Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky
organisierten Führerstaat. In Folge der Weltwirtschaftskrise verschlechterte sich um 1931 die wirtschaftliche Situation in Österreich. Durch die Annahme der Lausanner Anleihe 1932 akzeptierte Österreich neuerlich ein Anschlussverbot an Deutschland.
Im Juni 1932 sprach der Justizminister und spätere Kanzler Kurt Schuschnigg bereits eine Parlamentsausschaltung an.37 Benito Mussolini, an einem Pufferstaat zwischen Italien und Nazideutschland interessiert, förderte die Faschisierungsbestrebungen in Österreich, versorgte die Heimwehren mit Waffen und forderte Dollfuß zur Zerschlagung der Sozialdemokratie auf.38
Am 4. März 1933 traten während einer Sitzung im österreichischen Parlament alle drei Parlamentspräsidenten zurück. Diese Blockade nützte die Regierung Dollfuß zur Anwendung von Notverordnungen auf der Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917. Damit begann in Österreich der von Konservativen und Heimwehr erhoffte politische Umbau, der alles verändern sollte und der dennoch nicht durch die Revolution einer oppositionellen Gruppe, sondern durch die Kontinuität der Macht geschah: Die amtierende demokratisch gewählte Regierung, bestehend aus Christlichsozialen, Landbund und Heimatblock, baute das Land mit Unterstützung der Heimwehren von einer parlamentarischen Demokratie zur autoritären Diktatur um. Hilfestellung dabei gaben Exekutive und Kirche. Harmonisierung statt Klassenkampf, die Ausschaltung des Mehrparteiensystems und sein Ersatz durch die vom Vorbild des italienischen Partito Nazionale Fascista angeregte Einheitspartei Vaterländische Front, der Katholizismus als Staatsreligion, der Rückgriff auf die mittelalterliche berufsständische Gesellschaftsordnung und ein fanatischer Antibolschewismus bildeten die ideologische Basis eines Regimes, das als einziges in Europa auch einen Konkurrenzfaschismus im eigenen Land zu bekämpfen hatte, nämlich den des Nationalsozialismus.39 Im September 1933 hielt Bundeskanzler Dollfuß seine programmatische „Trabrennplatzrede“, in der er die zentralen Themen der nächsten Jahre ansprach: Antiliberalismus, Antimarxismus, Antidemokratismus, Antinazismus, Deutschtum, Katholizismus, Einparteienstaat und Umbau zu einer berufsständischen Gesellschaftsordnung nach Vorbild der Zeit vor der Aufklärung.40 Nach dem italienischen Vorbild wurde diese Rede als „österreichischer Marsch auf Rom“ apostrophiert.41 Zugleich fand in Wien der Deutsche Katholikentag statt, so dass die Kirche als Stützpfeiler des Regimes in einer Art Doppelveranstaltung in den Vordergrund gestellt wurde, obwohl man nicht müde wurde, den unpolitischen Charakter des Katholikentags zu betonen.
Während die Faschisierung auf Bundesebene 1933 voranschritt, blieb Wien zunächst für fast ein Jahr weiterhin die verhasste rote Enklave im schwarzen Österreich. Wien war aber auch Bundeshauptstadt und geriet damit in die paradoxe Situation, 1933 einige der ersten, wichtigsten und richtungsbestimmenden Manifestationen der sich faschisierenden Regierung erleben zu müssen.
Die endgültige und blutige Ausschaltung der Sozialdemokratie erfolgte mit dem Bürgerkrieg vom 12. Februar 1934 durch Polizei, Bundesheer und Heimwehren. Wiener Gemeindebauten wurden beschossen, etwa 1.600 Menschen starben. Bürgermeister Karl Seitz wurde vom Rathaus weg verhaftet, die Institutionen und Medien der Sozialdemokratie sowie die Partei selbst aufgelöst und verboten, Protagonisten des Widerstands gefangengesetzt oder standrechtlich ermordet.42
In Wien wurde bereits am 13. Februar 1934 der Christlichsoziale Richard Schmitz als Bürgermeister eingesetzt; schon am 31. März, ein Monat vor der neuen Bundesverfassung, wurde eine neue ständische und autoritäre Stadtverfassung erlassen. Schmitz hielt eine Antrittsrede, in der er einen zentralen Bezugspunkt des Austrofaschismus thematisierte: Er wollte an die Epoche des christlichsozialen Bürgermeisters Karl Lueger anschließen, die in der Geschichte der Stadt Wien „am hellsten erstrahlte“.43 Die Stützen des Regimes waren der bürgerliche Mittelstand, die katholische Kirche, das Militär und die Heimwehren.44 Rasch wurde eine Stadtvertretung eingesetzt und ein Investitionsprogramm beschlossen, das unter anderem den Bau der Höhenstraße, der Wientalstraße und ein Assanierungsprogramm umfasste, das die bürgerliche Mittelschicht, kleine Industrielle, Kleingewerbe und Handwerk, Beamte und Hausbesitzer als Zielgruppe favorisierte.45
Bei dieser Gelegenheit wurden einige sozialdemokratische Gesetze, wie die zweckbestimmte Wohnbausteuer, aber auch Steuern auf Reitpferde, Kutschen und Hausgehilfinnen oberschichtfreundlich zurückgenommen.46
Bereits im März 1934 erfolgte mit der Unterzeichnung der Römischen Protokolle eine Vereinbarung zwischen Österreich, Italien und dem faschistischen Ungarn unter Horthy zur verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Italiens Einfluss im Donauraum sicherte.
1934 wurde die neue österreichische Verfassung just am 1. Mai, dem Feiertag des politischen Gegners Sozialdemokratie, eingesetzt und in den Folgejahren als Jahrestag der Verfassungsverkündung, Tag der Arbeit und Muttertag gefeiert.47 „Im Namen Gottes, des Allmächtigen“ deklarierte sie Österreich als „ christlichen deutschen Staat auf ständischer Grundlage.“48 Damit war die parlamentarische Demokratie in Österreich offiziell beendet. Es gab nur mehr die von der Bundesregierung unter Dollfuß 1933 gegründete Einheitspartei „Vaterländische Front.“ Es folgte die Institutionalisierung einer Reihe repressiver Maßnahmen, unter anderem die Einweisung politischer Gegner in „Anhaltelager“, der Ausbau des Sicherheitsapparates, die Einführung von Sondergerichten und Doppelbestrafungen.49
Eine wichtige Zäsur in der Geschichte des Austrofaschismus war die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß während des nationalsozialistischen Putschversuchs im Juli 1934. Unter Dollfuß’ Nachfolger, Bundeskanzler Schuschnigg, wurde ein veritabler Dollfuß-Kult initiiert, der sich in einer Fülle von Denkmälern, Straßenumbenennungen und Gedenkveranstaltungen mit zahlreichen Bezügen auf Jahrestage und Jubiläen in ganz Österreich niederschlug und der den toten Kanzler mit Hilfe der Kirche in den Rang eines inoffiziellen vaterländischen Märtyrers erhob. Sogar von Wundern wurde berichtet, man setzte sich für eine Seligsprechung von Dollfuß ein.50
Neben Dollfuß- und Lueger-Verehrung gab es einige weitere zentrale Bezugspunkte für ein „Österreich-Bewusstsein“, das das Regime zur Wahrung der österreichischen Eigenständigkeit und als Abgrenzung gegen Deutschland zu schaffen bemüht war. Dazu gehört die Beschwörung der habsburgischen Vergangenheit im Sinn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – katholisch-gegenreformatorisch-“abendländisch“ im Gegensatz zu „protestantisch-preußisch oder heidnisch-nationalsozialistisch“51 und zugleich ein eigenes österreichisches, katholisches und vor allem kulturell begründetes „Deutschtum“ propagierend. Für das „Österreich-Bewusstsein“ wurden Traditionen in Kunst, Literatur, Musik und Wissenschaft ebenso instrumentiert wie die österreichische Landschaft. Bevorzugte Bezugsepochen waren das Barock, traditionell als besonders glorreiche Epoche österreichischer Geschichte rezipiert, und das Biedermeier als vermeintliche Epoche bürgerlicher Behaglichkeit.
Bundeskanzler Schuschnigg betonte weiterhin die Eigenständigkeit Österreichs. Als Mussolini Ende 1935 einen völkerrechtswidrigen Eroberungskrieg gegen Abessinien begann, unterstützte Österreich die Sanktionen des Völkerbunds gegen Italien nicht und geriet zunehmend in Isolation.52 Italien erhielt Beistand von Deutschland, und 1936 formierte sich die „Achse Berlin-Rom.“ Ein deutsch-österreichisches Abkommen vom Juli 1936 sicherte Österreich weiterhin Selbständigkeit zu, in einem Zusatzabkommen, dem „Gentlemen-Agreement“, wurde jedoch umfassende deutsche wirtschaftliche und politische Einmischung vereinbart. Schuschnigg unterzeichnete im Februar 1938 bei Hitler in Berchtesgaden ein Abkommen, das umfangreiche Zugeständnisse an Deutschland machte: Österreichische Nazi wurde amnestiert und legalisiert, der Nationalsozialist Arthur Seyss-Inquart wurde als Innenminister in die Regierung aufgenommen. Schuschnigg plante für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung zur Selbständigkeit Österreichs, die durch den Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 11./12. März verhindert wurde. Seyss-Inquart wurde zum Regierungschef ernannt und vollzog umgehend die Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich. Damit war der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland vollzogen.
DER DEUTSCHE KATHOLIKENTAG 1933 IN WIEN ALS AUFTAKT DIE PROTAGONISTEN BETRETEN DIE BÜHNE
Im Jahr seiner Konstituierung