Politische Justiz. Otto Kirchheimer

Politische Justiz - Otto Kirchheimer


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Siehe das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1954, StE 68/52 und 11/54, in {Bundesanwalt Dr. Walter Wagner (Hg.):} Hochverrat und Staatsgefährdung. Urteile des Bundesgerichtshofes, {Band I,} Karlsruhe, 1957, S. 19-73.

      Kapitel III

      Der politische Prozess

      »Laßt uns die Übel der Stadt auf den Mönch abwälzen und sie damit alle loswerden!«

      Bernardo Rucellai über Savonarola

      Dies Kapitel fängt mit einer Klarstellung an. Gibt es einen Unterschied zwischen der gerichtlichen Erledigung gewöhnlicher Strafrechtsfälle und dem politischen Prozess? Und wenn ja, was ist es, wodurch sich die beiden Arten von Prozessen voneinander unterscheiden? Zunächst wird eine Antwort auf diese Fragen skizziert.

      Sodann werden an Hand von drei historischen Episoden die Hauptkategorien der politischen Prozesse veranschaulicht. Im Vordergrund stehen: 1. Der Prozess, in dem eine mit politischer Zielsetzung verübte kriminelle Tat abgeurteilt und die Verurteilung des Täters um bestimmter politischer Vorteile willen angestrebt wird; 2. Der klassische politische Prozess, mit dem das herrschende Regime das politische Verhalten seiner Widersacher als kriminell zu brandmarken trachtet, um sie auf diese Weise von der politischen Bühne zu entfernen; schließlich 3. Der gleichsam abgeleitete politische Prozess, in dem zur Diskreditierung des politischen Gegners Delikte eigener Art herhalten müssen: Beleidigung oder Verleumdung, Meineid, Ungebühr vor Gericht.

      Aus der oft behaupteten Notwendigkeit verschärften Schutzes der Staatssicherheit und aus der zunehmenden Vernachlässigung der im 19. Jahrhundert für die Rechtsprechung maßgeblichen Unterscheidung der inneren und der äußeren Bedrohung des Staates sind mehrere neue Typen von Delikten hervorgegangen. Die Probleme, die daraus entstehen, werden anschließend an einigen Gerichtsfällen aus der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland illustriert.

      Aus früheren Zeiten kennen wir bereits den politischen Prozess, der außerhalb der Domäne des Rechtsstaatlichen liegt: Seine traditionellen Kennzeichen sind die Missachtung der prozessualen Rechte des Angeklagten und der Versuch, tatsächlich Geschehenes so umzubiegen oder zu entstellen, dass es sich propagandistisch ausschlachten lässt. Es wird gezeigt werden, dass sich auch noch dieser Prozess von einigen uns aus der Gegenwart vertrauten Varianten des bis ins Extrem verfeinerten Schauprozesses sehr erheblich unterscheidet.

      Im modernen Schauprozess wird das, was wirklich vorgefallen ist, im günstigsten Fall als »Aufhänger« benutzt: Um das verzerrte Faktische rankt sich eine allumfassende didaktische Sage. Wie das gemacht wird, soll einmal an den aufgegebenen Plänen des Dritten Reiches für die Inszenierung eines Prozesses Grünspan, zum andern an der Verwendung der äußeren Form des Gerichtsverfahrens für die Konstruktion einer erdichteten Ersatzwirklichkeit dargetan werden, wie sie im Sowjetbereich vor allem in der Ära Stalin nach den jeweiligen Bedürfnissen des Regimes praktiziert wurde.

      Zum Schluss muss die Frage aufgeworfen werden, wovon die Aussichten eines Regimes abhängen, mit einem Prozess politische Wirkungen zu erzielen, die über die Beseitigung des Gegners hinausgehen. Damit hängt die Frage zusammen, in welchem Maße ein politischer Prozess dazu beitragen kann, dem allgemeinen Bewusstsein eine bestimmte Interpretation der Vergangenheit


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