Der Krummbacher und der Katzengusti. Karl Friedrich Kurz

Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz


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Risse und Schrammen beigebracht hatte. Soweit ging sein Diensteifer, — aber nicht weiter.

      Den Revolver hatte er immer in der Hand behalten. Sinnlos vor Schmerz und gerechter Entrüstung feuerte er mehrmals nach der Richtung hin, in welcher er den Katzengusti zu hören glaubte. Mit dieser Schiesserei verwundete er ein paar junge Ahörnlein lebensgefährlich, schoss sogar einer kleinen Tanne den Kopf ab — sonst aber kam dabei niemand zu Schaden.

      Der Knall zog sich anhaltend und dumpf unter den Bäumen hin und ward von den fernen Bergwänden wieder zurückgeworfen, gleich einer unsichtbaren klingenden Welle, die sich an verborgenen Felsen bricht. Als der Wald sich wieder allmählich beruhigte, da war dem Landjäger Hertmann, als höre er, wie ein Echo, von weither ein lustiges, frohes Lachen. Er wusste nicht, was weiter zu tun war.

      Deshalb legte er sich platt auf seinen fetten Rücken und blickte mit seinen erzürnten Augen zu den junggrünen Blättern empor. Über deren zarte Ränder schaute der milde heitere Himmel voller Güte, voller Versöhnung hernieder. Doch bis zu des Polizeimanns Herzen konnten diese lichten Sendboten nicht vordringen. Er biss voll stummer, ohnmächtiger Wut die Zähne aufeinander und schmiedete mit dem Hammer der Anklage auf dem Amboss des Gesetzes eine finstere Rache.

      Nach einer Weile nahm er sein Dienstbuch aus der Tasche und schrieb, ohne aufzustehen, ein umfangreiches Protokoll hinein. Alles über den Katzengusti; dessen verbrecherische Handlungen er wohlgeordnet ins rechte Licht setzte. Mit stiller Genugtuung rechnete er sich dann sogleich aus, wieviel das für den Gusti absetzen könnte — wenn sie ihn dann wieder hätten.

      Doch vorläufig hatten sie ihn nicht, den Katzengusti.

      Der erfreute sich nun doppelt der goldenen, sonnigen Frühlingsluft. Sie schien ihm nur um so köstlicher, weil er sie sozusagen auf einem kleinen Umwege erlangen musste.

      Mit Wegen und Stegen wohlvertraut, schritt er nun gemächlich den Höhen zu.

      Die neuerworbenen Kanonenstiefel hatte er mit einer Schnur zusammengebunden und über die Schulter gehängt, so dass einer vorn auf der Brust, der andere hinten auf dem Rücken zu ruhen kam. Im Gehen murmelte er manchmal etwas vor sich hin, manchmal lachte er leise auf, und zuweilen pfiff er auch ein kleines, wildes Liedchen.

      Nicht ein einzig Mal blieb er stehen, um zu horchen. Er wusste wohl, dass ihm in diesem Augenblicke von keiner Seite Gefahr drohte. Heute nicht — und was scherte er sich um alles morgen!

      Er war ein Philosoph und Naturschwärmer, der Katzengusti — auf seine Art natürlich. Mit stoischer Seelengrösse ertrug er die häufigen Ärgernisse, welche ihm die Mitmenschen durch ihre kleinlichen Gesetze verursachten. Auch wenn sie ihm ab und zu einen längeren oder kürzeren Aufenthalt in der engen Zelle verordneten, grollte er ihnen darob nicht allzusehr. Sie verstanden es eben nicht besser, so dachte er, und suchte aus der neugeschaffenen Lage so viel Gutes als möglich herauszuschlagen. Und mit Witz und Humor tat er das. Mancher seiner Wächter und Verurteiler, ob sie sich auch sonnenhoch über ihm wähnten, beneideten ihn im stillen um diese köstlichen Gaben. Und mancheiner hätte dies wohl auch offen eingestanden, wenn seine Stellung ihm nicht verboten hätte, es laut werden zu lassen. Gleichmütig und heiter betrat er stets den Gerichtssaal, und verliess ihn ebenso nach dem Urteilsspruch, der in den meisten Fällen nicht gerade günstig für ihn war.

      Mit einer Art Hochmut sah er, der Lump, auf alle die wichtigen Herren, denn sie konnten ihm ja trotz allem nichts anhaben. Ob sie ihn einmal mehr oder weniger einsperrten, was tat das schliesslich ihm? Sie nahmen ihm ja so nur die Sorge ab, für sich selbst einige Zeit Rost und Logis zu beschaffen. Und das war bei den schlechten Zeiten immer noch eine gewisse Erleichterung.

      Aber an diesem Tage freute es ihn dennoch, frei und ledig durch die Wälder zu streichen. Der lange Aufenthalt in den Krankenzimmern hatte ihn für des Frühlings Erwachen recht empfänglich gemacht.

      Wenn er nicht gerade vor sich hin pfiff, lachte oder murmelte, dann lauschte er gespannt auf das Jubilieren der kleinen Vögelchen, die sich gebärdeten, als wären sie rein verrückt geworden vor lauter Glückseligkeit. Und da er, wie gesagt, für der Natur Schönheiten nicht unempfindlich war, so kam auch in seine Landstreicherseele ein eigen Wohlbefinden, wie schon lange nicht mehr.

      Als er auf eine Lichtung kam, musste er doch stillestehen.

      Die Sonne war auf ihrer Reise etwas tiefer am Abendhimmel angelangt und legte hinter die Bäume lange, violette Schatten. Kleine Mücken summten durch diese weichen Schatten, und ein paar Spinnen woben schimmernde, zarte Fäden darein, die so köstlich aussahen, als sollten es Gewänder für Königinnen werden. Über das letztjährige, dürre Riedgras waren schon die jungen grünen Halme hoch emporgeschossen und guckten mit ihren schwarzen Köpfchen neugierig um sich. Sie schienen es gar nicht begreifen zu können, dass nun der lange, bange Winter vorbei und der letzte Schnee auf den Nordhängen des Riesensteins und der Wasserfalle geschmolzen sei. Und über den leise flüsternden Wipfeln der Bäume spielten zwei gelbe Schmetterlinge miteinander, sorglos, frei und heiter.

      Da setzte sich der Katzengusti an den Fuss einer Eiche und lehnte sich mit dem Rücken an deren Stamm. Weiches, dunkelgrünes Moos war ihm ein schwellend Lager und zwei emporstehende Wurzeln bequeme Armlehnen. So sass er behaglich wie ein König auf seinem Thron; behaglicher noch, denn ihm bangte weder vor dem Dolche eines blutdürstigen Anarchisten noch vor andern Regierungsnöten. Er sass und freute sich und machte sich keinerlei Grillen.

      Und als nach einiger Zeit die letzten Schatten über die höchsten Wipfel geflattert waren und vom Tal herauf ein feiner grauer Nebel durch die Stämme schlich, da stand er auf, ging in den Wald hinein und sammelte einen Armvoll dürres Reisig. Damit machte er sich kundig und schnell ein kleines Feuer an. An der schmalen roten Zunge briet er sich eine Wurst, die er in einer seiner Taschen fand, und gedachte, währenddem die Haut an dem leckeren Bissen sich straffte, mit einer gewissen Dankbarkeit der Oberschwester im Spital, welche in mütterlicher Sorge ihm diese Wegzehrung auf die Wanderschaft mitgab. Als die Wursthaut platzte, liess er das hervorquellende Fett auf ein Stück Brot träufeln. Dann verzehrte er beides mit sichtlichem Behagen. Es hat wohl kaum einem Vornehmen dieser Welt vor fürstlicher Tafel besser gemundet, als an jenem Abend dem Katzengusti sein einfaches Mahl.

      Nachdem er den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte, wischte er sein Messer auf den Hosen — die ähnliches sicher noch nie in ihrem Leben erfahren hatten — ab und klappte es zusammen. Darauf warf er noch ein paar knorrige Äste ins Feuer und zog sich die Schuhe von den Füssen.

      Dann streckte er sich auf seinem weichen, grünen Bette behaglich aus. Auf dem Rücken lag er, ganz ähnlich wie der Landjäger Hertmann vor einigen Stunden unten im Tal; aber in ihm war ein tiefer Friede. Einmal zwar richtete er sich hastig auf und blickte nach den erbeuteten Kanonenstiefeln hin, fast als wollte er sich vergewissern, dass sie ihm nicht davonliefen. Als er sich abermals hinlegte, flackerte ein zufriedenes Lächeln über sein verwittertes Gesicht. Er dachte wohl an den barfussen Landjäger.

      Mit einem wohligen Seufzer schloss er die Augen und schlummerte sanft und leise ein.

      Um ihn her war es dunkel geworden. Wie schwarze regungslose Gestalten standen die Bäume im Kreise. Über ihnen spannte sich der tiefe Nachthimmel aus. Ein paar wenige feuchte Sterne schauten freundlich herab.

      Und heimlich und still war’s um ihn her. Kein Blatt regte sich. Lautlos, standen die Gräser. Nur dass zuweilen der Uhu klagend und heiser schrie.

      Das kleine Feuer verglimmte langsam, mit leisem Knistern. Schon war in dessen Mitte nichts mehr als weisse Asche zurückgeblieben. Nur an wenigen langen Ästen noch hüpften blaue und rote Flämmchen mit unsicherm Flackern. Manchmal vereinten sich einige und schossen als lange, gierige Zunge empor. Dann flatterte ein blutiger Schein unstät über den Schläfer hin; es sah aus, als zucke er heftig zusammen, als bewege er sich im Traume.

      Doch immer kraftloser wurden die Flammen und immer weniger wurden es. Schon stahlen sich zwischen ihr Flackern die schwarzen Schatten.

      Und dann war auch die letzte von ihnen erstorben. Nur noch seltsame, weissglühende Reiser lagen am Boden, Reiser, die langsam fahler wurden und dunkler.

      Und zuletzt wurde es finster. Schwarz


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