im Moor war ganz sicher ein Ereignis, auf das sie sehnlichst gewartet hatten, und der Kampf darum, wer als Erstes die makabre Neuigkeit brachte, war eröffnet. Unwillkürlich dachte er an die Journalistin vom Tageblatt, mit der er vor ein paar Jahren während der Ermittlungen im Gitte-Mord gekämpft hatte. Widerwillig musste er einräumen, dass sie ein gutes Team gewesen waren, und dass sie ihm bei der Aufklärung ein ganzes Stück weitergeholfen hatte, gemeinsam mit der blonden Fotografin, an deren Namen er sich nicht mehr erinnerte. Die Journalistin hieß Anne Larsen, das wusste er noch und fragte sich kurz, ob sie wohl noch beim Tageblatt arbeitete. Falls sie das tat, würde es wohl nicht lange dauern, bis er sie an den Fersen kleben hatte.

      »Wir müssen bezüglich der Identität sicher sein, bevor wir an die Presse gehen.«

      »Sonst fangen die doch selbst an, sich was zusammenzureimen, und das kann, wie wir wissen, noch viel schlimmer sein.«

      Roland nickte und sah zur Tür, als sie aufgestoßen wurde und den Stuhl rammte, auf dem Mikkel saß. Der Platz in seinem Büro war nicht gerade überwältigend. Kurt Olsen, der Vizepolizeidirektor, stand in der Tür. Frisch rasiert und in einem sauberen Hemd. Er sah sehr viel besser aus als sonst. Es gab Gerüchte, er habe wieder mit seiner Frau zusammengefunden, aber was den Mann am meisten verändert hatte – die Rasur oder die Frau –, war nicht leicht zu beurteilen.

      »Wir halten spätestens am Nachmittag eine Pressekonferenz ab, das werden wir verdammt noch mal müssen«, informierte er sie kurz, so als ob auch er an der Tür gelauscht


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