Der Krummbacher und der Katzengusti. Karl Friedrich Kurz

Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz


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— ein paar mögen auch darunter gewesen sein, doch das hat nichts zu sagen — sich vom Brunnen weg in die drei Wirtschaften des Dorfes zerstreuten. Dort sassen sie, hielten sich mit den Ellbogen an den Tischen fest und drehten die Sache mit dem Brunnen um und um. Von unten und von oben ward sie beleuchtet, und fast schien es, als ob kein einzig dunkles Flecklein daran zu finden sei.

      Doch so beim dritten oder vierten Schoppen herum mochte es sein, als der Garzam-Juli ganz unvermutet eine kleine Trübung in die bisher so heiteren Gemüter brachte.

      Ihm fiel nämlich, ganz urplötzlich und ohne dass er selbst wusste warum, ein, dass der Kreis, den der Gusti gezeichnet, mitten auf der Strasse lag; und die war dort nicht sehr breit. Es stand fest, dass, wenn einmal der Brunnen dort war, kein Fuhrwerk durchkommen konnte.

      Als ihm dies einfiel, freute sich der Garzam-Juli im stillen, nicht nur der Entdeckung wegen, sondern auch darum, weil dies alles in der ganzen Zeit noch keinem andern eingefallen war. Im nächsten Augenblicke schon platzte er damit in die schäumende Freude, und alle schwiegen betroffen und betreten still. Den tiefsten Stich ins Herz gab’s dem Schneider Zwirn. Der liess den Unterkiefer hängen, als wäre plötzlich das Scharnier darin gebrochen, und stierte mit grossen, runden Augen auf den Garzam-Juli. Er sah in diesem Augenblicke viel weniger imponierend und würdevoll aus, als zwei Stunden zuvor am Brunnen. Da fühlte er’s mit wehem Druck, dass sein Weg zur Höhe schon eine kleine Krümmung machen wollte. Es schien eben auch ihm nicht vergönnt, so ohne weiteres die Regionen des Ruhms zu erklimmen.

      Doch mit seiner ihm angeborenen Beweglichkeit fasste er sich schon wieder nach wenigen Minuten, eine gute Weile, ehe die andern sich von ihrem Schrecken erholten. Er suchte mit einer Anstrengung, die ihm den Schweiss in dicken Tropfen auf die Stirne trieb, nach einem Ausweg aus dieser Klemme. Und mit einem Male flog ein frohlockendes Lächeln über sein Gesicht. Er hatte ihn gefunden, den Ausweg! Doch sagte er vorläufig nur:

      „Du, Juli, denkst du, ich hab’ das nit auch gewusst, dass die Strass’ dort eng ist? Meiner Seel’, das hab’ ich auch gewusst.“

      Ale sahen nun abwechselnd auf den einen und den andern. Der Garzam-Juli hatte sich aufgeblasen wie ein Frosch und hielt mit seinen roten Händen den Stuhl, auf dem er sass, fest umklammert. Aber der Schneider strich höhnisch lächelnd seinen Schnurrbart in die Höhe. Und als er gar erst von seinem Stuhl aufstand, um in innerer Erregung ein paarmal auf und ab zu gehen in der raucherfüllten Schankstube, da schauten sie ihn mit masslosem Staunen an. Es war seltsam, welche Gewalt der Schneider in so kurzer Zeit über die sonst recht zugeknöpften und misstrauischen Bauern gewonnen hatte. Sie hätten wohl sicherlich alle von ihm geglaubt, er sei ein Genie — wenn sie gewusst hätten, was das ist.

      Als der Schneider wieder bei seinem Stuhle angekommen, liess er sich darauf nieder, dass es krachte. Dann sagte er:

      „Du, Juli, du musst nicht glauben, dass ich das nit gewusst hab’, wegen der Strass’. Ja, du, wie du so dahockst, du glaubst wohl, dass müss’ jetzt so ganz unmöglich sein, dem abzuhelfen. Nein, du wüsstest sicher nicht, wie — aber ich weiss es.“

      Sich an alle wendend, fuhr er fort:

      „Zwar kann ich euch das jetzt nicht sagen, weil das Sach’ vom Gemeinderat ist; aber ihr werdet’s ja bald erfahren.“

      Diese Geheimtuerei machte einen gewaltigen Eindruck, so dass mehr als einer sich hinter den Ohren zu kratzen oder an der Nase zu reiben begann — alles Handlungen, die sie sonst nur verrichteten, wenn der Herr Pfarrer oder sonst eine wichtige Persönlichkeit mit ihnen redete. Dem Schneider entging dies nicht, und darum schwoll ihm auch der Kamm mächtig an.

      Dem Garzam-Juli, den eine sinnlose Wut brandrot färbte, wandte er verächtlich den Rücken. Der bezeigte zwar nicht übel Lust, seinem Widerpart auf den Leib zu rücken. Aber er musste zu seinem Leidwesen die Wahrnehmung machen, dass er allein war mit seiner Abneigung gegen den Brunnen und seinem Hass gegen den Schneider, und dass er es mit mehr als einem zu tun bekäme, wenn er „anfinge“.

      Dieserhalb fing er nicht an. Er erhob sich und ging mit polternden Schritten der Tür zu. Dort blieb er noch einmal stehen und brüllte:

      „Horchet nur auf ihn, auf den Schneiderbock, den verdammten, und folget ihm, der führet euch alle miteinand in den Dreck!“

      Weiter kam er nicht, obschon er offenbar viel mehr hatte sagen wollen, denn schon flogen die Schoppengläser, und ein böses Rumoren erhob sich. Was den Garzam-Juli veranlasste, die Tür schleunigst ins Schloss zu schlagen und zu gehen.

      Dies alles spielte sich im „Gesprungenen Krug“ ab. Jedoch in ganz ähnlicher Weise freuten sich die Bauern in den beiden andern Wirtschaften, mit dem Unterschiede nur, dass es dort niemandem eingefallen, der Brunnen könne die Strasse versperren. Aber nicht lange war dieser Schatten im „Gesprungenen Krug“ aufgetaucht, bis er sich auch auf die beiden andern Schankstuben weiterpflanzte.

      Es drückten sich nämlich sogleich nach der neuen Wendung der Dinge einige heimlich aus dem „Kruge“ fort, um ja die ersten zu sein, die es im „Kreuz“ und in der „Krone“ berichten konnten. Dann herrschte auch an diesen beiden Orten Verblüffung und anhaltendes, peinliches Schweigen.

      Nicht anders wusste man sich zu helfen, als dass man eine dringliche Gemeinderatsversammlung auf den nächsten Tag einberief, zum Zwecke, den Brunnen aus der Enge zu bringen.

      Und in jener Sitzung soll’s heiss zugegangen sein. Wurden doch ganz ausserordentliche Vorschläge gemacht und beispiellose Beschlüsse gefasst. Nach der Sitzung schüttelten darum auch einige Bürger bedenklich die Köpfe, sowie sie davon hörten, dass ein Haus und ein Häuslein und zudem noch zwei Scheunen gegenüber vom „Gesprungenen Krug“ abgebrochen werden sollten, um die Strasse, die dem Brunnen weichen musste, darüber zu leiten.

      Nun aber stand dem Brunnen nichts mehr im Wege.

      Die längsten Hebel wurden angesetzt, und Schaufel und Pickel dazu. Von den ehrwürdigen alten Scheunen, die schon so manches Donnerwetter glücklich überlebt hatten, sausten die Ziegel mit unheimlicher Eile auf den Erdboden nieder, so, dass sie nach wenigen Tagen schon aussahen, wie geschlachtete Tiere, welchen man das Fell abgezogen.

      Die Fremden, die dann an den nächsten Sonntagen durchs Dorf kamen, blieben stehen und fragten, mit Bedauern in Stimme und Miene, ob’s da gebrannt habe.

      Aber es wurde ihnen nur stets die tröstliche Antwort:

      „Nein, wir graben jetzt einen grossen, tiefen Brunnen; es wird jetzt bald anders zu Krummbach, als es gewesen.“

      III

      In der Umgebung von Rosenach, Erlenheim und Krummbach und viel weiter noch war der Katzengusti eine gewissermassen berühmte Persönlichkeit. Jung und alt kannte ihn, sogar die Behörden, die im gewöhnlichen Leben sonst sehr zurückgezogen sind und sich um andere Leute nicht viel bekümmern, schenkten ihm bisweilen ihre Aufmerksamkeit. Woher sein sonderbar klingender Name kam, denn von seinen Eltern und vom Pfarrer hatte er gewiss einen andern erhalten, das wusste eigentlich niemand. Schon die ältesten Grossväter hatten ihn unter diesem Namen gekannt, die Jungen hatten ihn von ihnen übernommen, ohne dass sich je einer gefragt hätte, welche Bewandtnis es damit habe.

      Vor vielen Jahren — so erzählten die Bauern — war er als blutjunger Bursch in die Gegend gekommen; und war schon damals der richtige Teufelskerl gewesen. Er konnte alles und wusste überal Bescheid. Er flocht neue Körbe und flickte die alten, schabte am Sonnabend den Bauern die Bärte, wenn eine Kuh in Geburtsnöten lag, holten sie ihn, und wenn eine der wenigen Uhren, die in Krummbach hingen, nicht mehr mit der Zeit gehen wollten, musste er auch da helfen. Er wurde der Gemeinde schliesslich für ihr irdisches Dasein ebenso unentbehrlich wie der Herr Pfarrer für das Heil ihrer Seelen.

      Er verliebte sich nach einem Jahr oder so in des Hansjakobs „Kleine“, die mit ihrer Mutter in einem ärmlichen Häuschen gegenüber vom „Gesprungenen Krug“ wohnte. Weder die Mutter noch ihre sonstigen Verwandten sahen dies gerne. Der Katzengusti schien allen ein gar zu flücker Geselle. Doch wie sich dies gewöhnlich so begibt, entflammte der Widerstand nur noch mehr sein zartes Sehnen. Und als die Mutter eines Tages


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