Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky

Unsichtbare Architektur - Inge Podbrecky


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Diese Architektur mitsamt ihrer Konnotierung durch Kontextualisierung wieder erkennbar zu machen und damit ein Bewusstsein für jene Epoche und ihre kritische Rezeption zu schaffen, ist eines der Ziele dieses Buchs.

      Abgesehen von vereinzelten früheren Arbeiten widmete sich die Geschichtswissenschaft seit den 1980er Jahren dem Thema Austrofaschismus.6 Die Kunst- und Architekturgeschichte brauchte dazu deutlich länger. 1962 sprach der 1920 in Wien geborene Architekturhistoriker Eduard Sekler den 1930er Jahren zunächst eine nennenswerte österreichische Architekturproduktion überhaupt ab, mit dem Hinweis, er könne diesem „distasteful interval“ der österreichischen Geschichte nicht mit dem nötigen „dispassionate judgement“ begegnen.7 Noch lange danach gerieten Personen, die sich mit der Kunst autoritärer Systeme wissenschaftlich befassten, unter Rechtfertigungsdruck,8 sei es, dass ein moralisches Urteil über das politische System auf die Qualität der Kunstproduktion ausgedehnt wurde wie bei Sekler, sei es, dass angenommen wurde, ein solches Interesse könne nur auf Sympathie basieren (die primitivere Variante).

      Es gab und gibt neben den jeweils vorrangig von der Forschung ausgewählten, bearbeiteten und erforschten Feldern und Themen andere, die aus den unterschiedlichsten Gründen im Hintergrund belassen werden und mangels Attraktivität vernachlässigt bleiben. Irene Nierhaus hat darauf hingewiesen dass eine „an der Genre-, Portrait- und Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts und an der Heimatkunst orientierte [künstlerische Produktion] in den zwanziger und dreißiger Jahren überall vorhanden [war]. Durch die Assoziation mit dem Faschismus, in dem sie zur Vertreterin von Kunst schlechthin hochschwappte, wurde diese Vorliebe vom kunsthistorischen Gedächtnis unterschlagen – obschon sie zum Ausstellungsbild des gesamten Zeitraums gehörte und in breitem Maß rezipiert wurde.“9 Ähnliches gilt noch immer für die österreichische Architektur der austrofaschistischen Epoche; das Bild der Wiener Architektur der Zwischenkriegszeit ist heute überwiegend eine Erfolgsgeschichte der Moderne bis 1932 (Eröffnung der Wiener Werkbundsiedlung), die parallel dazu weiter bestehenden konservativen Strömungen wurden von der Forschung weitgehend ausblendet.

      Nur wenige Arbeiten haben sich überblicksartig und vorwiegend aus der Perspektive der Geschichtswissenschaften mit dem Bauen im Austrofaschismus befasst. Franz Baltzarek hat 1974 die Geschichte Wiens zwischen 1934 und 1938 anhand der Quellen aufgearbeitet und ist dabei auf wirtschaftliche und politische Aspekte des austrofaschistischen Bauprogramms der Hauptstadt eingegangen.10 Friedrich Achleitner hat in dem Text „Gibt es eine austrofaschistische Architektur?“ 1981 die Frage nach einem gemeinsamen künstlerischen Nenner der Architekturproduktion jener Jahre gestellt,11 und Barbara Fellers Diplomarbeit von 1991 verdanken wir eine umfassende ideologisch-politische Kontextualisierung der Wiener Bautätigkeit 1933–1938. Ein für die Aufarbeitung besonders wichtiges Ereignis war die 1994 von Jan Tabor organisierte Ausstellung „Kunst und Diktatur“ im Wiener Künstlerhaus, die erstmals die Kunst, Architektur und Kulturpolitik autoritärer Systeme vergleichend untersuchte. Im Katalog wurden die Schwerpunkte austrofaschistischen Bauens erstmals umfassend vorgestellt, und in der Folge entstanden mehrere monografische Arbeiten zu Großprojekten des Austrofaschismus, wie Georg Rigeles Bücher zu den Verkehrsbauten, ein unpubliziertes Manuskript der Kunsthistorikerin Sabine Plakolm-Forsthuber zu den Kirchenbauten12 und mehrere monografische Arbeiten zur „Seipel-Dollfuß-Kirche“ (eigentlich Neufünfhauser Pfarrkirche, Wien).13 Die Historikerin Lucile Dreidemy beschäftigte sich kürzlich in ihrer Untersuchung der Zeugnisse des Dollfuß-Mythos mit einigen Bauten jener Ära, und Matthias Trinkaus untersuchte die Wohnbaupolitik.14 Zuletzt behandelte der Historiker Andreas Suttner das Thema „Bauen im schwarzen Wien“.15 Einige typengeschichtlich Arbeiten, wie zum Beispiel Ulrike Zimmerls Diplomarbeit zu den Wiener Siedlungen aus 1998, thematisieren die entsprechende austrofaschistische Produktion, während Architektenmonografien wie etwa Wilfried Poschs Holzmeister-Buch oder Christa Harlanders Arbeit über Robert Kramreiter auf den politischen Aspekt der jeweiligen Viten und Werke nicht allzu prominent eingehen.16 Erst 2018 legte Birgit Knauer mit ihrer Analyse der Assanierungsbauten und ihres Kontexts eine kunsthistorische Detailstudie vor.17

      Was bisher völlig fehlt, ist eine typenübergreifende kunst- beziehungsweise architektur-historische Untersuchung aus der Perspektive möglicher politischer Intentionen und Konnotationen sowie in der Folge eine Deutungsgeschichte der austrofaschistischen Architektur quer durch Typologien, Bauaufgaben und Institutionen. Dies will das vorliegende Buch leisten.

      Dazu ist es nötig, Identifikationsmerkmale austrofaschistischer Architektur zu benennen. Diese könnten zum Beispiel in einem formalästhetischen Programm festgehalten worden sein, das ihre Merkmale definiert und Vokabel mit Sinn auflädt, denn der Machthaber ist es, der bestimmt, was ein Zeichen im Diskurs zu bedeuten hat. Im Idealfall bestünde ein Manifest, ein Manual zum Erkennen, Wiedererkennen und Interpretieren charakteristischer Merkmale. Auch andere ausformulierte Materialien, zum Beispiel Gesetze, Bauordnungen, Dokumente der Stadtplanung oder Förderungsrichtlinien, können Auskunft über programmatische Grundlagen geben.

      Zur Frage eines ästhetischen Programms besteht in der bisherigen Forschung ein einhelliger Konsens, dass es ein solches nicht gegeben habe, wie es überhaupt eine verbindliche totalitäre Architektursprache nicht zu geben scheint: „Es existiert die weit verbreitete Meinung, dass ähnliche politische Regime eine ähnliche Kunst hervorbringen. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt als das.“18 Friedrich Achleitner schreibt, dass „es diese Ideologien [die Faschismen, d. A.] zu keinen architektonischen Programmen gebracht haben.“ Faschistische Bewegungen hätten wenig Zeit gehabt, ihre Architekturen ideologisch genau zu programmieren.19 Auch Barbara Feller stellt fest, dass es ein austrofaschistisches Architekturprogramm im Sinn einer Absichtserklärung nicht gegeben habe. „Vordergründig scheint das Bauen somit in der Ideologie des Austrofaschismus für die Selbstdarstellung wenig bedeutsam gewesen zu sein.“20 Hier sind historische Texte zur Kulturpolitik auf Aussagen zu überprüfen, die möglicherweise auch auf die Architektur anwendbar sind.

      Gibt es kein Programm, sprechen die Regulierungsinstrumente, die die äußeren Bedingungen für das Bauen auf der Grundlage des politischen Systems festlegen, eine deutliche Sprache. In ihrer Schwerpunktsetzung fokussieren sie die Prioritäten des Regimes und die in der Folge getroffenen ideologisch motivierten Präferenzen, die einen Vorrang bestimmter Bauaufgaben und bestimmter gestalterischer Entscheidungen gegenüber anderen festlegen, zum Beispiel: Der 1934 gegründete und aus Mitteln der Stadt Wien dotierte Assanierungsfonds wurde geschaffen, um Neubauten anstelle von „verkehrsbehindernden“ und „ungesunden“ Altbauten zu fördern, eine Maßnahme, deren Vorbilder in den Assanierungsprojekten von Mussolinis Italien lagen, das bis 1936 als „Schutzmacht“ und Verbündeter Österreich auftrat. Hier haben politische Affinitäten unter Umständen auch formale Annäherungen zur Folge gehabt. – Eine baubehördliche Prüfung von Clemens Holzmeisters Projekt für ein Haus der Vaterländischen Front am Ballhausplatz ging mit formaler Kritik an der Gestaltung des Gebäudes im historischen Kontext des Platzes einher. Was wurde als passend, was als unpassend empfunden, und mit welcher Begründung? – Auch ein bundesweites Programm für den Straßenbau und -ausbau, das eine Förderung des Individualverkehrs und des Tourismus mit einer Glorifizierung der österreichischen Landschaft als patriotismusförderndes Element kombinierte, lässt Schlüsse auf Prioritäten zu, die im Sinn einer Ideologie interpretiert werden können. – Für die Außenrepräsentation Österreichs auf internationalen Ausstellungen mussten Entscheidungen getroffen werden. Wie wollte sich das Regime im Ausland präsentieren? All diese Bedingungen ergeben in Summe einen Subtext, der programmatische Rahmenbedingungen suggeriert.

      Gestalterische und konzeptuelle Präferenzen lassen sich grundsätzlich an Gebäuden und Projekten ablesen. Welche Charakteristika treten zwischen 1933 und 1938 gehäuft oder wiederholt auf, wie sind sie kodiert, und wurden sie im zeitgenössischen Kontext auch abseits der standardisierten staatlichen Hoheitszeichen im intendierten Sinn verstanden? In diesem Fall sind nicht Texte, sondern die Bauten selbst die Dokumente, Medien im Sinn Michel Foucaults.21 Hier ist ein genauer Befund der Gebäude wichtig, denn eine Verkürzung auf allgemein für „faschistisch“ gehaltene Merkmale wie zum Beispiel große Dimensionen, Ordnung, Achsen und Symmetrie oder die Verwendung klassizistischer Formen ist ebenso unrichtig wie gefährlich.22


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