Selbstverständlich ist nichts mehr. Hans Bürger
der Konsument nicht nur im Angebotswahnsinn aufgegeben, sondern auch noch eine unüberlegte, dann bereuende Entscheidung getroffen hat. Etwa weil die Schönheit der BiN (Bilder im Netz – Abkürzungscopyright beim Autor) jene der Realität am Urlaubsort eine Spur übertroffen oder sich das Hochqualitätsprodukt auf der Homepage nach Lieferung als Nachahmungsmist entpuppt hat.
Aber auch wenn es die für ihn letztlich doch passende Option geworden ist, erlebt der Mensch von heute ein mittel- oder langfristig zum Verbrauch gedachtes Produkt noch als sinnstiftendes Objekt? Wie lange dauert die Freude? Überlegen Sie für sich selbst. Fernseher, iPad, Auto, Fidget Spinner … egal, wie groß oder klein, wie teuer oder billig. Wie lange hält sie?
Vernachlässigung der Ich-Kräfte
Natürlich ist es heute möglich, einfach so dahinzuleben. Keine großen Fragen. Schon gar keine Ratgeber, auch keine Soziologen oder Psychologen. Der Alltag ist hart genug. Doch wenn man in einer stillen Minute einen Menschen befragt, wie es ihm denn wirklich gehe und ob er denn ein halbwegs glückliches Leben führe, kommen meist wenig euphorische Antworten, die sich im Österreichischen dann in etwa so anhören: „Geht schon.“ – „Passt schon irgendwie.“ – „Was soll’s, so ist das Leben.“ – „Einmal so, einmal so.“ – „Eh gut.“ – „Kein Unglück ist genug Glück.“ Und je weiter in Österreich nach Osten gehend, klingt es dann eher so: „Geh bitte, wer ist heutzutage schon glücklich“ bis zu „Was soll diese depperte Frage?“ oder „Was geht dich das an, ob ich glücklich bin, kümmere dich um deinen eigenen Mist“. Meine persönliche Nummer eins wurde von einem Dialektsänger in Wien geboren: „Mia is wurscht.“ (Mir ist das alles egal.)
Irgendwie erstaunlich. Denn was fehlt dem Menschen denn heute in den Wohlstandsgesellschaften? Und damit sind nicht jene Mitglieder in den Wohlstandsgesellschaften gemeint, denen es ohnehin finanziell an allen Ecken und Enden fehlt, die gerade noch mit dem Alltag zurechtkommen und die mit Fug und Recht behaupten könnten, dass sie eigentlich nicht sehr glücklich sein können. Interessanterweise ist die allgemeine Zufriedenheit aber gerade in jenen Bevölkerungsschichten höher, als sie es im obersten Einkommensdrittel der Gesellschaft ist.
Warum geht es Menschen subjektiv nicht so gut, obwohl es ihnen objektiv gut gehen sollte? Oft, weil sie deutlich spüren, dass mehr möglich wäre, mehr als dieses einfache Dahinleben.
Wie könnte mehr möglich sein? Wie könnte dieses Umdenken auch politische, vielleicht auch ökonomische Abläufe beeinflussen?
Ich darf Sie nun zu einer Reise einladen. Zu einer Reise menschlichen Denkens vom Recht auf Faulheit vor einigen tausend Jahren über ein strenges Pflichtbewusstsein, umrahmt nicht selten von schlechtem Gewissen in arbeitsfreien Stunden, und wieder zurück zum Ursprung und der neuerlichen Frage, einige tausend Jahre später: Haben wir nicht auch ein Recht auf mehr Zeit zur Muße, auf Momente des Nachdenkens und mehr Erfüllung statt Fülle?
VORARBEIT
Es war einmal.
Ja, es war einmal tatsächlich auch eine Zeit vor der Arbeit.
Jedenfalls eine Zeit vor dem, was man heute gemeinhin unter dem Begriff Arbeit versteht. Wirklich positiv war der Begriff nie besetzt. Im Lateinischen kommt das Wort Arbeit von arvum, dem Acker, und bezog sich im Wesentlichen auf die harte Feldarbeit. Das lateinische Wort laboro bedeutet neben arbeiten auch sich abmühen, leiden, geplagt werden oder in Sorge sein.
Archäologen datieren den Ursprung der Arbeit mit rund 10.000 Jahren vor Christi Geburt, als die Menschen begannen, sesshaft zu werden und ihre Überlebensmittel selbst herzustellen. Was bereits Arbeit gewesen war. Es folgte die Viehhaltung, und irgendwann erkannten die Menschen, dass sie auch mehr erzeugen konnten, als sie selbst zum Leben brauchten. Mit dem, was von der Nahrungsmittelproduktion „für andere“ übrig geblieben war, konnten Arbeiter dafür, dass sie bei der Produktion mithalfen, entlohnt werden. Hilfehandel sozusagen. Oder ein „Wie du mir, so ich dir“ im positiven Sinne.
In der griechischen Antike war Arbeit verpönt. Man überließ sie Sklaven und Frauen. Wer etwas auf sich hielt und sich das auch leisten konnte, gab sich ganz der Muße, dem Denken, der Philosophie hin. Der Dichter der Antike, Homer, er soll rund 850 vor Christi Geburt gelebt haben, ließ stets den Müßiggang hochleben, Arbeit galt als etwas Negatives. Und für den Schriftsteller Xenophon galt rund 400 Jahre später noch immer: Arbeit verhindere Muße und verdränge die Zeit für soziales Denken und Handeln. Weitere 100 Jahre danach sieht der Philosoph Aristoteles Arbeit als das Gegenteil von Freiheit. Bei den Römern sah die Lage nicht viel anders aus. Marcus Tullius Cicero, der bis 43 vor Christi Geburt lebte, schrieb in seinen „De officiis“ (Vom pflichtgemäßen Handeln): „Eines Freien unwürdig und schmutzig sind ferner die Erwerbsformen aller Tagelöhner, deren reine Arbeitsleistung – und nicht deren besondere Fähigkeiten – erkauft werden. Denn es ist bei ihnen der Lohn ja nichts weiter als einem Handgeld für eine Knechtstätigkeit.“ 6
Ehrenvoll sind für Cicero nur Tätigkeiten, an denen größere Klugheit beteiligt ist oder durch die ein „nicht mittelmäßiger Nutzen“ 7 angestrebt wird, wie sie Mediziner, Architekten, Gelehrte und Händler ausüben; Letztere nur dann, wenn sie in großen Geschäften tätig sind und Waren von überallher heranschaffen. Beide Formen, also die des Geistes und die der Handarbeit, werden erst im Christentum positiv bewertet. Schließlich sind Jesus und seine Jünger zunächst selbst Handwerker und Fischer.
Auch im Mittelalter bleibt die Arbeit grundsätzlich etwas Unangenehmes. Ein notwendiges Übel, um nicht zu verhungern. Der Wert des Lebens lag im Spaß, den man hatte. Feiern, tanzen, das Leben genießen. Und ein Jahr hatte 100 Feiertage. Zumindest für die Adeligen. Da gilt es, die Freuden des Lebens auszunützen. Materieller Wohlstand wird damals als sündhaft angesehen, wozu also mehr arbeiten, als unbedingt notwendig ist. Ab dem 12. Jahrhundert kommt es zu einer Art Dreiteilung: Kleriker, Ritter, Arbeiter. In den späteren Jahrhunderten entsteht erstmals der Begriff „arbeitsscheu“. Wer also nicht arbeitet oder sich als Bettler, Dieb, Verbrecher, Zuhälter oder Hure herumtreibt, wird zusehends geächtet.
Mit Martin Luther ist es schließlich soweit. Das Bild dreht sich komplett und hält bis heute. 1483 im heutigen Sachsen-Anhalt als Martin Luder geboren, zerbricht sich Luther schon als Jugendlicher den Kopf über das Freikaufen von Sünden, das Kirchenleute immer reicher und reicher macht. Luther findet das heuchlerisch und schlägt seine 95 Thesen gegen dieses Treiben an die Holzpforte der Schlosskirche Wittenberg. Sein Hauptfeind ist der Papst, seine Erneuerung (lateinisch reformatio) gewinnt in Deutschland immer mehr Anhänger. Und Luther lobpreist die Arbeit: „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“
Der als Humanist gefeierte Freiheitskämpfer hält die Lohnarbeit hoch und verteufelt den Müßiggang, der eine Sünde wider Gottes Gebot sei. In dieser Zeit werden die Gemeinrechte für Bauern beschnitten, ihre soziale, rechtliche und wirtschaftliche Stellung verschlechtert sich immer mehr, die schrecklichen Bauernkriege folgen. Die Bauernschaft verliert die Kriege und 100.000 Menschenleben. Die Bauern müssen alle Nutzungsrechte von Weiden abtreten und werden so zu Zwangsarbeitern unter Lehnsherren oder in Fabriken.
Johannes Calvin, ein Reformator französischer Abstammung und Begründer des Calvinismus, der ab 1535 vor allem in der Schweiz gewirkt hat und 1564 dort gestorben ist, formuliert es viel drastischer als Martin Luther: „Unsere Arbeit, unser Broterwerb ist Gottesdienst und heilig. Müßiggang und Prasserei sind es, die die Menschen verderben. Darum arbeitet fleißig und lebt bescheiden, meidet Rausch, Tanz und Spiel. Das sind die Versuchungen des Teufels.“8
Diese beiden Reformatoren des 16. Jahrhunderts sind der Ansicht, dass für jeden schon vor der Geburt feststeht, ob man zu den Auserwählten oder zu den Verdammten gehört. Man wisse das aber nicht. Nur der totale Fleiß sowie Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit würden im Jenseits die Erlösung bringen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Mit Luther und Calvin ist die Arbeit zum ersten Mal positiv