Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky

Unsichtbare Architektur - Inge Podbrecky


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5) wurde „formal und inhaltlich als Vorstufe für die NS-Architektur angesehen“.23

      Abbildung 5: Peter Behrens, Deutsche Botschaft, Sankt Petersburg, 1911/1912 (historische Ansichtskarte)

      Tatsächlich berichtete Behrens aber selbst, er habe den Bau kulturpolitisch an den Vorgaben des Deutschen Werkbunds orientiert, der damals auch international als Synonym für die künstlerische und kunstpolitische Elite Deutschlands und seine Vormachtstellung innerhalb der Avantgarde anerkannt war.24 Erst die Quellenkenntnis stellt in diesem Fall die ursprüngliche Konnotation richtig. Auch Josef Hoffmanns neoklassizistischer österreichischer Pavillon für die Kölner Werkbundausstellung 1914 war keineswegs „präfaschistisch“;25 eine solche Qualifikation ex post hätte eine faschistische Gesinnung beim späteren Mitläufer Hoffmann bereits im Jahr 1914 vorausgesetzt.

      Von einer voreiligen Qualifizierung einzelner Elemente als „faschistisch“ wird daher abzusehen sein. Erst der Befund der Gebäude, der in der Folge nach typlogischen Kriterien durchgeführt wird, kann Auskunft über eventuelle Symbolbedeutungen geben. Es ist also nötig, Gemeinsamkeiten an den austrofaschistischen Bauten festzustellen, sie zu benennen, Häufungen, aber auch Vermeidungen festzustellen, um gegebenenfalls eine „gebaute Ideologie“ nachzuweisen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die zeitgenössische Rezeption von Architektur durch die Medien; sie gibt Auskunft darüber, ob und wie das gängige architektonische Zeichensystem im Entstehungs- und historischen Rezeptionskontext verstanden wurde. In diesen Zusammenhang gehört auch die zeitgenössische ideologische Interpretation der 1933 bereits konstituierten internationalen architektonischen Moderne: Wie modern wollte und konnte sich ein konservativ-autoritäres politisches System präsentieren, und was waren eventuelle gestalterische Alternativen?

      Eine weitere Möglichkeit besteht in der Überprüfung der an der Architekturproduktion beteiligten Personen. Fehlt ein formales Programm, kommt dem Gestaltungsanteil, den die Planer selbst auf der Basis ihrer Ausbildung, ihrer Erfahrung, ihres beruflichen Werdegangs und vielleicht auch ihrer persönlichen politischen Einstellung einbringen, umso höhere Bedeutung zu. Die meisten im Austrofaschismus beschäftigten Architekten (Architektinnen waren sehr rar und erhielten keine großen offiziellen Aufträge) standen 1933 bereits mitten in der Praxis – allen voran Clemens Holzmeister, der mit dem Krematorium einen wichtigen sozialdemokratischen Identifikationsbau entworfen hatte und schon 1933 als Parteigänger des sich faschisierenden Regimes und bald auch als politischer Funktionär aktiv wurde. Kein Preisgericht, keine Jury, keine Kommission sollte bis 1938 ohne ihn auskommen.26 1938 entzog sich Holzmeister den Nazis durch Verbleib in der Türkei, so dass er nach Kriegsende in Österreich als politisch unbelastet an seine früheren Erfolge anschließen konnte. – Eine so lange Permanenz über mehrere politische Systeme hinweg war nicht unbedingt eine Ausnahme: Robert Kramreiter, ein enger Mitarbeiter des deutschen Kirchenbauers Dominikus Böhm, brachte – ähnlich wie Holzmeister – seine deutschen Erfahrungen nach Österreich mit, wo er vorwiegend im Kirchenbau tätig war. 1938 ging er nach Spanien, wo er für die Botschaft des Deutschen Reichs baute, um nach 1945 wieder im österreichischen Kirchenbau Fuß zu fassen.27 – Viele Mitarbeiter des Wiener Stadtbauamts, die dort teilweise noch vor 1918 eingetreten waren, blieben bis nach 1945 in ihren Positionen zum Beispiel Franz Wiesmann, Erich Leischner und Karl Ehn.28 Zahlreiche Architektenkarrieren, die im Austrofaschismus begannen, verliefen nach 1945 höchst erfolgreich – etwa jene von Georg Lippert. – Viele fortschrittliche Architekten, meist jüdischer Herkunft und/oder politisch links orientiert, verließen in den 1930ern das Land, als sich eine ohnedies latent vorhandene antisemitische Stimmung immer deutlicher und drohender breit machte.29 Josef Frank, 1932 mit der Wiener Werkbundsiedlung auf dem Zenit seines Erfolges und spiritus rector der fortschrittlichen Fraktion des Österreichischen Werkbunds, ging 1933/1934 nach Schweden, hielt aber noch Kontakte nach Österreich. „Haus und Garten“, ein Einrichtungshaus, das Frank zusammen mit Oskar Wlach in Wien betrieb, bestand noch bis 1938 und wurde dann „arisiert“.

      Bei der Architekturproduktion der Jahre 1933–1938 soll differenziert werden zwischen der vom Staat, von der Einheitspartei Vaterländische Front (VF) und den Institutionen gewollter Architektur und solcher, die auf dem privaten Sektor produziert wurde. Gibt es deutliche formale Unterschiede? Kommt es zu Überschneidungen und Überlagerungen, zum Beispiel durch die Architektenpersönlichkeiten? Wurde die Vergabe von Förderungen von bestimmten Parametern abhängig gemacht? Einen besonderen Bereich bildet die Kirche als Auftraggeberin. Sie hatte sich sehr zu ihrem eigenen Vorteil vom Staat vereinnahmen lassen. Ihre Projekte wurden selten staatlich finanziert, dienten aber als willkommener Hintergrund für Staatsaktionen und Präsenz der Politik. – Über die gebaute Architektur hinaus gab es eine Reihe unrealisierter Projekte und auch eine Flut an ephemeren Aktionen, sorgfältig inszenierte Massenveranstaltungen wie den Katholikentag 1933 oder das Dollfuß-Begräbnis, außerdem kirchliche und profane Prozessionen, Umzüge, Feste etc., deren minuziöse Gestaltung und Regie ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur visuellen Kultur des Austrofaschismus lieferte.

      Zur Beziehung zwischen Politik und Kunst in autoritären Systemen hat Susan Sontag angemerkt, dass nicht die Kunst politischen Zwecken untergeordnet wurde, sondern dass „die Politik sich die Rhetorik der Kunst aneignete.“30 Das stimmt jedenfalls für das faschistische Italien, wo die Politik die Architektur als Staatskunst für sich zu vereinnahmen verstand.31 In der Türkei bediente sich die Regierung mit Clemens Holzmeisters fertig konzipierter Staatsarchitektur eines programmatischen Kulturimports aus Mitteleuropa.32 – Sontags Annahme setzt die Existenz einer verständlichen künstlerischen Rhetorik voraus. Am oben gezeigten Wiener Beispiel, dem Wohnbau in der Tautenhayngasse, war dies allerdings die formale Rhetorik des politischen Gegners Sozialdemokratie. Absicht oder Verlegenheit? Einzelfall oder Regel? Hat diese Rhetorik die älteren sozialdemokratischen Inhalte kommuniziert, oder wurde sie mit den geringfügigen Veränderungen (Schrift und Figur) als austrofaschistisch verstanden?

      Nach einer Untersuchung der oben aufgezeigten Fragen in typologischen Blöcken will diese Arbeit Friedrich Achleitners Frage, ob es denn eine austrofaschistische Architektur überhaupt gegeben hat, beantworten. Diese Antwort ist wichtig, denn sie kann einerseits eine von der Kunstgeschichte weitgehend vergessene Epoche wieder sichtbar machen und andererseits einen Beitrag zur komplizierten Problematik einer Architektur autoritärer Systeme liefern. Wichtig ist die Antwort auch, weil die Architektur der 1930er Jahre auch Hinweise auf mögliche Kontinuitäten (aber auch Brüche) aufzeigen kann, die in die zweite Nachkriegszeit hinein reichen.

       Historischer Hintergrund33

      Seit Mitte 1921 wurde die junge Republik Österreich von konservativen Koalitionen regiert, während die Bundeshauptstadt Wien schon seit 1919 sozialdemokratisch war. Wien konnte bis 1933/1934 ein umfangreiches soziales, politisches und kulturelles Reformprogramm umsetzen, das insbesondere durch seine überragende Wohnbauleistung Weltgeltung erlangte.34 Das Verhältnis zum Bund war spannungsreich, die Gegensätze zwischen urbaner, sozialdemokratisch dominierter Großstadt und katholisch-agrarisch-konservativer Landbevölkerung allzu groß. Auf Bundesebene gewannen im Lauf der 1920er Jahre die rechten paramilitärischen Heimwehren oder Heimatschutz-Verbände35 zunehmend politischen Einfluss. Sie waren nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie zur Verhinderung der Bildung von Räterepubliken und zur Grenzsicherung entstanden. Als Gegenpol dazu gründeten die Sozialdemokraten den Republikanischen Schutzbund. Die sich radikalisierende politische Stimmung eskalierte 1927 mit den Julidemonstrationen gegen das Urteil im Schattendorf-Prozess, bei dem Angehörige einer Heimwehrgruppe freigesprochen wurden, die eine sozialdemokratische Versammlung beschossen, zwei Personen (darunter ein Kind) getötet und fünf Personen verletzt hatten. In den Auseinandersetzungen, in denen die Polizei mit Waffen gegen die DemonstrantInnen vorging, verloren 84 Protestierende und fünf Polizisten ihr Leben. 1929 unterstrich der christlichsoziale Bundeskanzler Seipel die Bedeutung der Heimwehren für die Befreiung der Demokratie „von der Parteienherrschaft“ und deutete damit bereits die Hoffnung auf ein Ende


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