Der Krummbacher und der Katzengusti. Karl Friedrich Kurz

Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz


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andern am Tisch schon mit dem zweiten Doppelliter.

      Eine ganze Weile war’s still gewesen zwischen ihnen. Sei es nun, dass die Hitze sie schläfrig machte, oder dass sie sich unter ihren tiefen Gedanken verlaufen hatten. Keiner sprach seit einer Viertelstunde. Höchstens dass sie ein oder das andere Mal nickten, oder tiefsinnig an den kurzen Zigarrenstummeln sogen.

      Der Ammann muss schliesslich die etwas lange Pause gefühlt haben, und weil er gleichzeitig fühlte, dass er seiner Herde, als ihr Hirt, vorangehen müsse, wenn diese irgendwo stecken blieb im Sumpf des Lebens, so überkam ihn der Gedanke, etwas zu tun. Da er in diesem Augenblicke gerade nichts zu sagen wusste, nahm er sein dickes Weinglas zwischen die knöchernen Finger und stiess, ohne dass er dabei die Hand vom Tische aufhob, mit dem Glase des Bläsi Barger, der früher auch einmal Ammann war, an. Der zog nun eine seiner Hände, die beide in den umfangreichen Hosentaschen vergraben lagen, über den Horizont herauf und sagte „Proscht“. Bevor er aber trank, schob er sein Weinglas schwer auf dem Tisch bis zum Weinglas des Beni Zwirn, des Schneiders, und stiess damit an. Nachdem nun auch dieser sein „Proscht“ gesagt, tranken sie sürfelnd den gelben Erlenheimer, den letztjährigen, der nicht übel war.

      Dass der Bläsi Barger mit dem Glase des Schneiders Zwirn anstiess, das hatte seine Bewandtnis. Der letztere wusste nämlich nicht nur mit der Nadelspisse recht flink umzugehen und zu stechen, sondern auch mit der Zungenspitze. Und da der Barger-Bläsi ausser einer grossen, roten, dicken Nase, auf deren Oberfläche tiefblaue Äderchen gleich einer fremdartigen Schrift herumliefen, keinerlei bemerkenswerte Eigenschaften an sich hatte, so fürchtete er sich etwas vor dem Schneider.

      Rein Zweifel, er hatte eine gewisse Überlegenheit über die andern, dieser Schneider Zwirn, denn er war mehr als zwei Jahre in der Fremde gewesen — wenn auch nur in einem kleinen Städtlein — und hatte dort gesehen, wie man sich ,,nobel“ aufführt. Seit er wieder zurück war im Dorf, brachte ihm der Postbote alle Wochen einmal ein Blättlein ins Haus. Der „Rote Genosse“ hiess es, und es standen allerlei merkwürdige Sachen darin. Aus diesem Blättlein mochte er wohl auch seine höhere Bildung geschöpft haben, welche die Bauern schon des öftern verblüffte. Dann hatte er noch eins an sich, was ihnen auffiel, und das war die verteufelt feine Art, mit der er sich zuweilen mit seiner weisslichen Hand den Schnurrbart von den Lippen emporstrich. Das war ja allerdings anders als bei ihnen, wo die Borsten in jeden Löffel Suppe hingen, den sie assen. Er war ein „Besonderer“, das wussten alle; aber keiner sagte es, weil keiner den Anfang machen wollte.

      Weil er besser rechnen und schreiben konnte als sie, hatten sie ihm, kaum dass er wieder in der Heimat war, das Portefeuille für das Frohnwesen anvertraut. Überdies gaben sie ihm den Gemeindebock, den weissen, stolzen Sahnerbock in Verwahrung, und selbst seine Feinde mussten es zugeben, dass er das schöne Tier in steter Bereitschaft für alle verliebten Ziegen und Zicklein des Dorfes hielt. Freilich, etwas hob dies ja sein Selbstgefühl schon; aber er wollte höher hinaus, viel höher. Er fühlte das Zeug dazu in sich.

      Dass der Barger-Bläsi mit ihm anstiess, nahm er als eine gerechte Ehrung hin, und trank wohlgefällig einen langen Zug, der ihm um so besser mundete, weil ihn der Krugwirt gab und er nicht deswegen in die Tasche greifen musste.

      Nachdem sie getrunken, stellten sie die Gläser wieder vor sich auf den Tisch und wischten mit den Handrücken über die Schnurrbärte. Der Ammann stöhnte laut und umständlich dabei, und der Schneider hüstelte.

      Es gab wieder eine Pause, bis der Zwirni-Schneider vom letzten Lauentaler Markt zu reden anhub. Und das brachte das Gespräch plötzlich in Fluss. Der Garzam-Juli begann gleich auf die Juden zu schimpfen; doch da fuhr ihm der Zwirn auch schon übers Maul und erklärte ihm fein, dass die Metzger noch schlimmer seien.

      „Die machen alle Jahr kleinere Würste, fürs Fleisch verlangen sie immer mehr; unsereiner kann sich ja kaum Sonntags noch eine gute Suppe kochen — aber fürs Vieh wollen sie nichts zahlen.“

      Das sagte der Schneider mit edler Begeisterung.

      Im „Gesprungenen Krug“ hatte man bislang nur immer auf die Juden geflucht, wenn der Lauentaler Markt schlecht gewesen; war er gut, dann hörte man nichts von ihnen. Ob das mit den Metzgern seine Richtigkeit habe, darüber liessen sie sich keine grauen Haare wachsen. Allein, dass der Zwirni eine eigene Meinung darüber hatte, das zeigte ihnen wieder aufs neue, dass er von ihnen verschieden war. Sie nickten alle so halb und halb Beifall — ihnen konnte es am Ende ja gleichgůltig sein, wer die Suppe ausfressen musste.

      Nur der Garzam-Juli sah düster und brummig vor sich nieder. Er war der Schlächter von Krummbach. Was der Schneider so im allgemeinen über seine Kaste gesagt, das hatte ihn ganz besonders getroffen. Er biss in schnellem Tempo die Zähne aufeinander, so dass an beiden Backen zwei kleine Wülste entstanden und verschwanden. Und während er auf dem nassen Ring, den das Weinglas auf den Tisch vor ihm gezeichnet, stierte, stieg ein tiefer Hass gegen den Schneider in ihm auf. Schon früher hatten sich die beiden nie leiden mögen.

      Der Zwirn hatte dem Seelenzustand des Garzam-Juli keine Beachtung geschenkt, und war, da er nun einmal das Gespräch führte, behende von einem Ding aufs andere übergesprungen. Nach kurzem kam er auf die Nachbargemeinden. Bei dieser Gelegenheit zeigte er den andern in kräftigen Worten, dass dort manches anders und besser sei als in Krummbach.

      In nicht geringem Erstaunen hatten alle aufgehorcht. Sogar des Krugwirts Tochter, die Leni, stand hinten bei den Schoppengläsern und rührte sich kaum mehr. Nun wird’s gleich was absetzen — dachte sie im stillen —, denn der Vater und die Gemeinderäte lassen sich das, beim Eid, nicht gefallen.

      Lange kam nichts. Sie starrten in grösster Verblüffung auf den Schneider.

      Plötzlich aber schrie der Garzam-Juli mit böser, rauher Stimme:

      „Das ist alles Laferei, Zwirni-Schneider! Bei denen dort ist auch nicht alles gülden, was funkeln tut.“

      Da gab sich der Schneider einen Ruck und schrie nicht minder böse und rauh:

      „Ja, selb glaub’ ich schon! Dir tut’s halt gefallen, wenn da alles bleibt, wie’s bei den Grossvätern war! Da ist der Rahm leichter von der Milch zu schöpfen. Aber ich kann dir sagen, auch bei uns oben kann’s nicht mehr lang so bleiben. Alle unsere Nachbarn gehn mit der Zeit. Nur wir hocken wie die Sau am Trog, schauen nicht darüber hinaus und schauen uns nicht um in der Welt. Not tät’s, meiner Seel, dass auch wir uns einmal rühren!“

      Von jener Stunde an waren die zwei, der Garzam-Juli und der Zwirni-Schneider, Todfeinde.

      Und die andern spitzten, als sie die Rede des Schneiders vernahmen, doch gar wunderlich die Ohren. Sie witterten irgend etwas hinter seinen Worten — irgend etwas, von dem sie noch nicht wussten, ob’s gut für sie war oder übel. Und merkwürdig war’s, sie nickten mit den Köpfen. Einige machten dazu noch leise, wie für sich selbst, „Jo — jo“. Nur der Ammann sah den Schneider mit seinen hungrigen Augen an, forschend und lauernd. Aber der blieb ruhig. Er strich sich den Schnurrbart in die Höhe und hielt den Blick aus. Und da nun der Ammann merkte, dass der Schneider keinen besondern Respekt vor ihm hatte, drehte er selbst langsam die Augen weg, dabei trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte.

      Sie gingen dann bald auseinander. Jedoch des Schneiders Worte hatten sie um ein klein wenig aus ihrer Zufriedenheit aufgerüttelt. Er könne doch am Ende recht haben, dachte da einer und dort einer, und begann im geheimen Vergleiche anzustellen. Freilich viel kam dabei nicht heraus, denn das Nachdenken war nie die starke Seite der Krummbacher gewesen.

      Seit diesem Tage aber merkte der Schneider Zwirn, dass seine Saat zu keimen begann.

      Er ging nun öfters, wenn zwei oder drei auf der Strasse zusammen standen oder am Wirtstisch beieinander sassen, hinzu, und begann ganz sachte von dem oder jenem Übelstand in der Gemeinde zu sprechen.

      Der Unzufriedenen gab es auch in Krummbach genug. Und an diese richtete sich der Schneider Zwirn am liebsten. Natürlich gab er ihnen recht und unterliess es nie hinzuzufügen, dass er schon dafür sorgen würde, dass dies und jenes besser werde, wenn er etwas zu sagen hätte in der Gemeinde.

      Manchen gewann er so für sich.

      Als


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