Der Krummbacher und der Katzengusti. Karl Friedrich Kurz

Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz


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dem einzigen Zimmer, das schon vorher Wohnund Schlafzimmer an einem Stücke gewesen, richtete er sich obendrein noch eine Werkstatt her. Dort arbeitete er, fast ohne sich Ruhe zu gönnen, Tag und Nacht. Er hätte es sicherlich zu etwas gebracht, denn auch die kleine Anne war häuslich und brav und half ihm, wo immer sie konnte. Doch die rotwangige Frau hatte von ihrem frühverstorbenen Vater ein tückisches Lungenleiden ererbt, das im geheimen ihre Lebenskräfte aufzehrte, als sie in vollster Blüte schien.

      Der Katzengusti arbeitete einmal auswärts, auf der „Stör“, wie die Bauern sagen, und als er nach Hause kam, fand er die Anne am Fussboden liegen, in einer roten Lache. Er trug sie sorgsam ins Bett. Sie atmete noch leise. Doch nach wenigen Stunden schon rieselte abermals Blut aus ihrem Mund. Der Katzengusti umfasste da sein Weib. Mit seinen Händen wollte er das Leben in ihrem jungen Körper zurückhalten. Aber als der Morgen graute, röchelte sie schwer und kannte ihn nicht mehr. Und als es vollends Tag wurde, lag sie wachsbleich auf ihrem Lager, ganz ruhig und still. Die kirschroten Wangen waren ihr noch geblieben. Mit weit offenen, entsetzten Augen starrte sie zur Decke empor. Der Katzengusti kniete vor ihrem Bett, den Kopf tief in die Kissen gedrückt, regungslos.

      So fanden sie ihn am Abend.

      Als sie ihn aufrüttelten, starrte er sie mit seltsamen Augen an. Sein Geist schien weitab zu sein. Er sprach kein Wort. Aber aus dem Zimmer war er nicht zu bringen.

      Als sie die Anne auf dem Kirchhof versenkten, blieb er an ihrem Grabe sitzen; zwei volle Tage. Und da meinten sie, er sei „darüber hinausgekommen“ — um den Verstand nämlich. —

      Doch dem war nicht so. Er war nur betäubt gewesen. Und als er wieder zu sich kam, war er ein anderer geworden. Was er an Hab und Gut in dem kleinen Häuschen hatte, das machte er zu Geld. Und trug alles, bis auf den letzten Batzen, in den „Gesprungenen Krug“ oder ins „Kreuz“ — in die „Krone“ ging er nicht, weil er den Wirt dort nicht leiden mochte. Er trieb’s bunt ein paar Wochen lang. Wenn er selbst nicht mehr trinken konnte, half ihm mancheiner gerne die Flasche leeren. So sah er denn gar bald seinem Beutel auf den Grund.

      Doch nun fing er erst recht ein liederlich Leben an. Er rührte kaum mehr einen Finger zur rechtschaffenen Arbeit, sondern trieb sich als Nichtsnutz und Tunichtgut in der Gegend herum.

      Die Jahre kamen und gingen. Den Gram um sein totes Weib schien der Katzengusti allmählich überwunden zu haben. Er wurde wieder der ausgelassene Bursche von ehemals. Nur wenn er lachte, zog sich sein Mund in weinerliche Falten, so dass es manchem ins Herz schnitt, wenn er ihn ansah.

      Auch er war mit der Zeit alt geworden, doch steckte er immer noch voller Teufeleien, voller lustiger Streiche, von den fast stets zerrissenen Schuhsohlen bis zum ergrauten Haarschopf.

      Ausgemergelt und klein ward er von Gestalt, gebückt, oder vielleicht auch nur geduckt wurde die Haltung seines eingetrockneten Körpers. Sein Gesicht hatte viel Ähnlichkeit mit altem, verwittertem Holz angenommen. Es lief darin von Runzeln und Gräblein um Augen und Mund, über die braune Stirn bis zu den struppigen Haaren hinauf. Wie eine schnurrige Geschichte sah sein Gesicht aus. Und daraus blickten zwei listig-verschlagene Äuglein, ein jedes für sich — eins schiele nach verborgenen Schätzen und das andere nach dem Landjäger, sagten die, die ihn kannten.

      Doch eigentlich Böses hat der Katzengusti sein Lebtag nie getan, wenn auch für etliche seiner Leistungen ein Paragraph in der Gesetzgebung, die bekanntlich keinen Humor kennt, aufgezeichnet ist.

      Hätten seine Richter ihm mehr in die Seele, als nur auf seine wenig vorteilhafte Oberfläche blicken können, so würden sie ihn für viel unschuldiger gehalten haben, als die verhaftungsgierigen Polizisten wollten glauben machen. Und sie hätten ihm die goldene Freiheit dann sicherlich weniger oft entzogen.

      Das kleine Häuschen gegenüber vom „Gesprungenen Krug“ hatte er all die Jahre hindurch behalten, wie oft auch die bittere Not an ihn gekommen. Es war längst keine Scheibe mehr in dem eingefallenen Kreuzstock, und die Tür hing kläglich schief in ihren Angeln. Ein Strohsack, der an der Stelle lag, wo früher das Bett gestanden, war das einzige Mobiliar. Rings um ihn herum standen nackte Mauern, welche ein grünlich-weisser Schimmel überzogen hatte.

      Uber stets, wenn ihn sein Weg durchs Dorf brachte, blieb der Katzengusti dort über Nacht. Und die Nachbarn wollten gehört haben, dass er dann stundenlang laut mit sich selber sprach. Dummes, verworrenes Zeug freilich, das kein vernünftiger Mensch verstehen konnte.

      In der Zeit, als die von Krummbach den Brunnen zu graben beschlossen, war er krank gewesen. Fast ein Jahr lang lag er in Lauental im Kantonspital.

      Da hatte er so von ungefähr erfahren, welch grosse Dinge sich dort oben, in dem entlegenen Bergdörflein, vorbereiteten. Auch dass sie schon begonnen hatten sein Häuslein abzubrechen, war ihm zu Ohren gekommen. Und kaum dass er wieder gehörig auf den Beinen war, verliess er das Spital und machte sich auf den Weg, um nach seinem einzigen Eigentum zu sehen.

      Es war an einem blauen, warmen Maitage, als er gemächlich fürbass auf der staubigen Landstrasse Pappeln zuschritt.

      Er kam sich an diesem Tage recht wohlhabend vor, denn in seiner Tasche klimperte es bei jedem Schritt von allerlei grösseren und kleineren Silbermünzen, welche er sich die letzten Wochen über durch leichtere Arbeiten verdiente. Ein junger Assistenzarzt hatte ganz besonders Gefallen an ihm gefunden und beschenkte ihn, als er entlassen wurde, mit einer abgetragenen Kleidung und ein Paar neuen Schuhen — wohl die einzig neuen waren es, die seit langen Jahren mit seinen vielgewanderten Füssen in nähere Beziehung traten. So hatte er mit dem, wenn auch etwas abgetragenen Schimmer eines vornehmen Herrn dem Städtchen den Rücken gekehrt, und trollte sich wohlgemut den wieder grün gewordenen Bergen zu.

      Doch schon in Pappeln erregte der verfrühte Sommervogel die Neugierde des Landjägers. Der sass nämlich gerade bei einem Schoppen in der Wirtschaft, als der Katzengusti am Fenster vorbeistolzierte. Beide kannten sich von früher, darum fiel dem Landjäger das noble Aussehen des Gusti auf. So ging es denn auch nicht lange, bis er den Kriegspfad gegen den ahnungslosen Wanderer betrat und ihn beim Kragen erwischte, noch bevor die nächste Strassenecke zwischen ihnen lag.

      „Hedo, Gusti!“ säuselte er ihn an, „woher kommst denn du so nobel als wie ein Beslarherr? Wo hast du den schönen Kittel abgehängt, hä?“

      Der Katzengusti verlor seine würdige Haltung keine Sekunde. Er sagte mit gerechter Entrüstung:

      ,,Was?! Der Kittel, wo ich den abgehängt? Sicher nit von deinem Haken. Lass mich nur gehn. Du wirst mir ihn doch nit nehmen wollen — oder? Wenn er dir so gut gefällt — so kannst mir ihn ja abkaufen.“

      Diese nicht gerade bescheidene Sprache ärgerte den Landjäger mehr, als sich sagen lässt. Erstens, weil ihn der Katzengusti wie seinesgleichen duzte, zweitens aber, weil er sehr wohl fühlte, dass er der schlagfertigen Zunge des geriebenen Burschen bei weitem nicht gewachsen war. Es erfüllte ihn deshalb mit einiger Befriedigung, dass er als Arm des Gesetzes die Macht über den Katzengusti hatte. Und da es ihm durch sein Auftreten nicht möglich war, wollte er diesem wenigstens so seine Überlegenheit zeigen.

      ,,Horch, Gusti!“ sagte er darum. „Das mit dem Kittel gefällt mir gar nit. Den musst du gewiss gestohlen haben. Darum wird’s wohl ’s beste sein, du kommst einmal mit mir.“

      ,,Gottverdoria!“ fluchte da der Katzengusti, der sich nach dem langen Winter schon auf die frische Waldluft gefreut hatte. „Dich soll doch der Teufel holen, Hertmann. Kannst du mich denn nit laufen lassen? Das Gewändlein, das ich auf dem Leib hab’, das haben sie mir zu Lauental geschenkt — wenn du es nit glauben willst, so kannst ja hingehn und fragen.“

      Nach einer Weile setzte er eindringlich hinzu:

      „Ich muss nach Krummbach hinauf, weisst du, sie wollen mir mein Häuslein abreissen.“

      Nun strich sich der tapfere Landjäger Hertmann mit der flachen Hand den Waffenrock über dem schon ziemlich umfangreichen Bäuchlein glatt, knöpfte ihn über der Brust ein wenig auf, griff hinein, ohne etwas anderes zu tun, als wieder zuzuknöpfen. Sein Gesicht, das bis dahin in einem fetten Glanze eine falsche Freundlichkeit ausstrahlte, veränderte sich allmählich zu einer harten,


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