Der Krummbacher und der Katzengusti. Karl Friedrich Kurz

Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz


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      Im Rathaus zu Krummbach war Gemeindeversammlung. Dieses Rathaus diente zwar zu gewöhnlichen Zeiten als Schulhaus.

      Der Ammann und die Gemeinderäte waren schon alle erschienen und legten ihre Gesichter in ernste und wichtige Falten — das mochte wohl von den Sorgen und Mühen herkommen, welche das Regierungsgeschäft mit sich bringt.

      Die letzten, welche kamen, waren der Barger-Bläsi und der Schneider Zwirn. Der erstere hatte, wie üblich, vorher noch einen Schoppen getrunken — vielleicht waren es auch zwei —, so dass er die rechte Zeit verpasste. Der zweite aber kam zu spät, weil er glaubte, es mache sich vornehmer.

      Vor der Treppe trafen sie sich. Der Barger schnäuzte da recht umständlich und gründlich die Nase, dass es weithin klang wie ein Trompetenstoss. Darauf fuhr er sich mit dem braunen Handrücken über den Schnurrbart. Auch der Schneider Zwirn schnäuzte die Nase, um sich wie sein Kollege solcherweise auf die Sitzung vorzubereiten. Doch nahm er zum Abtrocknen sein schönes blauund rotkariertes Nastuch, damit der Barger eine richtige Meinung von ihm bekäme.

      Als sie alle vereint drinnen in der Schulstube sassen, sagte der Ammann:

      „Wir sind da beieinand, ihr Mannen, um über eine wichtige Frag zu beraten, welche der Zwirni-Schneider hat.“

      Darauf schwieg der Ammann. Der Zwirn, der glaubte, seine Zeit sei gekommen, zog die Luft recht tief ein und sprach folgendermassen:

      „Ihr wüsst so gut wie ich, ihr Mannen, dass wir allezeit, wenn’s eine Woche nicht zum regnen kommt, kein Wasser mehr in unsern Brunnen haben. Darum möcht ich am heutigen Tag vorschlagen, einen tiefen Brunnen zu graben, der auf eine grosse Wasserader führen tät. Dann müssten wir nicht alle Sommer so weit gehen, ums Wasser zu holen. Ich denk’, man könnt’ am besten beim ,Krug’ mit graben anfangen. Das wär so die Mitte vom Dorf, und es tät auch so am besten passen. Was sagt ihr dazu, ihr Mannen?“

      Sie nickten bloss. Keiner hatte etwas zu sagen. Diese Idee schien ihnen so neu und ungeheuerlich, dass sie dieselbe in den ersten zehn Minuten gar nicht fassen konnten.

      Endlich meinte der Ammann:

      „Wir haben allezeit Wassermangel, das ist wahr.“

      Mehr sagte er nicht. Die andern nickten wie zuvor. Das ging dem Schneider doch etwas zu langsam. Ganz unbegreiflich schien es ihm, wie die sich so besinnen konnten, als gelte es auf dem Markte eine Kuh zu kaufen. Er blickte unruhig von einem zum andern. Aber sie sagten nichts. Sahen nur vor sich hin oder zum Fenster hinaus, mit ausdruckslosen Augen, höchstens dass da und dort einer nickte.

      Da sprach der Schneider Zwirn wieder, und seine Stimme zitterte vor Aufregung:

      „Aber höret, ihr Mannen, ihr müsst bedenken, dass ein solches Wasser eine wertvolle Kraft ist, wo man allerhand Profit draus schlagen kann. Das ganze Dorf hätt’ mehr Wert, wenn ein guter Brunnen drin wär. Das müsst ihr bedenken. Und so müsst ihr euch also auch nicht so lange besinnen über die Frag. Schon lang hätt’s sein sollen, schon lang!“

      Aus der ganzen Rede hatten sie hauptsächlich das Wort „Profit“ gehört, und da stutzten sie doch alle. Dieses kleine Wort regte in ihrem Innern eine Saite an, die nun langsam zu klingen begann. Aber sie sagten noch nichts.

      „Und ich bin dafür,“ so fuhr der Schneider fort, „dass wir diese nützliche Sach’ nit so lang aufschieben sollten.“

      Alle dachten nun an den „Profit“ und nickten eifriger mit den Köpfen. Sie schienen so allgemach die gleiche Meinung vom Brunnen zu bekommen wie der Schneider Zwirn. Das war klar.

      Darum sagte nun der Ammann:

      „So, jetzt sind wir so weit. Da könnten wir auch gleich abstimmen. Wer dafür ist, für den Brunnen, der soll die Hand aufheben.“

      Alle streckten die Hände empor.

      Der Schneider Zwirn war förmlich berauscht. Wer kann wissen — so dachte er in diesem Augenblick im stillen —, wo das noch hinaus will? Ist erst einmal der Wassernot in Krummbach abgeholfen, dann hab’ ich bei meiner ersten Sitzung das grösste Werk vollbracht, das dem hiesigen Gemeinderat je gelungen. Dann bin ich der erste Mann im Dorf! Und ihm war’s, als sage da irgendwo eine geheime Stimme: Beni, Beni, du bist der Mann, der Krummbach aus dem Schlaf aufrütteln wird. Du wirst ihnen allen den neuen Weg zeigen! Glaubst du, sie werden dann ihrer Dankbarkeit nicht irgendwie Ausdruck verleihen? Vielleicht dass sie gar auf dem Brunnentrog dein Bild in Stein aushauen lassen, damit ein jeder später einmal wisse: das ist der Schneider Zwirn, der grösste Bürger von Krummbach, der seine Heimatgemeinde, welche die Jahrhunderte hindurch etwas zurückgeblieben, den Fortschritten der Zeit entgegenführte. So oder ähnlich sprach die Stimme zum Schneider Zwirn.

      Und wie er dieser heimlichen Stimme so lauschte und mit seiner gelben Hand durch den Schnurrbart strich, ganz nach Art der Stadtherren, da kamen ihm mit einem Male die andern Gemeinderäte samt dem Ammann so klein und nichtig vor. Mit schwerfälliger langsamkeit und sichtlicher Anstrengung dachten sie die Sache mit dem Brunnen durch, mühten sich an dem Gedanken, der ihm so spielend leicht gelungen. Eins ist gewiss — dachte er — ihnen würden die Nachkommen keinerlei Denkmäler setzen. Und er spürte da, wie sich eine tiefe Kluft auftat zwischen ihm und ihnen. Deshalb sah er gleichsam aus schwindelnder Höhe auf sie hernieder. Fast eine Art Mitleid beschlich ihn, als er sah, wie sie so dasassen und an der harten Nuss bissen, die er ihnen zum Knacken gegeben.

      Nach einer Weile erhob der Schneider Zwirn abermals seine Stimme:

      „Ich denke, ihr Mannen, wir müssen vor allem das Geld beschaffen. Aber das ist ein Kinderspiel. Die Kantonalbank in Sunnentorn gibt uns ja so viel Geld, als wir nur haben wollen. Wir müssen’s verzinsen, selb ist freilich wahr; aber der Profit vom Brunnen ist gewiss hundertmal grösser.“

      Er schwieg. Und alle schauten zu ihm auf. Sie alle, die sonst geradeaus irgendwohin ins Leere schauten, drehten ihre Augen voller Bewunderung zum Schneider hinüber. Sicherlich dachte da jeder bei sich selbst: ist das ein verfluchter Kerl, dieser Zwirni-Schneider! Und bei diesem Gedanken erfüllte aller Herzen der Neid, es ihm nicht gleichtun zu können.

      Den Vorschlag aber nahmen sie abermals einstimmig an und forderten von der Bank zwölftausend Franken.

      Und der Zwirn fuhr fort:

      „Wir haben in der Gemeinde nur einen einzigen Mann, der eine solche Arbeit ausführen könnt’. Und das ist der Grausengusti. Den müssen wir zum Brunnenmeister wählen.“

      Als er schwieg, nickten sie wieder, sehr bedächtig, denn sie wussten alle, dass das der richtige Mann war.

      So ward der Brunnen beschlossen und der Brunnenmeister gewählt.

      Alle sechs gingen darauf nach Hause. Daheim erzählten sie’s ihren Frauen, und die brachten’s weiter, so dass noch selbigen Tags alle Einwohner von dem kühnen Aufschwunge hörten, den das entlegene Fleckchen Erde mit einem Male nehmen sollte. Und manches Herz hüpfte da schon vor Freude.

      Es hiess sogar, dass ein altes Grossmütterchen, welches — wie alle wussten — die Gabe hatte, in die Zukunft zu sehen, den prophetischen Ausspruch getan, dass Krummbach in den nächsten Jahren schon einer der grössten Kurorte des Landes sein würde. Und das will etwas heissen.

      Dem Schneider Zwirn wurde vom Gemeinderat der kaufmännische Teil des Brunnengrabens übergeben. Er war auch kaum zu Hause in der Stube angelangt, als er die Pritsche abräumte, Feder und Papier aus dem schiefen Kasten hervorholte und sich ans Schreiben machte. Er schrieb nach Sunnentorn „wegen dem Geld“. Bei der Tür stand seine Frau, das Jüngste auf dem Arm, und schaute ihm aus einiger Entfernung ehrfürchtig zu. Auch sie ahnte, dass Wichtiges im Gange war.

      Als das Schreiben fertig war, nahm der Schneider abermals Stock und Hut und entfernte sich eilig. Sie sollten sehen, die von Krummbach, welche Arbeitskraft und Tüchtigkeit in ihm wohnten, so dachte er, als er die lange Dorfstrasse hinabschritt, der Kirche zu. Dort in der Nähe wohnte der Grausengusti, und den suchte er. Als er bei dem kleinen Häuschen angekommen, klopfte er flüchtig und herrisch an. Weil man ihm nicht sogleich öffnete, besorgte


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