Politische Justiz. Otto Kirchheimer
von 1899), S. 258.
11 Aus der Käuflichkeit der richterlichen Ämter erwuchsen dem französischen König erhebliche Schwierigkeiten bei der Absetzung unerwünschter Richter; siehe weiter unten Kapitel VIII, Abschnitt I.
12 In einer ungünstigeren Lage als seine Kollegen in den konstitutionellen Monarchien war von Anfang an der französische magistrat der Dritten Republik. Wenn Gesellschaft und offizielles Staatsgebilde, wie es in der parlamentarischen Republik den Anschein hatte, eins werden, kehrt sich der Richter mit verdoppelter Energie gegen die »Feinde der Gesellschaft«, denen dann in der Münze heimgezahlt wird, die sie in Umlauf gebracht haben sollen. Besonders klar trat das bei zahlreichen Anarchistenprozessen zutage; vergleiche zum Beispiel Élisée Reclus: L‘Évolution, la Révolution et l’Idéal anarchique, Paris, 1898, S. 101 f.
Kapitel II
Wandel in der Struktur des Staatsschutzes
Für die Unterscheidung des politischen Handelns von anderen Typen gesellschaftlichen Handelns gibt es keine allgemeingültigen Kriterien. Politisch nennt man das, wovon man annimmt, dass es in besonders engem Zusammenhang mit den Interessen des organisierten Gemeinwesens stehe. Jede herrschende Gruppe, Klasse oder Person bildet entsprechend der Vorstellung, die sie sich von ihren eigenen Bedürfnissen macht (und die sich nicht immer mit ihren »objektiven« Bedürfnissen deckt), Maßstäbe heraus, nach denen sich entscheidet, welche Handlungen als sträflich gelten und wann sie als so gravierend angesehen werden, dass gegen sie öffentlich eingeschritten wird. In diesem Sinne können im Laufe der Zeit unzählige »politische« Geschehnisse zur öffentlichen Rechtssphäre geschlagen werden, aus ihr ausscheiden und wieder in sie einbezogen werden. Unter vielen römischen Kaisern wurde häufig der geringste Unterlassungsakt, der sich als Zeichen mangelnden Respekts deuten ließ, als Verstoß gegen die maiestas behandelt; dazu konnte die Unterlassung einer Ehrenbezeigung vor einem Bildnis des Herrschers ebenso gehören wie die an einen Wahrsager gerichtete Frage nach den Gesundheitsaussichten des Kaisers.1
Unserer heutigen westlichen Gesellschaft gilt ein gewisses Maß an Missachtung der jeweiligen obersten Gewalten als Beweis für die Vorherrschaft politischer Freiheit; manchen Trägern der Staatsgewalt erscheint daher eine solche Missachtung der Autorität als psychologisch zuträgliches Zugeständnis an den Geist der Zeit. In anderen Gebietsbereichen werden indes dieselben Tatbestände von den Trägern der Staatsgewalt zum Anlass genommen, die Gesetzbücher mit neuen Bestimmungen zum Schutze ihres Erbteils gegen dessen Verächter zu füllen.
Als sich Heinrich II., der erste Plantagenet-König, mit seinem Kanzler Thomas à Becket, Erzbischof von Canterbury, stritt, war für beide der Zuständigkeitsdisput zwischen Staat und Kirche der eigentliche Inhalt des politischen Machtkampfs. In unserem Zeitalter und in unserem politischen Klima werden solche Auseinandersetzungen eher in Abstimmungen über staatliche Zuschüsse als mit Strafbestimmungen ausgetragen. Schlimmstenfalls geben sie – in katholischen Ländern – den Gegenstand von Beleidigungsklagen mit politischen Untertönen ab. Und der Bischof von Prado kann sich darüber entrüsten, dass der Anspruch der ihm unterstehenden Geistlichen, das Verhalten einzelner Mitglieder ihrer Gemeinde von der Kanzel aus öffentlich zu brandmarken, vor einem Gericht der Italienischen Republik angefochten wird und dass dies weltliche Gericht den beschimpften Gemeindemitgliedern recht gibt.2
Viel strenger ist unser Zeitalter in Fragen der äußeren Staatssicherheit und des Schutzes von Staatsgeheimnissen geworden. Ende des 18. Jahrhunderts, zu Zeiten des Oberrichters Lord Mansfield, wurden geschäftliche Beziehungen zwischen Angehörigen von Ländern, die miteinander Krieg führten, bedenkenlos toleriert; unser Zeitalter betrachtet sie als landesverräterisches Unternehmen. Angesichts der verfassungsmäßigen Rolle, die einer modernen »staatsfreundlichen« und regelmäßig am offiziellen politischen Spiel teilnehmenden Partei zugestanden wird, kann es sogar als logisch erscheinen, dass sich der Schutz der Staatsgeheimnisse auch auf die Privatakten einer politischen Partei erstreckt.3 Einen solchen Staatsschutz für Parteigeheimnisse hätte das 19. Jahrhundert als sinn- und zwecklos abgelehnt, denn es sah in den Parteien günstigstenfalls das Sprachrohr amorpher Massen, die in die Zitadelle der Staatsgewalt einzubrechen trachteten.
In gewissem Umfang hält sich auch noch unsere Gesellschaft an die Unterscheidung zwischen inimicus, dem privaten Widersacher, und hostis, dem Feind des Gemeinwohls. Wenn private Konflikte von strafwürdigem politischem Handeln abgehoben werden sollen, hat diese Unterscheidung als Richtschnur ungefähr dieselbe Bedeutung, wie wenn man die objektiven Wesenszüge und Entwicklungstendenzen des Kapitalismus den persönlichen Eigenschaften der kapitalistischen Unternehmer gegenüberstellt. In der Praxis können beide Elemente ineinandergreifen und einander verstärken. Private Zwistigkeiten zwischen Menelaos und Paris wurden oft zu einem großen Troja-Feldzug aufgebauscht. Nicht immer bleiben die öffentlichen Folgen privater Feindschaften auf so Geringes beschränkt wie im Falle der Entrüstung Bismarcks über seinen allzu eigenwilligen Botschafter Harry von Arnim, der am Ende nicht mehr entsprungen ist als eine obskure strafrechtliche Klausel.4 Ein Hochverratsdelikt machte der Tudor-König Heinrich VIII. aus dem Versäumnis der Königsgemahlinnen, den gekrönten Ehemann vom vorehelichen Verlust der jungfräulichen Tugend zu unterrichten.5 Despotische Herrscher des Altertums legen ebenso wie politische Machthaber der Neuzeit, die in der psychologischen Atmosphäre des Einparteienstaates agieren, die Tendenz an den Tag, die Scheidewand zwischen privaten Erwägungen und öffentlichen Bedürfnissen je nach Bedarf zu überspringen, beiseite zu schieben oder zu beseitigen, ja schließlich beides unterschiedslos im Stile Hermann Görings ineinander übergehen zu lassen.
1. Die Anfänge
In all seiner Vielfalt und Verschiedenartigkeit spiegelt sich das wechselnde Schutzbedürfnis des Staates in der Geschichte der Staatsschutzgesetzgebung wider, wobei sich hinter dem Wort »Staat« wiederum die mannigfaltigsten Formen der öffentlichen Organisation verbergen können. Der griechischen Polis, der römischen res publica, dem feudalen König, dem Ständestaat, der absoluten Monarchie, den konstitutionellen Regimes des 18. und 19. Jahrhunderts, der Massendemokratie und der totalitären Massengesellschaft sind verschiedene Vorstellungen über ihr Verhältnis zum Volk eigen, und eben diese Vorstellungen finden ihren Niederschlag im Wesen und in der Gestalt der Gesetze zum Schutze des Staates. Wo schon in früheren Zeiten sozusagen inhaltliche Bestimmungen auftreten, sind sie Ausdruck der Notwendigkeit, konkrete Gefahrensituationen formelhaft festzuhalten: Da geht es um den Versuch der Königssöhne, sich des väterlichen Amtes zu bemächtigen, um die unerlaubte Tötung von Geiseln, um die Unterstützung des Feindes bei der Einnahme einer Festung. Der frühe römische Begriff der perduellio wurde, seit sich die Volkstribunen dieses Rechtsmittels bemächtigt hatten, zum Instrument für konkrete politische Situationen, vor allem zur Abwehr der Plebs- und Tribunenfeindlichkeit der Aristokratie.6
Wenn schon die Definition der perduellio, wie sie in die Sprache der späten römischen Gesetzgebung7 eingegangen ist, das subjektive Element, den animus gegen die res publica, betonte, so wird der Begriff des crimen laesae maiestatis, der zum Teil perduellio verdrängt, erst recht zum