Epistolare Narrationen. Margot Neger
illud εἷς οἰωνὸς ἄριστος ἀμύνεσθαι περὶ πάτρης (vgl. Il. 12,243)HomerIl. 12.243.43 An die Stelle der homerischen πάτρη trat für Plinius die fides gegenüber seinem Mandanten, und so ging dieser Prozess denn auch erfolgreich aus (4): illa actio mihi aures hominum, illa ianuam famae patefecit. Zum Schluss fordert Plinius Sueton dazu auf, seinem exemplum zu folgen (5) – andernfalls44 werde er schon für eine Aufschiebung der Verhandlung sorgen (6). Der BriefPlinius der JüngereEpist. 1.18 ist vordergründig als Diskussion über Möglichkeiten der Traumdeutung „getarnt“, behandelt jedoch als eine Art narrative Analepse im Kontext von Buch 1 eine wichtige Phase in Plinius’ Biographie als Prozessredner ‒ seine ersten Anfänge auf diesem Gebiet ‒ und stellt überdies seine Unerschrockenheit und Charakterstärke heraus. Zudem parallelisieren die Anspielungen auf Homer und Cicero Plinius’ Auftreten vor dem Zentumviralgericht mit Heldentaten aus der Welt des Epos und der römischen Republik.45Plinius der JüngereEpist. 1.18
1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2
Mit dem BriefpaarPlinius der JüngereEpist. 2.11/12 2,11‒121 begegnen wir zum ersten Mal der ausführlichen Schilderung einer Verhandlung, die unter Kaiser Trajan stattfand: dem Repetundenprozess gegen Marius Priscus, den Statthalter der Provinz Africa.2 Plinius stilisiert diesen Prozess zum ersten großen Fall in der Briefsammlung, obwohl er davor schon Baebius Massa in einem Repetundenprozess angeklagt hatte – eine nähere Beschreibung dieses Falles folgt allerdings erst in Epist. 7,33Plinius der JüngereEpist. 7.33.3 Hatte sich Plinius in Buch 1 vermehrt als Sympathisant der Opposition gegen Domitian charakterisiert, begegnet er uns in Buch 2 als jemand, der die Ideologie des neuen Kaisers Trajan tatkräftig unterstützt: „2.11 displays in its central panel Trajan overseeing exemplary justice, with P. as avenger. The implication is subtle but clear: the return of good governance, and the cardinal role of P. in its execution“ (Whitton 2013a: 156).4
Die beiden Briefe über Priscus stechen innerhalb der Sammlung formal schon insofern heraus, als hier unmittelbar hintereinander derselbe Inhalt behandelt wird und derselbe Adressat auftaucht: Maturus Arrianus, an den Plinius bereits den „Paradebrief“ 1,2Plinius der JüngereEpist. 1.2 gerichtet hatte.5 Wurden in dem früheren Brief an Arrianus nur stilkritische Fragen zu einer ansonsten nicht näher identifizierten Rede erörtert6, so erfahren wir in Epist. 2,11‒12 viel über die Hintergründe des Prozesses, jedoch kaum etwas zu Inhalt und stilistischer Ausgestaltung der Rede, die Plinius bei dieser Gelegenheit hielt. Außerdem handelt es sich bei Epist. 2,11 um den zweitlängsten Brief in Buch 27, sodass es naheliegt, diese Erzählung vom spektakulären Priscus-Prozess dem längsten Brief des Buches, Epist. 2,17Plinius der JüngereEpist. 2.17 über Plinius’ laurentinische otium-Villa, gegenüberzustellen.8 Überdies leitet Epist. 2,11Plinius der JüngereEpist. 2.11/12 die zweite Buchhälfte ein (Buch 2 umfasst 20 Briefe) und steht auch in dieser Hinsicht an exponierter Stelle.9
Der Brief beginnt mit einer Einleitung, in der zunächst die kommunikative Situation zwischen Plinius und seinem Adressaten thematisiert wird (1): Plinius, der sich in Rom aufhält, schreibt an den zwar im secessus befindlichen aber dennoch an politischen Ereignissen interessierten Arrianus10 von einer kürzlich abgehaltenen Senatsverhandlung (per hos dies) ‒ sie fand im Januar 100 statt11 ‒, die aufgrund der Stellung der Person in aller Munde (personae claritate famosum), durch das abschreckende Beispiel heilsam (severitate exempli salubre) und wegen der Bedeutung des Streitfalls unsterblich (rei magnitudine aeternum) sei.12 Mit dem letzten Glied in diesem Trikolon knüpft Plinius motivisch an Epist. 2,10Plinius der JüngereEpist. 2.10 an, wo es um die Unsterblichkeit durch Dichtung ging – nun ist Plinius drauf und dran, sich als Redner in einer denkwürdigen Senatsverhandlung zu profilieren.
Nach diesem Proömium folgt die narratio, innerhalb derer Plinius zunächst das Vorgeplänkel zur Hauptverhandlung schildert (2‒9):13 Marius Priscus wurde von der Provinz Africa, deren Prokonsul er 97‒98 n. Chr. gewesen war, angeklagt, bekannte sich des Repetundenvergehens schuldig und bat um die Einsetzung einer Senatskommission (d.h. eines Kollegiums von fünf Richtern) gemäß dem SC Calvisianum. Damit wollte er vermeiden, dass der Senat eine umfassendere Untersuchung anstellte, in der auch von Priscus begangene Kapitalverbrechen – v.a. Todesurteile gegen Geld ‒ geahndet würden.14 Plinius und Tacitus (2: ego et Cornelius Tacitus adesse provincialibus iussi)15 vertraten die Interessen der Provinz16 und argumentierten, dass die von Priscus begangenen Verbrechen die Befugnisse der Senatskommission überschritten. Es kam zu einer lebhaften Debatte (3‒4), an deren Ende sich der Antrag des designierten Konsuls Iulius Ferox durchsetzte, dass man Priscus zwar die Senatskommission bewilligen solle, aber auch seine Handlanger, denen er angeblich die Bestrafung Unschuldiger verkauft habe, herbeiholen müsse (5‒6). PliniusPlinius der JüngereEpist. 2.11/12 schließt die Beschreibung der ersten Vorverhandlung mit Gedanken zum unterschiedlichen Verhalten des Einzelnen während des Geschreis der Masse bzw. während diese schweigt (7).
Die zeitliche Distanz, die zwischen dieser Senatssitzung und der nächsten liegt, wird von Plinius stark gerafft, wenn er den folgenden Abschnitt mit den Worten venerunt, qui adesse erant iussi (8) einleitet: Aus Afrika hat man Vitellius Honoratus und Flavius Marcianus vorgeladen, ein Vorgang, der vermutlich einige Monate in Anspruch genommen haben dürfte.17 Diesen beiden Handlangern des Marius Priscus wird vorgeworfen, für Geld die Verbannung, Bestrafung und Hinrichtung römischer Ritter erkauft zu haben (8).18 Den Honoratus ereilt eine mors opportuna noch vor der Senatsverhandlung, Marcianus wird in den Senat geführt, doch man beschließt, den abwesenden Priscus herbeizuholen, damit sich beide in der nächsten Senatssitzung gemeinsam verteidigen können (9).
Besonders anschaulich beschreibt Plinius die Hauptverhandlung im Januar 100 (10‒22), in die auch sein eigener Auftritt als Redner fällt. Im Gegensatz zum vorangegangenen Abschnitt, in dem der Epistolograph das Geschehen eher nüchtern erzählt, wird nun stärker auf seine eigene Wahrnehmung als handelnde Figur fokalisiert. Der Leser beobachtet den Prozess-Auftakt sozusagen durch die Augen des PliniusPlinius der JüngereEpist. 2.11/12, wenn dieser vom conspectus augustissimus berichtet, den nicht zuletzt die Anwesenheit des Kaisers in seiner Funktion als Konsul, der die Sitzung leitet, bewirkt19, und von der zahlreich im Senat versammelten Menge erzählt (10):
ad hoc Ianuarius mensis cum cetera tum praecipue senatorum frequentia celeberrimus; praeterea causae amplitudo auctaque dilatione exspectatio et fama, insitumque mortalibus studium magna et inusitata noscendi, omnes undique exciverat.
Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass der Gerichtssaal zum Platzen voll ist: Der Monat Januar als ein in Rom besonders geschäftiger Zeitraum, die Bedeutung des Falles, die durch seine Vertagung bewirkte Spannung, das Gerede darüber und die Neugierde der Leute auf Großes und Ungewöhnliches. Deutlich sind die Bezüge zu Ciceros RedeCiceroSest. 72 Pro Sestio (72):20
veniunt Kalendae Ianuariae. vos haec melius scire potestis, equidem audita dico: quae tum frequentia senatus, quae exspectatio populi, qui concursus legatorum ex Italia cuncta, quae virtus, actio, gravitas P. Lentuli consulis fuerit, quae etiam conlegae eius moderatio de me.21
Plinius eröffnet die Ekphrasis der Gerichtshalle in ciceronischem Stil22 und schafft überdies einen Rückbezug zur Epistel 2,10Plinius der JüngereEpist. 2.10 an Octavius Rufus, wo sich der Epistolograph dessen Erfolg beim Rezitieren seiner Gedichte ausmalt (2,10,7): Imaginor enim qui concursus quae admiratio te, qui clamor quod etiam silentium maneat.23 Auch durch das Bild der durch den Aufschub des Prozesses gesteigerten Spannung des Publikums ist ein Bezug zur Epist. 2,10Plinius der JüngereEpist. 2.10 hergestellt, denn die noch