Die Legende der Star Runner. Jens I. Wagner

Die Legende der Star Runner - Jens I. Wagner


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ich still stehen.

       Fühl ich mich schwer, will ich gern gehen.

       Doch wenn ich gehe, dann fließt meistens Blut.

       Nur wenn ich still stehe, sind die Zeiten gut.“

      „Was kann das bedeuten?“, fragte ich mich und blickte in ratlose Gesichter.

      Die Zeilen beschreiben ein Versteck auf dem Dachboden. Was könnte gemeint sein?

       Brauchst du einen Tipp?

      KAPITEL 04

      Der verschwundene Pirat

      „KUNIBERT,“ SAGTE LILLIS OPA, während er den mit einem Tuch umhüllten Schlüssel aus dem Helm entnahm. „So nenne ich die Ritterrüstung.“

      „Was hat es mit dem Schlüssel auf sich?“, wollte Lilli wissen.

      „Das verrate ich euch bei einer Tasse Kakao. Folgt mir.“

      „Es ist viel zu heiß für Kakao“, flüsterte ich zu Marvin.

      Der zuckte nur mit den Schultern. „Kakao ist lecker.“

      Der Kakao war nicht nur lecker, er war vor allem auch eisgekühlt.

      Lillis Opa deutete auf ein Gemälde an der Wand des gemütlichen Wohnzimmers, in dem wir nun saßen. „Das hier ist das Porträt eines Piraten. Nein, einer Piratenlegende! Das ist Lotterlulu.“

      „Lotterlulu“, wiederholte Marvin mit staunenden Augen.

      „Der große Lotterlulu war vor etwa 250 Jahren aktiv. Überall gefürchtet. Er hatte unermessliche Reichtümer an Bord seines berühmten Piratenschiffes namens Star Runner, was so viel heißt wie 'Sternenrenner'.“

      „Der Star Runner? So hieß sein Schiff?“, fragte ich.

      „Nun, fast. Schiffe sind immer weiblich. Man sagt also 'die Star Runner' und nicht 'der Star Runner'. Aber wie auch immer, die Star Runner war das schnellste und am stärksten bewaffnete Schiff seiner Zeit. Es kam und verschwand so schnell, als ob es über die Sterne reiten könne.“

      „Star Runner“, wiederholte Marvin ehrfürchtig.

      „Irgendwann beschloss Lotterlulu, sich zur Ruhe zu setzen. Das war nicht einfach zu bewerkstelligen, aber sein Reichtum sollte ihm dabei behilflich sein. Eines Nachts im Jahre 1755 tauchte er hier mitten in unserem alten Ortskern auf. Der dort verlaufende Fluss führte damals genug Wasser, um ein großes Schiff wie die Star Runner zu tragen.“

      „Hier? Er war hier?“, fragte Lilli.

      „Richtig. Drei Tage und Nächte lag die Star Runner dort vor Anker, aber kein Mensch wurde an Bord gesichtet. Alle Ortsbewohner waren völlig aus dem Häuschen. Man wusste, dass Schiffe der Regierung Lotterlulu verfolgen würden, doch sie waren einige Tage weit entfernt. Also sperrte man den Fluss ab und bewachte das Schiff Tag und Nacht. Doch in der dritten Nacht zog dichter Nebel auf. Die Wachen konnten die Hand nicht vor Augen sehen und wurden überwältigt. Als die Männer wieder zu sich kamen, war die Star Runner verschwunden.“ Opa schnippte mit den Fingern. „Einfach so.“

      „Aber der Fluss war doch abgesperrt“, warf ich ein.

      „Das ist ja das Unheimliche. Die Sperrung wurde nicht durchbrochen.“

      „Vielleicht ist es gesunken“, mutmaßte Marvin.

      „Das Flussbett wurde durchsucht. Es ist nicht gesunken.“

      „Wohin ist es dann?“, fragte Lilli.

      „Wenn ihr das herausfinden wolltet, müsstet ihr eure Suche im Akademischen Stadtarchiv beginnen. Aber da dürfen leider nur Akademiker rein, also Lehrer, Professoren und Studenten.“

      „Nach was müssten wir suchen?“, wollte ich wissen.

      „Nach dem Stadtlogbuch des Bürgermeisters. Er hat alles peinlich genau notiert. Wenn ihr einen Hinweis findet, dann dort. Aber es ist ein 250 Jahre altes Buch. Ich bezweifle, dass man euch hineinlässt, und noch weniger glaube ich, dass man euch in dem Buch blättern lassen wird.“

      „Was hat es mit dem Schlüssel auf sich?“, fragte ich weiter.

      „Ach ja, der Schlüssel. Den hat mir mein Großvater geschenkt. Er hat nie gesagt, woher er ihn hatte. Doch er sagte mir eines ganz eindringlich: Dieser Schlüssel passt in das Auge des Schatzes von Lotterlulu.“

      „Ins Auge?“, fragte Lilli.

      „Das klingt seltsam“, meinte Marvin.

      „Nicht wahr? Deswegen konnte ich es mir bis heute gut merken. Er sagte noch etwas Merkwürdiges. Angeblich liegt der Schatz:

       ‘Weit oben unter einem Zelt aus Sternen, auf der Rückseite eines Mondes’.

      Aber das ist sicher nur im übertragenen Sinne zu verstehen. Ein Raumschiff war die Star Runner nun mal nicht. Und jetzt, Kinder, ist es an der Zeit, diesen Schlüssel weiterzureichen.“

      Der Opa beugte sich zu Lilli und übergab ihr langsam den Schlüssel. Er war groß, länger als ihre beiden Handflächen, die sie ausgestreckt hielt, um den Schlüssel in Empfang zu nehmen.

      „Wenn eine aus unserer Familie diesen Schatz findet, dann bist du das, Lilli. Viel Glück.“

      „Danke, Opa.“

      „Es ist kein Zufall, dass ich dir heute den Schlüssel gebe. Bis zum gestrigen Freitag hatte ich die Geschichte noch fast vergessen. Doch dann bekam ich einen seltsamen Besuch.“

      „Der Kaffee“, rief ich. „Sie trinken keinen Kaffee, stimmt’s?“

      „Gut beobachtet, mein Junge. Kannst du mir auch sagen, wer der Besucher war?“, fragte Lillis Opa während sich sein Blick in Richtung Couchtisch senkte.

      Nach einigen Augenblicken begann Marvin auf seinem Sessel auf und ab zu wippen. „Ich kann das. Wenn ich noch eine Tasse Kakao bekomme“, feixte er.

      Wer hat Lillis Opa gestern besucht?

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      KAPITEL 05

      Ein seltsamer Besucher

      DAS HEUTIGE DATUM KONNTE man der Tageszeitung entnehmen und die Widmung in dem Buch Schatzsuche trug das Datum des gestrigen Freitags. Lillis Opa hatte gestern also Besuch von einem gewissen Sir Thomas London. Ich war völlig baff über die Beobachtungsgabe von Marvin.

      „Dieser Mann ist ein erfolgreicher Schatzjäger. Er hat vergangenes Jahr bereits ein gesunkenes Schiff gefunden und einen Millionenschatz gehoben. Dann hat er darüber ein Buch verfasst und wurde weltberühmt. Er wohnt im Savoy, dem besten Hotel der Stadt. Abgesehen davon scheint er auch noch ein netter Kerl zu sein. Aber er wollte etwas von mir, das ich ihm nicht geben kann.“

      „Den Schlüssel“, sagte Lilli.

      „Nein, das Bild von Lotterlulu. Von dem Schlüssel weiß er nichts.


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