Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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Es von oben mit Öl zu benetzen, war kaum möglich, denn das Holz war zum Schutz vor der Witterung ins Mauerwerk zurückgesetzt. Er hatte direkt darauf zufliegen wollen, um Sturmlöwe gleichsam vor dem Tor in der Luft stehen zu lassen, auch wenn es für den Greif unglaublich anstrengend war. Doch als sie näher kamen, merkte er, dass sie dann zu lange zu niedrig über den Orks hängen würden. Sturmlöwes Bauch wäre binnen Augenblicken mit Speeren gespickt.

      Hastig drehte er ab. Als ob ihm die Zeit nicht ohnehin davonlief. Immer mehr Wiedergänger drängten vor diese Mauer, die einzige, vor der kaum Feuer brannte. Der südliche Wehrgang war bereits schwarz vor Orks.

      In neuem Winkel lenkte Leones Sturmlöwe aufs Tor zu. Sie mussten eine so rasante Kehre fliegen, dass sie wieder fort waren, bevor die Untoten wussten, wie ihnen geschah. Doch dafür musste er sich in die Kurve und gleichzeitig die Flasche in die andere Richtung werfen – und treffen. Sein Mund war plötzlich so trocken, dass sich die Zunge pelzig anfühlte. Mit flauem Gefühl im Magen krallte er die freie Hand in die Mähne und umschloss Sturmlöwes Leib fest mit den Beinen.

      Der Greif ließ ein gereiztes Grollen hören. Sie waren fast da. Leones holte aus, was sein Gewicht vom Tor weg verlagerte. Schon kippte Sturmlöwe zur Seite, um nicht mit der Schwinge die Mauer zu streifen. Jetzt! Leones schleuderte die Flasche, brachte den Greif mit der heftigen Bewegung aus der Balance und rutschte zugleich auf dem glatten, fast senkrecht geneigten Rücken gen Abgrund. Längst war Sturmlöwe am Tor vorbei. Flatternd kämpfte er um Höhe und Gleichgewicht, während Leones entsetzt auf die Speerspitze starrte, die durch Sturmlöwes Schwinge stach. Mit dem nächsten Flügelschlag riss sich der Greif wieder los. Sie hatte wohl nur Federn getroffen, doch Sturmlöwe brüllte wütend. Hätte der Schwung ihn nicht weitergetragen, wäre er womöglich auf den Angreifer losgegangen. Leones lockerte die Umklammerung durch seine Beine. Er durfte den Greif nicht so massiv beim Fliegen behindern, sonst würde er ihn noch abwerfen und verschwinden. In der Wache gingen zahllose solcher Geschichten um.

      Dass der Hang steil abfiel, half Sturmlöwe, schneller Höhe zu gewinnen. Leones sah über die Schulter. Hatte er das Tor überhaupt getroffen? Blut und Wind hatten zu laut in seinen Ohren gerauscht, um etwas anderes zu hören. Doch auf diese Entfernung konnte er im Mondlicht nichts erkennen. Es musste geklappt haben. Sturmlöwe würde dieses Manöver nicht noch einmal mitmachen. Fahrig zerrte er sich den Bogen über Kopf und Schulter und einen Brandpfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken. Vor Erschöpfung zitterten seine Finger so sehr, dass er den Pfeil kaum auf die Sehne bekam. Auf dem Wehrgang über dem Tor leuchtete eine der Feuerschalen. Also hatte der Erste seine Anweisung befolgt. Als Leones nun darauf zuflog, war kein Elf mehr zu sehen – auf keiner der Mauern. Stattdessen strömten Orks über den südlichen Wehrgang und drängten die Treppen zum Hof hinab. Seine Kameraden konnten ihnen dort unten nicht viel entgegensetzen. Er sah nur Lichtschein über die Mauern huschen, dann hatte Sturmlöwe endlich den Wehrgang über dem Tor erreicht und landete neben der Feuerschale. Schneller, verdammt! Leones zwang sich, weder nach den Untoten noch in den Hof hinunter zu spähen. Jeder Lidschlag zählte. Er beugte sich vor und zog ein brennendes Holzscheit aus der Schale. Aus dem Augenwinkel sah er Wiedergänger vom südlichen Wehrgang auf ihn zukommen. Fluchend ließ er das Scheit wieder fallen, fischte stattdessen die letzte Kürbisflasche aus der Tasche und schleuderte sie ihnen entgegen. Noch während sie auf den Steinen zerbarst, schnappte er sich erneut das Scheit und warf es hinterher. Fauchend sprangen weißliche Flammen auf. Die Untoten schlitterten mitten hinein. Schnell wollte sich Leones ein anderes Scheit greifen, doch keins bot mehr genügend Platz für seine Finger. Ihm blieb nichts übrig, als den Brandpfeil vorsichtig an die Flammen zu halten. Aus dem Hof drangen hektischer Hufschlag und Schreie herauf. Sie sterben! Eine unsichtbare Faust presste Leones’ Magen zusammen.

      »Absprung!«, herrschte er Sturmlöwe an.

      Flatternd warf sich der Greif von der Mauer, fürchtete zurecht die Speere der Orks, doch Leones hatte keinen Blick für sie übrig. Mit gespanntem Bogen drehte er sich nach dem Tor um. Noch waren sie zu nah, der Winkel zu steil. Er lenkte den Greif zur Seite und schoss. Er glaubte, den Knall zu hören, mit dem der Pfeil gegen das Holz schlug, doch im nächsten Augenblick blieb ihm das Herz stehen. Die Schutzzauber waren zu mächtig, der Pfeil steckte nicht fest. Als ob die Zeit langsamer verging, kippte er gen Boden und fiel trudelnd hinab. Auf ihrem Weg nach unten streiften die Flammen jedoch Öl. Magische Feuerzungen leckten plötzlich über das Holz. Die vordersten Untoten drängten zurück.

      Mehr sah Leones nicht. Er lenkte Sturmlöwe in einer steil ansteigenden Schleife zurück über die Mauer und den jetzt hell erleuchteten Hof. Bei allen Astaren! Der präparierte Karren stand bereits in Flammen. Im grellen Licht lagen zwei tote Pferde, und brennende Wiedergänger wälzten sich am Boden. Dazwischen stand Theremon, deckte sich mit einem Schild und schwenkte eine Fackel. Von den anderen war nichts zu sehen. Leones begriff, dass sie sich hinter dem Karren im Gang zum Tor verschanzt hatten. Nun konnte ihnen der Wagen nicht mehr den Weg durch die Belagerer ebnen. Verdammt! Dann musste es eben ohne den Karren gehen.

      Leones wendete auf so engem Bogen wie möglich. Hatten ihn seine Kameraden bemerkt? Er flog über dem Hof direkt auf das Tor zu, doch durch die Flammen auf dem Wagen konnte er sie nicht sehen. »Ausfall!«, brüllte er. »Raus mit euch!«

      Er sah nicht einmal, ob Theremon aufmerkte, denn er hielt den Blick starr auf die Feuerschale gerichtet. Schon jagte Sturmlöwe durch die Wolke aus sengender Hitze und Rauch, die von dem Karren aufstieg. Leones beugte sich neben Sturmlöwes Schulter hinab, klammerte sich mit Beinen und Fingern fest, während er einen Arm nach der Feuerschale ausstreckte. Es kam ihm vor, als hinge er kopfüber. Vielleicht tat er das auch. Er wusste nur, dass sich seine Hand um ein Bein des Dreifußes schloss, die Schale mitzerrte und über die Mauerkante riss. Feuer regnete auf die Orks vor dem Tor hinab.

      Mit letzter Kraft zog sich Leones auf Sturmlöwes Rücken zurück. Wann hatte er seinen Bogen fallen lassen? Er wusste es nicht. Keuchend kauerte er über der Mähne des Greifs. Sein Herz hämmerte, unter der Rüstung klebten seine Kleider vor Schweiß. Was ist mit den anderen? Vorsichtig, um nicht ins Rutschen zu kommen, lenkte er Sturmlöwe ein weiteres Mal zur Ostmauer zurück. Wenn er jetzt das Gleichgewicht verlor, war es vorbei. Er würde sich nicht mehr festhalten können.

      Gerade preschten drei Reiter mit Fackeln aus dem Tor. Mit schreckgeweiteten Augen sprangen die Pferde über brennende Leiber und rasten ins Gedränge der Untoten hinein. Wie Rammböcke pflügten sie durch die vordersten Reihen, dann steckten sie fest.

      Im gleichen Moment verlor Leones sie aus dem Blick, sah nur noch die Mauer, die Sturmlöwe überflogen hatte, und das Inferno auf dem Hof. Blutüberströmt lag Theremon zwischen besiegten Gegnern. Die Flammen auf einem der reglosen Orks leckten bereits an Theremons Hand, aber er rührte sich nicht mehr. Wo kein Feuer war, wimmelte es von Wiedergängern. Sie drängten durch die Türen, in die Keller und umlagerten den Karren, der ihnen den Weg hinter den Elfen her versperrte.

      Leones lenkte Sturmlöwe um die Festung zum Tor zurück. Für Theremon konnte er nichts mehr tun. Ich kann für niemanden mehr etwas tun. Die Erkenntnis schmeckte bitter wie Galle.

      Als er Die Faust auf dem Hang entdeckte, bohrte ein Ork seinen Speer in die Brust ihres Pferds. Schon während das Tier zu Boden ging, warfen sich die Untoten auf sie, hackten erst auf ihre Beine, dann auf den Rest ein. Mit der Fackel steckte sie einige in Brand, doch bevor Leones auch nur herangeflogen war, verschwand sie bereits unter der Masse der Feinde.

      Keatos hatte eine Spur brennender Gegner hinterlassen, bis sie auch sein Pferd zum Straucheln brachten. Leones sah die Flammen und den Ring aus Gegnern, der Keatos umgab. Brüllend schwang der Sohn Ameas die Fackel nach ihnen und drehte sich dabei so elegant, dass es einem Feuertanz glich. Einen Lidschlag lang träumte Leones davon, Sturmlöwe hinabstoßen, Keatos packen und davontragen zu lassen, dann traf den Amea-Sohn von hinten ein Stein an den Kopf, und er brach lautlos zusammen. Sofort waren die Wiedergänger über ihm. Schaudernd wandte Leones den Blick ab.

      Danael! Konnte er wenigstens dem letzten seiner Kameraden helfen? In einem Aufwallen von Zorn und Hoffnung sah er sich um. Danaels Pferd hatte es weiter geschafft als die anderen. Wo der Hang steil wurde, trampelte es sich durch die Menge, schlug, biss und stieg, während sich der Sohn Heras


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